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Archiv für die Geschichte des Widerstandes und der Arbeit - Nr. 18 - Vorwort
Wenn auch im nach 5 Jahren mal wieder erschienenen stets lesenswerten „Archiv
für die Geschichte des Widerstandes und der Arbeit“ (AGWA) diesmal, mit Ausnahme
einiger Buchbesprechungen, nicht viel zu speziell syndikalistischer Thematik zu
finden ist, so ist doch das Vorwort, besser gesagt der letzte Abschnitt äußerst
interessant als Kritik am kapitalistischen Wissenschaftsbetrieb und ähnelt damit
den Auffassungen einer unabhängigen, tatsächlich freien und damit unbefangenen
Syndikalismusforschung im Sinne der arbeitenden Klasse, wie wir sie hier
präsentieren wollen.
Nun folgen noch die Angaben zum AGWA, und dann kommt das Vorwort zum Genießen:
„Archiv für die Geschichte des Widerstandes und der Arbeit“, Nr. 18, ISBN
978-3-88663-418-7, 24 Euro, 787 Seiten, zu bestellen auch über Syndikat-A
AGWA Vorwort
(…) Bereits vor Drucklegung des ersten Heftes hatte einer, der von oben kam und
in den Wirren nach 1968 mit den Unwilligen von unten so etwas wie eine von
diesen jedoch nicht erbetene Revolution arrangieren wollte und im Rahmen der
üblichen akademischen Karriere in der Zwischenzeit längst wieder oben angekommen
ist, das ARCHIV als akademisch nicht ein- und abgesegnetes Projekt zum Tode
verurteilt. Ob der Weg nach oben allen Totsagern, die sich neuerdings wieder
einmal in der Gerüchteküche herumtreiben, geebnet ist, mag der Himmel über
Berlin oder wer auch immer wissen. Das ARCHIV ist zudem nie mit dem Anspruch
aufgetreten und wird dies auch in Zukunft nicht tun, eine Zeitschrift
irgendwelcher linker Akademischer Milieus sein zu wollen oder gar als deren
Publikationsorgan zu firmieren; der Anspruch auf Wissenschaftlichkeit, den zu
erfüllen so manche(r) deutsche(r) Akademier(in), wie die Redaktion sowohl zu
ihrem Erschrecken als auch zu ihrer Belustigung im Laufe der Jahre immer wieder
erfahren durfte, nicht in der Lage ist, genügt vollkommen. Im Hinblick auf
akademische publish-or-perish-Strategien zwecks Anbandelung oder Fortführung
akademischer Karrieren ist auf die ARCHIV-Redaktion grundsätzlich kein Verlaß.
In den mittlerweile bloß noch marginalen linken akademischen Milieus hat sich
allerorten längst eine spezifisch ideologische Form des zur Genüge bekannten
Fachidiotentums durchgesetzt; in den Maße, in dem Marxismus und Arbeiterbewegung
in den Kanon akademischer Gelehrsamkeit aufgenommen worden sind, wurde auch im
linksakademischen Milieu die Ansammlung positiven Wissens in bürgerlicher Manier
zum Maßstab jeglichen individuellen akademischen Fortschritts, nicht kritische
Reflexion, insbesondere nicht die des widersprüchlichen Verhältnisses der
eigenen Kopfarbeit zur Arbeitswelt jenseits des erodierenden akademischen
Elfenbeinturms, jenes Verhältnisses also, das revolutionär zu sprengen doch
einst ein Anspruch der so progressiven linken Intelligenz war. Kritisches Denken
verkommt in den geschlossenen akademischen Anstalten längst schon zu
institutionell eingebundenen und in rituellen Veranstaltungen abgerufenen und
inszenierten ideologischen Weltbildern, deren eigentlicher Sinn, zusammen mit
der Rekrutierung eines linientreuen Nachwuchses, in der Absicherung des prekär
gewordenen eigenen Status liegt, über dessen fraglose Annehmlichkeiten sich
zweifellos schon jene im klaren waren, die in den Jahren der mittlerweile
allenfalls noch nostalgisch beäugten Revolte mit der Parole ‚Sei schlau, bleib’
im Überbau’, hausieren gingen. Der akademische Betrieb mit seinen
Abhängigkeiten, Unterwürfigkeiten und koketten Eitelkeiten auf intelligent
organisiertem Niveau ist und bleibt eingebunden in ein Geflecht originär
bürgerlicher Institutionen, die durch Eroberung oder Übernahme der ein oder
anderen Planstelle genauso wenig revolutionär zu transzendieren sind wie der
bürgerliche Staatsapparat insgesamt durch Einbindung staatssozialistisch
orientierter Politiker. Auch linke Akademiker bleiben, unabhängig davon, ob sie
sich auf welchem Niveau auch immer mit Themen aus der Geschichte der Linken bzw.
der Arbeiterbewegung im weitesten Sinne beschäftigen, nichts anderes als
akademische Facharbeiter in einem mittlerweile gemäß den Regeln bürgerlicher
Ökonomie organisierten und strukturierten Betrieb, in dem sie ihren Geist zu
Markte tragen und die Resultate ihrer Tauschgeschäfte in Druckform präsentieren
müssen. Der diesem systemkonformen Ausverkauf des linksakademischen Geistes
immanente Zwang zur permanenten Neu- und Selbstfindung eines sich selbst allzu
gerne als nonkonformistisch definierenden Intellektuellen, der sich dem eigenen
Rollenverständnis zufolge zugleich und permanent in Beziehung zu immer neuen
sozialen Bewegungen zu setzen gezwungen sieht, lässt die vormals hoch gehaltenen
Anknüpfungen an das mit der klassischen Arbeiterbewegung verbundene Projekt
einer mit sozialer Emanzipation einhergehenden Zerschlagung des
Kapitalverhältnisses zunehmend erodieren. Vergessen wird im Zuge dieser
permanent sich neu erfindenden und trotzdem über einen akademischen Autismus
nicht hinausreichenden identitätsstiftenden Rollenzuschreibungen auch allzu
gerne, dass die deutsche Linke im vergangenen Jahrhundert neben vielen anderen
bitteren Erfahrungen in zwei wegweisenden historischen Situationen entscheidend
versagt hat. Zum einen hat die vielfach gespaltene klassische Arbeiterbewegung
den Aufstieg und die Machtübernahme der Nationalsozialisten nicht nur nicht
verhindern können, es haben sich gar nicht wenige aus ihrem Milieu dem
nationalen Projekt mit allen seinen Folgen auch freiwillig andienen wollen oder
tatsächlich angedient; dieses nationale Projekt wurde zudem bis weit in die
sechziger Jahre hinein nicht nur von der politischen Rechten, sondern gerade
auch von den Linken, die ihrem Glauben an die Mission einer längst nicht mehr
unschuldigen Arbeiterklasse nicht lassen konnte oder wollte, beredt beschwiegen.
Zum anderen hat die seit den frühen sechziger Jahren sich
herauskristallisierende Neue Linke, die ihren Pakt mit dem Forschritt nicht nur
wissenschaftlich zu untermauern, sondern zumindest zeitweise auch recht
vorteilhaft akademisch zu positionieren wusste, den Aufstieg des Neoliberalismus
zwar noch kommentieren, aber nicht abwehren können. Im Gegenteil: Die ihrem
Milieu entstammende rotgrüne Regierung hat das neoliberale Projekt mit seiner
gezielten asozialen Verarmungspolitik nicht nur mitgestaltet und schließlich
forciert, sondern zuletzt noch mit einem Zwangsarbeitsprogramm gekrönt, wobei
die zur Zwangsarbeit Verpflichteten heutzutage nicht mehr in Lagern konzentriert
werden müssen, sondern dank des technologischen Fortschritts virtuell verwaltet
werden können. Im Vergleich mit diesem für manch einen erfolgreichen Versagen
war und bleibt es ein Armutszeugnis minderer Güte, dass die zweifellos
zahlreichen mehr oder minder linken Historiker(innen), die seit 1968 aus den
diversen bundesdeutschen akademischen Anstalten entlassen wurden oder gar in
diesen verbleiben konnten, es nie geschafft oder auch nur in Angriff genommen
haben, eine anspruchsvolle linke historische Zeitschrift als Publikationsorgan
ihrer akademischen Forschung ins Leben zu rufen. Als die ursprünglich aus
politischen Zusammenhängen hervorgegangene Zeitschrift ‚1999’ unter dem Titel
‚Sozial-Geschichte’ versuchte, sich durch Bildung zahlreicher
‚Themenredaktionen’, in denen sich illustre Professor(in)entitel versammelten,
einen seriösen akademischen Anstrich zu geben, war das Ende dieses Unternehmens
vorherzusehen, das nach einigen Jahren auch prompt verkündet wurde. Als
wissenschaftliches Projekt bleibt das ARCHIV auch in Zukunft seiner
Unzuverlässigkeit im Hinblick auf akademische Funktionalität treu.
Aus: AGWA, Nr. 18, Vorwort, Seite 21/22
Inhalt:
Zu diesem Heft 11
Pierre Chaulieu (Cornelius Castoriadis)/Anton Pannekoek Korrespondenz 1953 -
1954 23
Loren Goldner „Facing Reality”: Fünfzig Jahre später 77
Jan Wacław Machajski Sozialismus und Intelligenz 109
Max Nomad Weiße Kragen und schwielige Hände 161
Hugo Velarde Das Bewußtwerden des Verhängnisses. Alfred Seidels Leben und Denken
in der frühen Weimarer Republik 173
Alfred Seidel Produktivkräfte und Klassenkampf. Ein Beitrag zur Interpretation
des historischen Materialismus von Karl Marx und Friedrich Engels 185
Gianpiero Landi Die Bürokratisierung der Welt 235
Paolo Sensini Jenseits von Marxismus, Anarchismus und Liberalismus: Der
wissenschaftliche und revolutionäre Werdegang des Bruno Rizzi 245
Charles Jacquier Das Exil des Julien Coffinet oder Ein häretischer Marxist in
Montevideo 271
Julien Coffinet Proletariat und kapitalistische Technologie 289
Albrecht Götz von Olenhusen „Die Jahre vor Hitler: Bei Lebzeiten.“ Eva und
Valeriu Marcu 321
Valeriu Marcu Abschied von einer Revolution 331 Emil Szittya „Mit Franz Jung
durchquert das Fieber die Strassen.“ Briefe an Franz Jung 365
Egon Günther Klassenverrat, Kommunismus und Lebensreform. Chronik einer 1919 aus
Bayern vertriebenen „Spartakistenfamilie“ 377
Walter Fähnders „Roter Alltag“ - Lili Körbers Blicke auf Sowjetrußland 1932 und
1942 423
Karen Rosenberg „Genosse und Freund“: Vertrauen und Verrat in Menachem-Mendel
Rosenbaums „Erinnerungen eines Sozialrevolutionärs“ 461
Reiner Tosstorff Spanien 1936: Arbeitermilizen und „Volksarmee“ 499
Philippe Bourrinet „Ordnung herrscht in Budapest.“ Oktober 1956: der ungarische
Arbeiteraufstand 511
Charles Jacquier „Interrogations“ oder der Generationenwechsel 527
„Ein illusionsloser Blick auf die Gesellschaft.“ Gespräch mit Georges Petit 539
David Ames Curtis Konkrete Wirklichkeit und Reflektiertheit in der Erfahrung
eines Übersetzers von Cornelius Castoriadis 563
Fritz Keller „Das Recht auf Faulheit“ - Zensiert? 593
Rezensionen und Hinweise 599
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