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Anarchismus und Syndikalismus in Magdeburg
In den letzten Wochen haben wir im Archiv die Forschungen zur Magdeburger
Lokalgeschichte intensiviert und uns speziell auf die Spurensuche des
Anarchismus in Magdeburg begeben und dabei einiges zusammengetragen. Einen
kurzen Überblick wollen wir hiermit geben.
Die Wirkungsgeschichte des organisierten Anarchismus in Deutschland begann
zusammen mit der Entstehung der Arbeiterbewegung. Die meisten Anarchisten
begannen ihre politische "Laufbahn" in der Sozialdemokratie. Ein Meilenstein in
der Entwicklung des Anarchismus in Deutschland war die während des
Sozialistengesetzes entstandene Opposition der "Jungen" gegen die zurückhaltende
Politik des Parteivorstandes. Eine Hochburg der Jungen in Deutschland war
Magdeburg (neben Berlin und Dresden). Die 1890 gegründete "Volksstimme" wurde im
ersten Erscheinungsjahr von Oppositionellen geleitet. Die "Jungen" waren zwar
keine erklärten Anarchisten, aber viele ihre Standpunkte, wie z.B. der
Antiparlamentarismus, stimmen mit anarchistischen überein (in einer Diss von
1968 zur Magdeburger Arbeiterbewegung werden sie als
"sektiererisch-halbanarchistische Gruppe" denunziert).
Im Dezember 1891 entstand aus diesem Kreis der "Verein unabhängiger Sozialisten
für Magdeburg und Umgebung", dessen Wirken bis 1893 überliefert ist. Ein Teil
dieser Sozialisten ist später dann in anarchistischen Gruppen gelandet, von
deren Wirken es bereits in 1880er Jahren Spuren in Magdeburg gibt. Es gab laut
polizeilichen Ermittlungen auch in Magdeburg einen Leserkreis der
anarchistischen "Freiheit", einer von dem bekannten deutschen Anarchisten
Johannes Most in den USA herausgegebenen und in Deutschland illegal verbreiteten
Zeitung. Aber auch in Magdeburg gaben die Anhänger der oppositionellen
"sozialrevolutionären" Richtung der Sozialdemokratie unter dem Namen "Deutsche
Volksblätter" eine eigene Zeitschrift heraus. Wie in der Sozialdemokratie gab es
auch in den Gewerkschaften eine oppositionelle Strömung, die sogenannten
"Lokalisten", die sich gegen die (Re-)Zentralisierungsbestrebungen nach dem Fall
des Sozialistengesetzes stellten. Diese gründeten 1897 die "Freie Vereinigung
der Gewerkschaften" (FVdG) - aus der nach dem ersten Weltkrieg die "Freie
Arbeiter Union Deutschlands/Anarcho-Syndikalisten" (FAUD) hervorging. Bisher
konnten wir noch nicht ermitteln, wann die ersten Gruppen dieser Richtung in
Magdeburg gegründet wurden. Es gab aber vor dem ersten Weltkrieg in Magdeburg
eine "Freie Vereinigung der Bau- und Erdarbeiter" sowie eine "Vereinigung aller
Berufe". Auch hielt die FVdG ihren 10. Kongreß (wahrscheinlich 1912) in
Magdeburg ab. Die ausführliche Berichterstattung in der Verbandszeitung "Die
Einigkeit" über den Bauarbeiterstreik von 1898 in Magdeburg lässt aber vermuten,
dass es um diese Zeit bereits eine Gruppe gab. Die eigentliche Hochphase der
Anarcho-Syndikalisten lag aber Anfang der 20er Jahre, als rund 150.000
ArbeiterInnen in der FAUD organisiert waren. Im Kongreßprotokoll von 1919 (also
noch vor dem wahrscheinlichen Höchststand) ist für Magdeburg eine Mitgliederzahl
von 365 angegeben, sowie 78 in Schönebeck und 19 in Groß-Ottersleben, das damals
noch nicht eingemeindet war. Ausserdem sind wir im ehemaligen Bezirk Magdeburg
auf Spuren von anarchosyndikalistischen Gruppen in Olvenstedt, Tangermünde,
Wittenberge, Staßfurt, Derben/Elbe, Quedlinburg und Hornhausen (bei
Oschersleben) gestoßen.
Während der Novemberrevolution und in der revolutionären Nachkriegskrise ist die
führende Beteiligung von Syndikalisten bei Hungerrevolten und
Gefangenenbefreiungen in Magdeburg verbürgt. In der Zeit nach 1924 kam es zu
einem Abflauen der revolutionären Bewegungen, was sich auch in einem deutlichen
Niedergang der Mitgliederzahlen der FAUD widerspiegelt. 1932 gab es in Magdeburg
noch 65 eingeschriebene Mitglieder, was eine gewerkschaftliche Arbeit nahezu
unmöglich machte. Während der Nazizeit leisteten aber auch die Magdeburger
Anarchosyndikalisten Widerstand. (Im Gegensatz z.B. zur KPD gab es unter den
FAUDlern nahezu keine Überläufer zu den Nazis.) So hatte hier die illegale
Geschäftskommission der FAUD zeitweise ihren Sitz. Die letzten organisierten
anarchosyndikalistischen Widerstandsgruppen wurden mit einer reichsweiten
Verhaftungswelle 1937, die auch Magdeburg erfaßte, zerschlagen.
Neben der FAUD (und den ihr nahestehenden Organisationen wie der
"Syndikalistische Frauenbund" oder die "Gemeinschaft proletarischer Freidenker")
gab es im Raum Magdeburg auch diverse andere anarchistische Gruppen, mit solchen
klangvollen Namen wie "Wissen und Wollen", "Freiheit", "Propagandagruppe
Sudenburg", "Freiheitlicher Diskutierklub Schönbeck". Der "Föderation der
kommunistischen Anarchisten Deutschlands" (FKAD) angeschlossen war der "Verein
kommunistischer Anarchisten Magdeburgs". Aber auch in Westeregeln gab es eine
Gruppe der FKAD. Im Jahre 1921 war der Föderationskongreß der FKAD in Magdeburg
geplant, der aber kurzfristig verboten wurde. 1927 fand dann tatsächlich ein
Reichskongreß in Magdeburg in einem Lokal am Faßlochsberg 9 statt. In Magdeburg
gab es auch eine Siedlergemeinschaft "Freie Erde", eine Frühform der heutigen
Kommunen sowie ein libertärkommunistisches Schulprojekt.
Unter den Magdeburger Anarchisten und Syndikalisten gab es scheinbar keine
herausragenden Köpfe, die überregional bekannt geworden sind. Insgesamt konnten
wir bisher rund 70 Menschen namentlich ermitteln, die zumindest zeitweise
Mitglieder anarchistischer/syndikalistischer Gruppen waren. Die weit
überwiegende Mehrzahl waren Arbeiter. Schwerpunkte innerhalb Magdeburgs waren
Sudenburg, die Altstadt und die Alte Neustadt. Die meisten Mitglieder dürften
sehr arm gewesen sein. So konnten oft keine Vertreter zu den Reichskongressen
entsandt werden, weil die Fahrtkosten zu hoch waren. Dennoch gab es ständig
Sammlungen für kämpfende und verfolgte GenossInnen weltweit, für die immer
wieder gespendet wurde. Was aus den Menschen geworden ist, konnte noch
nicht ermittelt werden. Nach dem 2. Weltkrieg konnten sich weder im Westen und
schon gar nicht im Osten neue Gruppen dauerhaft etablieren. (In Westdeutschland
gab es bis in die 50er Jahre noch eine "Föderation freiheitlicher Sozialisten".)
Von anderen Orten aus dem Gebiet der DDR ist bekannt, dass einige ehemalige
Mitglieder der FAUD sich der SED anschlossen, oft dann aber in den 50er Jahren
wieder "hinausgesäubert" wurden.
Ich denke, wir sind unseren "Ahnen" schuldig, dass wir sie vor dem Vergessen
bewahren. Packen wir‘s an!
Aus: "Der Störenfried", Ausgabe 12 (Frühling
2003)
Mit Dank übernommen von:
http://home.pages.at/der-stoerenfried/zeitung/a12/11.htm
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