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Münsters Geschichte von unten
Wer war Bruno Selle?
Anarchosyndikalismus in Münster: Jetzt seit 80 Jahren!
Wir waren nicht schlecht überrascht, als wir vor etwa zwei Jahren eine Email von
einem Genossen der FAU Marburg bekamen: Im Anhang befand sich ein
Zeitungsausschnitt aus der Gewerkschaftszeitung „Der Syndikalist“, eine kurze
Meldung über die Gründung der Freien Arbeiter Union Deutschlands (FAUD) in
Münster. Die Meldung datiert vom September 1928. Wir wussten bereits, dass die
FAU in den 1980er Jahren in Münster aktiv war und hatten auch Kontakt zu
GenossInnen, die damals in Münster und Münsterland aktiv waren – kurzfristig
hatten wir sogar einen Genossen in der zweiten Generation dabei. Aber 1928 – das
klang schon interessanter als 1988.
Damit begann eine intensive Recherche. Im Münsteraner Stadtarchiv und im
Internationalen Institut für die Geschichte der Arbeiterbewegung in Amsterdam
suchten wir nach Münster und den beiden im Artikel genannten Gründern. Im
‚Syndikalist’ wurde der Gründer Bruno Selle namentlich genannt, das war unser
Ansatzpunkt. Denn einen ‚Müller’ zu finden, gestaltete sich als schwer.
Die Gründung einer anarchosyndikalistischen Arbeiterbörse, wie die lokalen
Gruppen der FAUD damals hießen, zu diesem Zeitpunkt ist recht ungewöhnlich. Ihre
Hochzeit hatten die FAUD und der Anarchosyndikalismus in Deutschland längst
hinter sich. Konnte sie 1921 150.000 Mitglieder aufweisen, so waren es zum
Zeitpunkt der Gründung der FAUD Münster etwa 20.000. Wie also kam es zu dieser
Gewerkschaftsgründung?
Bruno Selle, so fanden wir im Stadtarchiv heraus, war 1926 Stadtratsmitglied für
die Kommunistische Partei. Die Ortsgruppe wurde 1927 von der Kommunistischen
Partei Deutschlands aufgelöst, da sie nicht parteikonform war. Als 1928 Kader
der KPD diese in Münster neu aufbauten, gründeten die ehemaligen Mitglieder in
Opposition dazu die Ortsgruppe der FAUD. Sie war also seinerzeit hauptsächlich
eine „linksradikale“ Organisation in Opposition zum Leninismus. Aber sie war
auch Organisation von Facharbeitern, hauptsächlich aus dem Baugewerbe.
Weitere Informationen waren dem Stadtarchiv nicht zu entnehmen. In Amsterdam
fanden wir allerdings einige Spendennachweise aus Münster und Ahlen aus den
folgenden Jahren. Fündig wurde auch ein Genosse der FAU Bremen, der einen
Veranstaltungshinweis aus dem Jahr 1931 in dem Lokal „Bayrischer Hof“ in der
Neubrückenstraße entdeckte. Die „Organisation aller Berufe“ lud ein zu einem
Vortrag mit dem Thema „Volksstaat, Arbeiterstaat oder Anarchie“. Referent war
Berthold Cahn, Mitherausgeber der Zeitung „Der Freie Arbeiter“, umgekommen im
Konzentrationslager Bergen-Belsen 1945. Zu diesem Zeitpunkt hatte die FAUD
deutschlandweit noch 6.634 Mitglieder. Mindestens drei Jahre hat in härter
werdenden Zeiten jedoch die FAUD auch hier die Flamme des ArbeiterInnenkampfs am
Leben gehalten.
Wir wissen nicht, was aus den Mitgliedern der FAUD Münster geworden ist. Anrufe
bei allen in Münster lebenden Selles ergaben nur, dass kein Mensch diesen Namens
mit Bruno Selle verwandt ist. Die Geschichte der Münsteraner
AnarchosyndikalistInnen nach 1933 wird sich am ehesten in den Archiven des
Gefängnisses an der Gartenstraße finden lassen.
Obwohl es, kaum bekannt, in Deutschland mit der Föderation Freiheitlicher
Sozialisten (FFS) direkt nach dem Zweiten Weltkrieg wieder eine
anarchosyndikalistische Organisation gab, geht die Geschichte des
Anarchosyndikalismus in Münster erst in den 1980er Jahren weiter. Die FFS, die
sich als Ideenorganisation verstand, einem eigenständigen Anarchosyndikalismus
in Deutschland kaum eine Chance einräumte und daher im DGB mitarbeitete, dennoch
aber wie die FAU später Mitglied der Internationalen Arbeiter-Assoziation war,
hatte allerdings Ortsgruppen in Osnabrück, Gütersloh und Hamm.
1977 gründete sich bundesweit die FAU, und von 1987 bis 1988 und 1990/91 hatte
diese auch eine Ortsgruppe in Münster. Kontinuierlich existiert sie aber erst
wieder seit 1996. Diese Geschichte begann mit dem Besuch eines süddeutschen
Genossen im Infoladen Bankrott und dem hartnäckigen Handverkauf unserer Zeitung
„Direkte Aktion“ in Münsters Kneipen. Eine größere Basis bekam die FAU mit den
Studierendenprotesten 1997/98, als sich auch in Münster ein Bildungssyndikat –
also eine Gewerkschaft für in der Bildung Tätige – gründete. Hervorgegangen ist
diese FAU zu einem Großteil aus der linken Hochschulliste ‚Undogmatische Linke’
(UL). Das scheint eine Parallelität zu der Gründung aus der KPD 1928
aufzuweisen. Während diese jedoch seinerzeit von oben aufgelöst wurde, löste die
UL sich selber auf, weil viele Mitglieder, motiviert durch die aktiven Proteste
der Studierenden, kein Interesse mehr an Studierendenparlament, AStA und
Senatswahlen aufwiesen und über das Arbeitsfeld Hochschule hinaus gehen wollten.
So wie die FAUD in den späten 1920er Jahren aber Veranstaltungen zu ‚Anarchie’
machte, so war auch die FAU-Ortsgruppe der späten 1990er eine linke
Propagandaorganisation, deren Schwerpunkte etwa in Bereichen wie Antifaschismus
lagen und die sich insbesondere mit Bildungsveranstaltungen zur Geschichte des
Anarchosyndikalismus hervortat – was anfangs spannend war, aber für viele
schnell langweilig wurde. Erst mit den Protesten gegen die Hartz-Gesetze und
Schröders Agenda 2010, gegen Leiharbeit und prekäre Beschäftigungsverhältnisse
wandelte sich die Lokalföderation Münsterland, wie wir heute heißen, von einer
politischen Organisation in das, was eigentlich immer die Idee war: Eine
wirtschaftliche Kampforganisation – eine Gewerkschaft. Beiträge wie dieser
werden daher auch in Zukunft in der ‚interhelpo’ eine Seltenheit bleiben.
Aus: Interhelpo, Zeitung der FAU-Münster, Nr. 27 (November 2008)
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