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Bildungssyndikat Münster
Von der 'Freien Jugend Morgenröte' (1920) bis in den Knast (1937)
Am Montag, dem 15.01.2001 fand im Fürstenberghaus der Uni Münster ein
Zeitzeugengespräch mit Hans Schmitz statt.
Hans Schmitz, Mitglied der FAU und heute mit seinen 86 Jahren in Düsseldorf
lebend, berichtete fließend von seiner frühesten Jugend bis hin zu Ende des
Zweiten Weltkrieges.
Sein Vater, führender Aktivist der anarcho-syndikalistischen Basisgewerkschaft
FAUD, war im katholischen Glauben verhaftet und sowohl aus der Religion wie auch
aus der politischen Ideologie heraus überzeugter Pazifist. Dennoch, so berichtet
Hans Schmitz, trug er während des Kapp-Putsches als Teilnehmer der "Roten Ruhr
Armee" eine Waffe. Erzählt hat der Vater damals nichts davon, aber viel später
kam das Gespräch darauf zurück. Nämlich in dem Moment, als die "Freie Jugend
Morgenröte", zuvor auf dem Weg zu einem pazifistischen Jugendtreffen von
Freicorps (= Gruppe rechter Soldaten nach dem ersten Weltkrieg, Anm.)
verprügelt, sich vom Pazifismus abwandte und das zerbrochene Gewehr in der
schwarzen Fahne durch Hammer und Sichel in rot ersetzte. Sehr zum Unwillen der
erwachsenen AnarchosyndikalistInnen, Hans Schmitz argumentierte seinem Vater
gegenüber jedoch seinem eigenen Bericht zufolge so: "Wir haben genug vom ‚die
andere Backe hinhalten'. Das tut weh!" Und im selben Zusammenhang sprach er den
Vater auf das Gewehr an, das dieser seinerzeit als Pazifist trug.
In den letzten Jahren der Weimarer Republik eskalierte die Situation und die
jugendlichen AnarchosyndikalistInnen, eigentlich einer pazifistischen Ideologie
zuzuordnen, gründeten sogenannte "Schwarze Scharen", uniformierte Gruppen, die
sich den Schlägertrupps der Nazis entgegenstellten. Wieder gab es, gerade
aufgrund der Uniformierung, Protest aus den Reihen der FAUD (Freie Arbeiter
Union Deutschlands, die anarchosyndikalistische Gewerkschaft), dennoch wurde die
Wuppertaler Schwarze Schar, der Hans Schmitz angehörte, bei Kundgebungen und
Veranstaltungen der FAUD im Ruhrgebiet als Saalschutz eingesetzt.
Das Tragen eines schwarzen Hemdes konnte schon in dieser Zeit zum Verhängnis
werden. Hans Schmitz berichtet, wie er 1931 so bekleidet wegen gefährlichem
Waffenbesitz verhaftet wurde, weil er ein Taschenmesser bei sich trug. Wenige
Meter weiter marschierten Hitler-Jugendliche mit dolchartigen Messern, die der
Polizei jedoch kein Dorn im Auge waren, da es "Fahrtenmesser" seien, die zudem
in einer Lederscheide steckten.
Als es 1933 zur Machtübernahme durch die NSDAP kam, lösten sich die
anarchosyndikalistischen Gruppen auf, so auch die SAJD
(Syndikalistisch-Anarchistische Jugend Deutschlands, Jugendorganisation der FAUD)
Wuppertal, der Hans Schmitz als Kassierer angehörte. Damit hörte der Widerstand
jedoch nicht auf. Mit einem Schmunzeln im Gesicht erzählt er, wie der
Fackelmarsch der NSDAP am Tag der Machtübernahme wörtlich
ins Wasser fiel - von KommunistInnen, AnarchistInnen und GewerkschafterInnen in
die Wupper gejagt. Der Fackelmarsch wurde tags darauf nachgeholt. Hans Schmitz
und ein dutzend weiterer anarchistischer und kommunistischer Jugendlicher
trieben die den Hitlergruß übenden jubelnden Massen mehrmals in den
Fackelmarsch, und die fackeltragenden SS-Schergen schlugen so provoziert mit
ihren Fackeln in die Jubelnden. Das Spielchen wiederholte sich einige Male, bis
die SS den wahren Grund für die Tumulte herausfand und es den Jugendlichen
besser erschien, zu
verschwinden.
In den folgenden Monaten und Jahren gab es vielfältige Beispiele
antifaschistischer Öffentlichkeitsarbeit: Plakate wurden geklebt - eine Aktion,
die die antifaschistischen Jugendlichen schnell wieder unterließen, als sie
sahen, mit wie ihre gefangenen GenossInnen diese mit blutverkrusteten Händen
unter Aufsicht der SS mühsam wieder abkratzen mussten, Koffer wurden benutzt, um
antifaschistische Parolen auf die Straßen zu stempeln usw.
Die wichtigste Funktion, die die Untergrundorganisationen der anarchistischen
wie auch der kommunistischen Gruppen jedoch hatten, war der Transport von
gesuchten politischen Flüchtlingen über die Grenze. Hans Schmitz fungierte hier
als Fahrradkurier, getarnt als Radsportler.
1935 lernte Hans Schmitz bei einer Schlägerei mit der HJ seine spätere Ehefrau
kennen, die zu den "Düssel-Piraten" gehörte, die Hans und seinen FreundInnen zur
Hilfe eilten. Jugendliche, die sich der HJ verweigerten, organisierten sich als
EdelweißpiratInnen, trugen karierte Hemden und rote Halstücher. Oft benannten
sich die lokalen Gruppen nach den regionalen Flüssen. Alsbald gab es auch die
Wupper-Piraten.
Am 1. April 1937 wurde auch Hans Schmitz im Zuge einer Verhaftungswelle am
Arbeitsplatz von der Gestapo besucht. Er war vorgewarnt, daher konnte die
Gestapo keinerlei Indizien für antifaschistische Betätigungen finden. So wurde
er zu nur zwei Jahren Gefängnis verurteilt und hatte mehr Glück als viele seiner
anarchosyndikalistischen GenossInnen, die in den folgenden Massenprozessen
verurteilt wurden. Nach seiner Entlassung galt er als wehrunwürdig, was ihm
gerade recht kam. Auch im Widerstand wurde er wieder aktiv.
Die Wehrunwürdigkeit hielt zu seinem Leidwesen nicht ewig vor. Als er 1942
heiratete, sorgte der Arbeitgeber seiner Ehefrau dafür, dass er seine
Wehrwürdigkeit wiedererhielt, damit die Ehefrau weiter in seinem
kriegsrelevanten Betrieb arbeiten konnte, anstatt zu ihrem Ehemann nach
Wuppertal zu ziehen. Hans Schmitz gehörte nun also zur Wehrmacht. Widerstand in
der Wehrmacht war sicherlich ein schwieriges Unterfangen, jedoch im bescheidenen
Maße möglich: Möglichst weit entfernt von der Front bleiben, "Feindsender"
abhören... Eine Clique von ehemaligen Widerständlern raufte sich zusammen und
organisierte diese bescheidenen Formen.
Bei Kriegsende befand Hans Schmitz sich in Holland. Er berichtet, dass das
Verhältnis zwischen der holländischen Bevölkerung und den einfachen Soldaten ein
durchaus gutes war. Während die HolländerInnen den Soldaten verrieten, welche
ehemaligen Kollaborateure Essen horteten, beschlagnahmten die ehemaligen
Wehrmachtssoldaten dieses und teilten es mit ihren InformantInnen.
Nach dem Zweiten Weltkrieg war Hans Schmitz Betriebsratsmitglied, bis er in
Rente ging. Auch heute noch macht er sich stark für eine antifaschistische
Bewegung und ist Mitglied in der FAU. Als ich ihn in Vorbereitung zu dem in
Münster stattfindenden Zeitzeugengespräch im Dezember in Düsseldorf traf, war er
in Eile: Er wollte unbedingt noch auf die Antifa-Party...
[Hans Schmitz berichtet in dem Aufsatz "Widerstand - ein persönlicher Bericht"
ausführlich über seine Erfahrungen. Der Aufsatz ist zu finden in dem Buch:
Forschungsgruppe Wuppertaler Widerstand (Hrsg.): "...Se krieje us nit kaputt."
Gesichter des Wuppertaler Widerstands. Essen 1995.]
Aus: http://www.fau.org/texte/biographien/art_030828-005804
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