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Helge Döhring: Syndikalismus und Anarcho-Syndikalismus in
Deutschland:
Eine Einführung
Inhalt
1. Was bedeutet eigentlich Arbeiterbewegung?
2. Die Entstehung des Anarcho-Syndikalismus und der „Freien Vereinigung
deutscher Gewerkschaften (FVDG) in Deutschland
3. Die Ausformung des Anarcho-Syndikalismus nach dem 1. Weltkrieg
4. Mit einem klaren Konzept die Alternative zum autoritären Kommunismus:
Die „Freie Arbeiter- Union Deutschlands“ (FAUD)
4.1. Die wesentlichen Unterschiede zu den Zentralverbänden
4.2. Gründe für den Mitgliederrückgang der FAUD
4.2.1. Die Auswirkungen des Mitgliederrückganges auf betrieblicher Ebene:
Betriebsräte und Tarifverträge
4.2.2. Die FAUD im Spannungsverhältnis zwischen Industrieföderation und
Einheitsorganisation
4.3. Der Anarcho-Syndikalismus jenseits betrieblicher Organisation
4.3.1. Die Kulturorganisationen
4.3.1.1. Die „Gemeinschaft proletarischer Freidenker“ (GpF)
4.3.1.2. Die „Gilde freiheitlicher Bücherfreunde“ (GfB)
4.3.2. Die Hilfsorganisationen
4.3.2.1. Der „Reichsverband für Geburtenregelung und Sexualhygiene“ (RV).
4.3.2.2. Die „Schwarzen Scharen“
4.3.2.3. Die Erwerbslosenbewegung
4.3.3. Die Alternativbewegungen zur FAUD
4.3.3.1. Die Siedlungs- und Genossenschaftsbewegung
4.3.3.2. Die Vagabundenbewegung
4.3.4. Die Personengruppenorganisationen
4.3.4.1. Die „Syndikalistisch- Anarchistische Jugend Deutschlands“ (SAJD)
4.3.4.2. Der „Syndikalistische Frauenbund“ (SFB)
4.3.4.3. Die Kinderbewegung
4.4. Das Ende der FAUD
5. Der Syndikalismus und seine Bedeutung
1. Was bedeutet eigentlich Arbeiterbewegung?
Wer anfängt, sich für die Geschichte der Arbeiterbewegung in Deutschland und
international zu interessieren, lernt als erstes, dass die Arbeiterinnen und
Arbeiter vornehmlich in Parteien organisiert waren, in sog. „Arbeiterparteien“.
In Deutschland waren dies die SPD und die KPD. Schon bald fallen bei näherem
Hinsehen noch weitere Parteien ins Auge, z.B. die „Unabhängige
Sozialdemokratische Partei Deutschlands“ (USPD), die „Kommunistische
Arbeiterpartei Deutschlands“ (KAPD) oder später die „Sozialistische
Arbeiterpartei“ (SAP).
Und wie selbstverständlich werden bei der Definition des Begriffes
„Arbeiterbewegung“ die Parteien in den Vordergrund gestellt. Das gleiche gilt
für die Zentralgewerkschaften des „Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes“ (ADGB).
Bei näherer Betrachtung fällt jedoch auf, dass diese Institutionen weniger mit
Bewegung im eigentlichen Sinne zu tun hatten, als mit Regulierung und
Disziplinierung der Arbeiterbewegung, ganz im Interesse der privaten oder
staatlichen Kapitaleigner. Wenn wir also von der „Arbeiterbewegung“ als Bewegung
sprechen, so können wir damit nur die proletarischen Basisinitiativen meinen,
welche unter Einsatz von Gesundheit und Leben versuchten, den Klassenkampf
voranzutreiben. Das können im einzelnen auch SPD oder KPD-Mitglieder gewesen
sein. Auffallend hierbei ist, dass sie mit konsequentem Handeln schon bald den
Widerspruch ihrer Führungsgremien in Parteien und Zentralgewerkschaften
herausforderten.
Wir wollen hier „Bewegung“ als etwas organisch gewachsenes verstehen, d.h. nicht
als Reflex einer Order vom Partei- oder Gewerkschaftsvorstand, sondern als
Aktivität von frei organisierten Lohnabhängigen im Bewusstsein völliger
Eigenverantwortung unter Umgehung zentralistischer Organisationen. Viel Kraft
und Energie lässt sich absorbieren von der Beschäftigung mit
Parteistreitigkeiten, großen Persönlichkeiten („Ja, wenn der Bebel 1914 noch
gelebt hätte...“) und diversen Auslegungen marxistischer Literatur von Bernstein
bis Lenin. Und das alles, um festzustellen, dass die Arbeiterbewegungen, wie sie
hier definiert werden, in den einzelnen Ländern erstarrten. Wer nun diesen
Erkenntnisprozess wesentlich und legitim abkürzen möchte, schaut am besten
dorthin, wo es tatsächlich auch organisierte Bewegung von Arbeitern gegeben hat,
jenseits marxistischer Doktrinen und parteipolitischer Verblendung. Und
tatsächlich gibt es da etwas zu entdecken. Die Arbeiterbewegung mit
eigenständiger Organisationsform sind in Deutschland zur Zeit zwischen den
beiden Weltkriegen vor allem bei den Unionisten/Rätekommunisten und bei den
Syndikalisten/Anarcho-Syndikalisten zu finden. Hier soll es im folgenden um die
Syndikalisten und Anarcho-Syndikalisten gehen, welche in Deutschland nicht nur
eine bemerkenswerte Ideenbewegung darstellte, sondern Anfang der zwanziger Jahre
auch als eine proletarische Massenbewegung gekennzeichnet werden kann, welche
unter Zeitgenossen einen sehr hohen Bekanntheitsgrad erlangte, heute jedoch in
Vergessenheit geraten ist. Wer da denkt, vielleicht bei weniger herkömmlicher
Literatur zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung, beispielsweise bei
Wolfgang Abendroth oder Karl Heinz Roth in ausreichendem Maße fündig zu werden,
wird leider enttäuscht. Aber: Neben den Standardwerken, beispielsweise von Hans
Manfred Bock oder Angela Vogel erschienen auch einige
Regionalstudien zum Thema Anarcho-Syndikalismus. Doch nun erst mal zum
allgemeinen Teil dieses Buches:
2. Die Entstehung des Anarcho-Syndikalismus und der „Freien Vereinigung
deutscher Gewerkschaften (FVDG) in Deutschland
Gegenstand des vorliegenden Buches ist u.a. die Geschichte der Freien
Arbeiter-Union Deutschlands (FAUD) in Kassel in den Jahren der Weimarer Republik
von 1919 bis 1933. Was war die FAUD? Ihre Wurzeln liegen in der deutschen
Sozialdemokratie der Kaiserzeit begründet. Die zentralistische Organisationsform
der Partei ließ sie anfälliger gegen die restriktiven Maßnahmen des
Bismarckschen Sozialistengesetzes (1878-1890) sein. Ihre zentralen
Führungsstellen konnten so besser ausgehebelt werden. Nach Aufhebung des
Sozialistengesetzes weigerte sich ein Teil der sozialdemokratisch organisierten
Ortsvereine, die zentralistische Organisationsform beizubehalten, weshalb diese
fortan „Lokalisten“ genannt wurden. Die „Lokalisten“ stellten innerhalb der
sozialdemokratischen Bewegung eine kleine Minderheit dar, welche jedoch gerade
in der Hauptstadt Berlin über einen starken organisatorischen Rückhalt verfügte.
Sie hielten zunächst am Parteigedanken und an der ihr eigenen Auslegung
marxistischer Ideologeme fest, doch verstärkten die „revisionistischen“
Beschlüsse des Erfurter Kongresses der sozialdemokratischen Partei 1891 die
Separationsbestrebungen der lokalistischen Ortsvereine. Schon im Jahre 1892
berief die Generalkommission für die Zentralverbände einen Kongress in
Halberstadt ein, auf welchem sich dafür ausgesprochen wurde, die lokalistische
Strömung zu beseitigen. Diese schlossen sich im Jahre 1897 zur
„Vertrauensmänner-Zentralisation Deutschlands“ zusammen und nannten sich seit
1901 „Freie Vereinigung deutscher Gewerkschaften“ (FVDG). In den folgenden
Jahren bemühte sich die sozialdemokratische Führung vergeblich um die
Reintegration der lokalistischen Ortsvereine, denn die „Lokalisten“ seien nach
Friedrich Ebert gestandene Sozialdemokraten und nicht mit den für sie
unbequemeren anarchistischen Strömungen zu vergleichen. Schließlich wurde das
Ultimatum gestellt, sich wieder einer zentralen Gewerkschaftsführung zu
unterstellen oder auch aus der sozialdemokratischen Partei ausgeschlossen zu
werden. Die zu diesem Zeitpunkt auf etwa 16.000 Mitglieder angewachsene FVDG
verlor daraufhin im Jahre 1908 die Hälfte ihrer Mitglieder. So vollzog sich die
endgültige Abnabelung von der Sozialdemokratie. Die lokalistische Bewegung
entwickelte nun eigene Vorstellungen vom Umsturz des bisherigen und vom Aufbau
einer neuen Gesellschaft. Maßgeblich beeinflusst wurde sie hierbei in
Organisationsfragen von den französischen „Bourses du travail“ (der
syndikalistischen Bewegung Frankreichs) und in weltanschaulichen Dingen von der
Person Raphael Friedebergs, welcher auch den Staat und Parteien generell als
zentralistische Organisation ablehnte. In die selbe Richtung strebte auch die
innerhalb der Sozialdemokratie aufkeimende „Opposition der Jungen“ um Paul
Kampffmeyer.
So ersetzte der Begriff „Syndikalisten“ allmählich den der „Lokalisten“. Die
Organisation stabilisierte sich bei einer reichsweit eher unbedeutenden Zahl von
ca. 8.000 Mitgliedern und gaben mit der „Einigkeit“ und dem „Pionier“ zwei
zentrale Organe heraus. Fortan waren sie den vielfältigen Anfeindungen seitens
ihrer ehemaligen „Genossen“ ausgesetzt, welche keine Gelegenheit scheuten, auch
im Pakt mit Unternehmensleitungen, die Syndikalisten aus den Betrieben zu
drängen, da ihre Zentralgewerkschaften einen Absolutheitsanspruch vertraten und
keine „Konkurrenzgewerkschaften“ neben sich duldeten. Damit war den Lokalisten/
Syndikalisten neben den Kapitalisten ein weiterer mächtiger Gegner erwachsen.
Während die Zentralverbände eine rege patriotische Tätigkeit vor und während des
1. Weltkrieges entfalteten, wurden die Syndikalisten als vehemente Kriegsgegner
von Seiten der Behörden und der Sozialdemokratie entschieden bekämpft. Derweil
stieg der Einfluss anarchistischer Ideenmodelle, personifiziert in Proudhon,
Kropotkin oder auch Gustav Landauer.
3. Die Ausformung des Anarcho-Syndikalismus nach dem 1. Weltkrieg
Nach dem 1. Weltkrieg formierte sich die FVDG neu. Massen an von der
kriegsbefürwortenden SPD enttäuschten Arbeitern strömten in die sich bietenden
organisatorischen Alternativen, darunter auch in die FVDG, welche innerhalb nur
eines Jahres ihre Mitgliederzahl auf ca. 60.000 verzehnfachte. In ihr bot sich
nun eine reelle Form der Arbeiterselbstverwaltung, welche von den
sozialpartnerschaftlich ausgerichteten sozialdemokratischen
Zentralgewerkschaften als Bedrohung empfunden wurde. Die Syndikalisten waren
zusammen mit rätekommunistischen Strömungen das „Schreckgespenst“ für die
Sozialdemokratie. Denn sie warb nicht nur Massen an neuen Mitgliedern (bis zu
ca. 150.000 im Jahre 1922), sondern gelangte auch organisatorisch und auf
weltanschaulicher Ebene zu konkreter Konzeption, manifestiert in der
„Prinzipienerklärung des Syndikalismus“, welche 1919 dem 12. Kongress der FVDG
vom kommenden Haupttheoretiker des internationalen Syndikalismus, Rudolf Rocker,
vorgelegt und mit nur leichten Änderungen angenommen wurde. Im Gegensatz zur
Sozialdemokratie, welche den betrieblichen Organisationen einen politischen
Vormund, nämlich die politische Partei, auferlegte, erkannten die Syndikalisten
die Gefahren, die von einem solchen Dualismus ausgingen. Dementsprechend hoben
sie die Trennung von Ökonomie und Politik auf, damit das Proletariat seine
Geschicke auf allen Ebenen selber bestimmen konnte. Gemäß dieses Anspruchs
mussten die Syndikalisten eben auch alle Lebensbereiche selber organisieren. Die
Gesellschaft sollte sich selbst regieren und trug für sich selbst auch die volle
Verantwortung, denn „Freiheit existiert nur dort, wo sie vom Geiste persönlicher
Verantwortung getragen ist“, wie es Rudolf Rocker mal auf den Punkt brachte. Die
Ausgangsbasis des Lebens, und hier gingen die Syndikalisten mit Karl Marx
konform, bilde die Ökonomie, welche auf zwei Ebenen folgendermaßen organisiert
werden sollte: Auf der Produzenten-, wie auf der Konsumentenebene.
4. Mit einem klaren Konzept die Alternative zum autoritären Kommunismus:
Die „Freie Arbeiter-Union Deutschlands“ (FAUD)
Dementsprechend sollte die FVDG, welche sich 1919 umbenannte in „Freie
Arbeiter-Union Deutschlands (Syndikalisten)“ (FAUD (S.) nach
Industrieföderationen einerseits und Arbeitsbörsen andererseits aufgebaut sein.
Dabei sollten die Industrieföderationen, in denen reichsweit alle Ortsvereine
der selben Branchen zusammengeschlossen waren, für die betrieblichen Fragen und
den Tageskampf zuständig sein; die Arbeitsbörsen, welche branchenübergreifend
den regionalen und landesweiten Zusammenschluss aller Ortsvereine darstellten,
sollten sich für die Aufgaben im Bildungs- und Kulturbereich und in Fragen der
Weltanschauung zuständig zeigen. Hierin äußerte sich auch der grundsätzlich
föderalistische Organisationsaufbau, da jeder Ortsverein gleichberechtigt
mitbestimmen konnte, jedem Ortsverein gleichermaßen die ökonomische und
politische Macht zuteil wurde.
Die Kampfmittel lagen im wirtschaftlichen Bereich. Die FAUD als Gewerkschaft
wollte sich aber nicht damit begnügen, dort nur die Kämpfe zu führen, um die
politische und militärische Gewalt dann an die politischen Partei- und
Staatsorganisationen abzugeben. Die einmal über einen sozialen Generalstreik
errungene Macht des Proletariats sollte nicht wieder abgegeben werden.
Staatsformen und Parlamentarismus spielten somit in den Überlegungen der
Syndikalisten keine Rolle. Politische Verordnungen sollten durch freie
Vereinbarungen zwischen Produzenten- und Konsumentengruppen ersetzt werden.
Gemäß dieses gewünschten Organisationsmodells sollte sich die FAUD schon vor dem
sozialen Generalstreik konstituieren, um in der revolutionären Phase einen
möglichst reibungslosen Ablauf der Umstellung vor allem auf dem ökonomischen
Sektor, die Übernahme der Betriebe durch die Arbeiter selbst, zu garantieren.
Die Arbeitsbörsen würden für die Versorgung in eine Art „statistische Büros“
umgewandelt. Diese Vorstellungen konkretisierten die Syndikalisten und boten
damit eine realistische Perspektive einer freien sozialistischen Gesellschaft
an, während andere Arbeiterorganisationen entweder dem sowjetischen Vorbild, dem
Staatskapitalismus, nacheiferten, ihren Frieden mit den Privatkapitalisten
suchten oder überhaupt keine Vorstellungen einer sozialistischen Gesellschaft
vorzuweisen hatten. Diese Perspektiven allein verdienten die Beschäftigung mit
der syndikalistischen Bewegung. Im Gegensatz zu rätekommunistischen Strömungen
legten die Syndikalisten großen Wert auf tagespolitische Fragen, statt auf
günstige Rahmenbedingungen für eine kommende Revolution zu warten. Die
Gesellschaft völlig selbst zu verwalten bedeutete nämlich, sich die dazu
erforderlichen Fähigkeiten anzueignen und zu einzuüben. Über die Tageskämpfe
sollte die Arbeiterschaft für die Klassenkämpfe in Form gehalten werden. Zudem
konnte dies auch bei Teilerfolgen die Werbekraft der eigenen Organisation
erhöhen. Tatsächlich lösten sich rätekommunistische Organisationen Mitte der
zwanziger Jahre nach dem Abebben der revolutionären Phasen von 1918 bis 1923
auf, da sie keine Perspektiven mehr aufzeigen konnten. Viele Gruppen wechselten
dann zur FAUD. Bei diesen Kämpfen in der Frühphase der Weimarer Republik
spielten die Syndikalisten an manchen Orten eine teils führende Rolle. Die FAUD
wuchs zur Massenorganisation heran und ihre Ortsvereine verteilten sich nahezu
flächendeckend auf das ganze Reichsgebiet, auf Städte und Dörfer. Alle
Altersstufen waren vertreten. Von den vorgesehenen 12 Produktionsbereichen
konnten jedoch nur insgesamt 5 mit einer Industrieföderation abgedeckt werden:
Die Branchen Bau, Bergbau, Verkehr, Metall und Textil. An Orten, wo keine
obligatorischen 25 Mitglieder für eine Branchenorganisation zusammenkamen, wurde
eine „Vereinigung aller Berufe“ gegründet. Die Ortsvereine waren klar
durchstrukturiert: Gewählt wurden ein Vorsitzender und Stellvertreter, erster
und zweiter Kassierer, sowie die Revisoren, um die anliegenden Aufgaben, wie
z.B. Finanzen, Korrespondenz und Agitation zu regeln. Als oberste
Koordinierungsstelle verblieb die Geschäftskommission mit Fritz Kater als
Vorsitzenden in Berlin. Die Geschäftskommission wurde auf den ca. alle zwei
Jahre einberufenen FAUD-Kongressen gewählt – bis 1933 verblieb sie in Berlin.
Der FAUD-Kongress war das oberste beschlußfassende Gremium der Organisation. Zu
ihnen entsendeten die einzelnen Ortsvereine ihre Delegierten. Das zentrale
Publikationsorgan der FAUD war die wöchentlich erscheinende Zeitung „Der
Syndikalist“, welcher für die Mitglieder obligatorisch war und deren Auflage
sich dementsprechend der Mitgliederzahl anpasste. Daneben existierten noch
weitere Zeitschriften entweder auf regionaler Ebene oder als Organe der
Industrieföderationen. Auf betrieblicher Ebene erlangten die Ortsvereine der
FAUD nur an wenigen Orten größere Bedeutung, wie in Düsseldorf (Fliesenleger),
Berlin (Kistenmacher) oder im Ruhrgebiet (Bergbau). Doch zeigten sich die
Zentralverbände und auch christlichen „Gewerkschaften“ als überlegen.
4.1. Die wesentlichen Unterschiede zu den Zentralverbänden
Folgende aus der programmatisch Grundlage der „Freien Vereinigung deutscher
Gewerkschaften“ aus dem Jahre 1911 übernommenen Stichpunkte benennen die
Unterschiede der syndikalistischen Bewegung zu den Zentralverbänden in aller
Deutlichkeit: Die Zentralverbände: sind zentralistisch organisiert,
unselbständig, der Hauptvorstand verwaltet das Geld, Die Streiks müssen vorher
angemeldet werden, Der Hauptvorstand kann Streiks verhindern oder abbrechen, Die
Mitglieder werden zur Disziplin erzogen, Die Streiks der Verbände sind meist
Abwehrkämpfe, Die Verbände vertreten Berufsinteressen, Die Zentralverbände
beruhen auf dem Vertretungssystem, Die Verbände gewinnen und halten die
Mitglieder auf Grund der Kranken-, Arbeitslosen-, Sterbeunterstützung usw., Die
Zentralverbände erstreben Reformen innerhalb der kapitalistischen
Wirtschaftsordnung, die Verbände treiben die ausgedehnteste
Tarifvertragspolitik, Die Verbände sind Anhänger des Kleinstreiks, Die
Zentralverbände (und die Partei) erstreben militärische Reformen. Die
Syndikalisten sind föderalistisch organisiert, die Ortsvereine sind selbständig,
jeder Ortsverein verwaltet das Geld selbst, jede Organisation hat jederzeit das
Streikrecht, die Mitglieder haben über Anfang und Ende der Lohnbewegungen selbst
zu bestimmen, die Mitglieder werden zur Solidarität erzogen, die Streiks der
Syndikalisten sind meist Angriffskämpfe, die Syndikalisten vertreten
Klasseninteressen, die Syndikalisten empfehlen die direkte Aktion, die
Syndikalisten zählen nur Streik- und gemaßregelten- Unterstützung, die
Syndikalisten propagieren die revolutionären Kampfesmittel zum Sturz de
Kapitalismus, die Syndikalisten wollen nicht den Frieden, sondern den Kampf
gegen das Unternehmertum, die Syndikalisten verfechten die Idee des Massen- und
Generalstreiks, die Syndikalisten bekämpfen den Militarismus grundsätzlich. Nur
innerhalb zweier Jahre erlitt, bedingt durch vielerlei Ursachen, die sich
inzwischen „anarcho-syndikalistisch“ nennende Bewegung personelle Einbußen,
welche die FAUD auf nur ein fünftel ihrer Höchststärke schrumpfen ließ. Von
diesen verbleibenden etwa 20.000 bis 30.000 Mitgliedern können etwa die Hälfte
als ideologisch gefestigter Kern der Organisation bezeichnet werden.
4.2. Gründe für den Mitgliederrückgang der FAUD
Neben den schon angeführten zunehmenden Integration der Arbeiterschaft in die
bürgerliche Gesellschaft durch die Ausformung des „Wohlfahrtsstaates“, inneren
Richtungsstreitigkeiten, den konkurrierenden und quantitativ weit überlegenen
sozialpartnerschaftlich ausgerichteten Zentralverbände und der geringen
Werbekraft der FAUD als Ideenorganisation kamen noch folgende weitere Faktoren
hinzu, und zwar die voranschreitende Verbürgerlichung proletarischer Kultur,
staatliche Repression (Verbot der FAUD 1923), die zunehmende Arbeitslosigkeit
und die Unmöglichkeit, nur innerhalb weniger Jahre (1918-1923) die ihnen
zulaufenden Massen zu bilden, sowie ideologisch und kulturell in die
anarchosyndikalistische Bewegung zu integrieren.
4.2.1. Die Auswirkungen des Mitgliederrückganges auf betrieblicher Ebene:
Betriebsräte und Tarifverträge
Aus diesem Dilemma stark zurückgehender Mitgliederzahlen heraus drängten Fragen
nach der Beteiligung an gesetzlichen Betriebsräten oder nach Abschließen von
Tarifverträgen vielerorts an die Oberfläche innerorganisatorischer Debatten.
Derlei Aktivitäten wurden als unvereinbar mit den eigenen Prinzipien abgelehnt,
welche „direkte Aktionen“ gegen jede Form von Stellvertreterpolitik setzte. Doch
drängten gerade die Syndikalisten, wo sie noch über betrieblichen Einfluss
verfügten, wie etwa im Ruhrgebiet oder im Rheinland auf Toleranz in diesen
Fragen, welche dann auch bis 1933 zugestanden wurde. Als kleinere Ortsvereine
der FAUD tatsächlich Tarifverträge abschlossen, wurden diese vom Gesetz jedoch
nicht anerkannt, so dass diese Angelegenheit schließlich vor dem
Reichsarbeitsgericht landete, welches sich dagegen aussprach, dass eine ihre
Prinzipien nach revolutionäre und klassenkämpferische Organisation im Sinne des
Tarifrechtes handeln könne, da sie dann ja geltendes Recht anerkennen müsse.
Somit erwies sich auch dieser offenbar als Rettungsanker angesehene Vorstoß zur
Tarifpartei als nichtig. Beim Stellen von gesetzlichen Betriebsräten hatten die
übrigen Arbeiterorganisationen der FAUD im Wesentlichen schon den Rang
abgelaufen. Dennoch spielte diese Frage für die Organisation noch bis 1932 eine
bedeutender werdende Rolle, da sich die Aktiven, da ihnen eben die Massenbasis
fehlte, auf andere Weise Einfluss verschaffen wollten, um möglichst wirkungsvoll
für die Organisation werben zu können. Insgesamt jedoch war die Integration der
Arbeiter in einen sich ausformenden „Sozialstaat“ bereits vollzogen, und die
Zentralverbände wachten eifrig über ihre Maßgaben. In den Blick der
Syndikalisten gerieten in stärkerem Maße als für diese klassische
Industriearbeiterorganisation üblich schließlich auch die Landwirtschaft. Trotz
einer eigens eingeführten Beilage im „Syndikalist“ mit dem Titel „Frei das Land“
konnte diese Initiative reichsweit jedoch keinen nennenswerten Einfluss
erlangen.
4.2.2. Die FAUD im Spannungsverhältnis zwischen Industrieföderation und
Einheitsorganisation
Neben der Stärkung des Kultursektors bei gleichzeitiger Toleranz gegenüber von
ihren Prinzipien abweichenden Ortsvereinen versuchte die FAUD sich den
verändernden Verhältnissen auch durch eine Änderung des Organisationsaufbaus
anzupassen. Das Schwergewicht verlagerte sich von den aus der FVDG
hervorgegangenen Industrieföderation auf die Arbeitsbörsen – entsprechend
vermehrter Tätigkeit auf dem kulturellen Sektor. Da sich die ökonomischen und
sozialpolitischen Verhältnisse im Reichgebiet in unterschiedlichem Maße und
Geschwindigkeit änderten, entstanden folglich innerhalb der FAUD Spannungen um
eine reichsweit einheitliche Organisationsregelung. Die eine Seite, welche von
den Auswirkungen der äußeren Rahmenbedingungen bereits voll erfasst wurde,
strebte nach Organisierung in Form von „Einheitsorganisationen“, welche
branchenübergreifend tätig sein sollte. Und die andere Seite, welche noch
stärker die Bedingungen der unmittelbaren Nachkriegsjahre vorfand, wollte an der
älteren Struktur starker und eigenständiger Industrieföderationen festhalten.
Über die Frage einer notwendigen einheitlichen Regelung der
Solidaritätszahlungen in Streikfällen kam es dann zum offenen Streit um die
Zuständigkeit. Diese sollte künftig laut Kongressbeschluss über die
Arbeitsbörsen geregelt werden. Darin sahen die Verfechter der
Industrieföderationen einen entscheidenden Angriff auf die Eigenständigkeit der
Föderationsstruktur. Da in dieser Frage schnell entschieden werden musste, um
die immer mehr in die Marginalität gedrängten Genossen noch wirksam unterstützen
zu können, verhärteten sich die Fronten, was zur Abspaltung eines Teiles der
Bauarbeiterföderation, des eigentlichen Kerns der Gesamtorganisation, führte.
Die Umstellung von einer Gewerkschaft mit anarchistischem Anspruch zu einer
anarchistischen Organisation mit gewerkschaftlichem Anspruch war spätestens 1927
vollzogen. Als Ideenorganisation verfügte die FAUD nicht mehr über die
agitatorischen Kräfte, welche nötig waren, den Mitgliederschwund aufzufangen.
Schließlich waren vor ihnen bereits rätekommunistische, wie anarchistische
Organisationen wie die „Föderation kommunistischer Anarchisten Deutschlands“ (FKAD)
an dieser Eigenschaft gescheitert. Die Zentralverbände erholten sich hingegen
vom insbesondere durch die Inflation und die Ruhrbesetzung 1923 bedingten
allgemeinen Mitgliederschwund aller Arbeiterorganisationen, da sie es im Bund
mit der Gesetzgebung vermochten, die Arbeiter an ihre Organisationen zu binden.
4.3. Der Anarcho- Syndikalismus jenseits betrieblicher Organisation
Deutlich betonte der führende Kopf der deutschen und internationalen
syndikalistischen Bewegung, Rudolf Rocker, in der FAUD-Prinzipienerklärung, dass
der Sozialismus letzten Endes eine Kulturfrage sei. Dementsprechend
organisierten sich die Anarcho- Syndikalisten nicht nur auf dem betrieblichen
Sektor, sondern hatten an vielen bedeutenden Bewegungen ihren Anteil, um für
ihre Ideen zu werben und zugleich ökonomische und kulturelle Aufgaben anzugehen,
ganz im Sinne ihres Anspruchs, das gesellschaftliche Leben in allen Bereiche
auch selber organisieren zu können. Ganz in diesem Sinne gehe ich auch auf FAUD-
Personengruppenorganisationen, Hilfsorganisationen und der FAUD nahestehende
Alternativbewegungen ein. Desweiteren versuchten die Anarcho-Syndikalisten seit
Mitte der zwanziger Jahre, den anhaltenden Mitgliederverfalls der FAUD, auf
dessen Gründe ich bereits einging, durch Mehraktivität auf dem Kultursektor
aufzufangen. Hierbei zu nennen sind vor allem die Beteiligung von Syndikalisten
in der Freidenkerbewegung und die eng an die FAUD angeschlossene „Gilde
freiheitlicher Bücherfreunde“ (GfB). Der Einfluss des Anarcho- Syndikalismus auf
die proletarische Sängerbewegung muss noch erst erforscht werden. Hier soll es
genügen, darauf hinzuweisen, dass sie sich vielerorts in Gesangsvereinen
engagierten.
4.3.1. Die Kulturorganisationen
4.3.1.1. Die „Gemeinschaft proletarischer Freidenker“ (GpF)
Die Freidenkerbewegung mit reichsweit über einer Million Mitgliedern war in
unzählige Richtungen gesplittet, denn in den meisten Fällen gelang es den
politischen Parteien, ihren Einfluss geltend zu machen. Andererseits einte die
Freidenkerbewegung das Proletariat über Parteigrenzen hinweg gegen den starken
Einfluss der Kirchen. Die Syndikalisten engagierten sich gegen die
Machenschaften der Kirchen seit 1927/28 vermehrt in der Gemeinschaft
proletarischer Freidenker (GpF). So setzten sie anstelle der Konfirmationen
einen selbstorganisierten Schulentlassungsunterricht, wo sie gezielt über
weltliche Fragen aufklärten. Den Abschluss bildeten dann die
Schulentlassungsfeiern, auf welchen die Jugendlichen auch mit einem gewissen
Zeremoniell in die Welt entlassen wurden. Zentrales Anliegen war die Werbung für
den Kirchenaustritt. Dominierend waren hier jedoch die Mitglieder der KPD,
welche in den führenden Positionen gegen die Syndikalisten agierten. Die
Zusammenarbeit mit autoritären Kommunisten war innerhalb der FAUD umstritten,
doch hielt es die Mehrheit für notwendig, jenen nicht das Feld zu überlassen,
sondern sich aktiv im Sinne einer Freidenkerbewegung, welche diesem Namen auch
gerecht werden sollte, einzubringen. Doch schwand der Einfluss der
Syndikalisten, vor allem aufgrund der ständigen Fluktuation zwischen den
einzelnen Verbänden, der Dominanz der sozialdemokratischen Funktionäre, aber
auch den innerorganisatorischen geführten Kämpfen zwischen „linientreuen“ KPD-
Mitgliedern und denen der KP-Opposition. Die Gemeinschaft proletarischer
Freidenker bot den Syndikalisten insgesamt bei regionalen Unterschieden nur
wenig Raum zur Entfaltung.
4.3.1.2. Die „Gilde freiheitlicher Bücherfreunde“ (GfB)
Anders verhielt es sich mit der Gilde freiheitlicher Bücherfreunde (GfB). Diese
wurde von der FAUD seit 1927 eigens als eng mit ihr verbundene
Kulturorganisation gegründet und konzeptioniert. Ein Jahr später konstituierte
sich die GfB-Leipzig als erste Gildengruppe noch ohne reichsweiten Zusammenhang,
welcher sich im Jahre 1929 bildete. Die beitragspflichtigen Mitglieder wurden im
Gegenzug mit syndikalistischer Literatur versorgt und konnten Bücher auch durch
Teilzahlungen erwerben. Die Ortsvereine der Gilde organisierten Lesungen,
Theater-und Konzertvorstellungen mit Persönlichkeiten wie Erich Mühsam, Rudolf
Rocker, Emma Goldman, Helene Stöcker, Bruno Vogel oder Theodor Plivier. Als
Organ gab sie die Monats- und später Vierteljahreszeitschrift „Besinnung und
Aufbruch“ heraus. Rudolf Rocker veröffentlichte hier erste Auszüge aus seinem
erst Jahre später erscheinenden Werk „Die Entscheidung des Abendlandes“. Die
Gesamtmitgliederstärke belief sich bei einem rasanten Anstieg seit 1928
reichsweit auf 1.250 Mitglieder im Jahre 1931. Eine gleichzeitige Mitgliedschaft
in der FAUD war hier nicht obligatorisch. Die GfB kann als der insgesamt
erfolgreichste Versuch gewertet werden, den Mitgliederschwund der FAUD zu
verlangsamen. So wuchs die Göppinger Gilde (Württemberg) innerhalb nur eines
halben Jahres auf 80 Mitglieder an und stellte in der Kleinstadt noch vor der
sozialdemokratischen Büchergilde die größte Vereinigung dieser Art. Ihr Erfolg
lässt sich auch daran messen, dass sie nach dem Kriege unter dem gleichen Namen
weitergeführt wurde.
4.3.2. Die Hilfsorganisationen
4.3.2.1. Der „Reichsverband für Geburtenregelung und Sexualhygiene“(RVfG).
Eine Hilfsorganisation allen voran für jüngere Frauen, Arbeiter und arme
Proletarierfamilien fand sich im 1928 gegründeten „Reichsverband für
Geburtenregelung und Sexualhygiene“ (RVfG). Sie hatte es sich zur Aufgabe
gemacht, beratend tätig zu sein, über Verhütung, Abtreibung und Strafrecht
aufzuklären. Auch verteilten die Aktiven Verhütungsmittel und vermittelten
Abtreibungen. Der RVfG sollte dabei in politischer, gewerkschaftlicher und
religiöser Hinsicht neutral bleiben. Das FAUD- Mitglied Franz Gampe (Nürnberg)
führte den Vorsitz. Die Organisation wuchs bis zum Jahre 1930 auf über 15.000
Mitglieder in knapp 200 Ortsvereinen.
4.3.2.2. Die „Schwarzen Scharen“
Eine weitere Organisation bildete sich aufgrund der heftiger werdenden Attacken
links- und rechtsradikaler Organisationen auf Veranstaltungen
anarchosyndikalistischer Gruppen heraus. Besonders die Jugend formierte Ende der
zwanziger Jahre von Oberschlesien und Berlin ausgehend militante
Kampforganisationen, die sich in den meisten Städten „Schwarze Scharen“ nannten
und reichsweit über wenige hundert Angehörige verfügten.. Sie sollten
beispielsweise Veranstaltungen der FAUD oder nahestehender Organisationen vor
Störungen durch Nationalsozialisten oder Kommunisten schützen. Sie können als
das anarcho-syndikalistische Gegenstück beispielsweise zum „Reichsbanner“ der
SPD oder zum „Roten Frontkämpferbund“ (RFB) der KPD bezeichnet werden. Ihre
Mitglieder trugen einheitlich schwarze Kleidung, verfügten teilweise über
Schusswaffen und wurde auch in Auseinandersetzungen verwickelt. Die „Schwarzen
Scharen“ waren der FAUD nicht offiziell angegliedert, da es dort auch Proteste
gegen die Militarisierung der eigenen Organisation gab. Da die FAUD allerdings
auch nicht als eine grundsätzlich pazifistische Bewegung eingestuft werden kann,
wurden diese militanten Formationen geduldet und darüber hinaus vielerorts als
Saalschutz engagiert.
4.3.2.3. Die Erwerbslosenbewegung
Da die Unternehmen hauptsächlich antikapitalistische Arbeiter entließen,
sammelten sich diese schon bald massenhaft in Erwerbslosenausschüssen. Die
Gewichtungsverschiebung innerhalb der FAUD von den Industrieföderationen auf die
Arbeitsbörsen begünstigte die Beteiligung von Anarcho-Syndikalisten an dieser
Bewegung. Denn auch die FAUD ging auf die veränderten Bedingungen auf dem
Arbeitsmarkt ein, nachdem sie sich als Gewerkschaftsbewegung dem zu großen
Teilen eher verweigerte. Auf ihrem letzten Reichskongress 1932 gelang dieser
Frage der Durchbruch auf der zentralen Themenliste der Anarcho- Syndikalisten.
An vielen Orten beteiligten sie sich bereits an Erwerbslosenprotesten,
organisierten gegenseitige Hilfe und Beratungen. Aus der originären
Gewerkschaftsbewegung mit Streikwaffe war in großen Teilen in dieser Hinsicht
eine Konsumentenorganisation mit der Waffe des Boykotts geworden.
4.3.3. Die Alternativbewegungen zur FAUD
4.3.3.1. Die Siedlungs- und Genossenschaftsbewegung
Innerhalb der FAUD eher weniger angesehen waren die Aktiven der Siedlungs- und
Genossenschaftsbewegung, bei wenigen Ausnahmen wie die Schriftsteller Theodor
Plivier oder Helmut Klose. Der revolutionäre Klassenkampf sei nämlich nicht über
Separierung von der Arbeiterschaft, sondern nur als betriebliche
Klassenorganisation zu führen. Die Macht der Industriemonopole könne nur von
innen heraus durch die Beschäftigten gebrochen werden. Siedlungs- oder
Genossenschaftsprojekte hingegen seien nicht unabhängig, sondern letztlich vom
Wohlwollen ihrer kapitalistischen Konkurrenz abhängig und damit von vornherein
zum Scheitern verurteilt. Dennoch entstanden überall im Reichsgebiet
Siedlungsprojekte, an denen sich Anarchisten und Syndikalisten beteiligten. In
diesem Streit um die Siedlungsfrage wurde sogar ein Mitglied der Redaktion des
FAUD-Organs „Der Syndikalist“ seiner Aufgabe enthoben, da er trotz gegenteiliger
Absprache, nämlich die Beiträge auf betriebliche Fragen zu konzentrieren,
Artikel zur Siedlungsfrage veröffentlichte. Dies trüge dazu bei, aus einer
proletarischen Kampforganisation eine Sekte werden zu lassen, welche mit dem
realen Leben nichts mehr zu tun habe. Unter anarcho- syndikalistischem Einfluss
entstanden z.B. die Siedlungen „Freie Erde“ in Düsseldorf und Stuttgart oder
auch der Barkenhoff unter maßgeblicher Mitwirkung von Heinrich Vogeler in
Worpswede.
4.3.3.2. Die Vagabundenbewegung
Einen, wenngleich geringeren Einfluss, übte die Vagabundenbewegung auf den
organisierten Anarcho- Syndikalismus aus. Diese entfaltete sich zunehmend Ende
der zwanziger Jahre und organisierte sich um ihren „Vagabundenkönig“ Gregor Gog
seit 1927 in der „Internationale(n) Bruderschaft der Vagabunden“. Gog
organisierte 1929 bei Stuttgart einen ersten „Weltkongress der Vagabunden“ von
tatsächlich internationaler Beachtung. Desweiteren wurden Hungermärsche
organisiert. Als Organ der „Kundenbewegung“ erschien „Der Kunde“, herausgegeben
von Gog. Er und seine Frau, Anni Geiger- Gog, standen der FAUD sehr nahe und
publizierten in deren Organen. An dieser Bewegung beteiligten sich auch Theodor
Plivier und Helmut Klose. Gog wurde aufgrund seines offensiven Auftretens mit
einigen Strafverfahren überzogen, u.a. wegen Gotteslästerung. Ganz im Gegensatz
zur Mehrheit der anarcho-syndikalistischen Bewegung propagierte er die Faulheit
als revolutionäre Tat. Scharf kritisierte er den autoritären Kommunismus in
allen seinen Facetten, bis er im Jahre 1930 eine mehrwöchige Reise in die
Sowjetunion unternahm und um 180 Grad gewendet nach Deutschland zurückkehrte. Er
der Vagabund polemisierte nur wenige Monate später reichsweit auf zahlreichen
Veranstaltungen, darunter auch solche seiner einstigen Freunde, gegen
Anarchismus und Syndikalismus als kleinbürgerliche Bewegungen. Dies wurde in der
syndikalistischen Presse mit reichlich Häme und Warnungen vor seiner Person
quittiert.
4.3.4. Die Personengruppenorganisationen
4.3.4.1. Die „Syndikalistisch- Anarchistische Jugend Deutschlands“ (SAJD)
Zwei Personengruppen innerhalb der FAUD bildeten aufgrund eigener Spezifika noch
mal gesonderte Bereiche. Die Jugend konstituierte sich seit 1921 als
„Syndikalistisch- Anarchistische Jugend Deutschlands (SAJD). Ihre
Hauptaktivitäten lagen im Organisieren von Veranstaltungen, Wanderausflügen und
Werbung für den Anarcho-Syndikalismus. Sie hatte reichsweit bisweilen mehrere
Tausend Mitglieder und verteilte sich, wie die FAUD auf nahezu das gesamte
Reichsgebiet. Diese zwar organisatorisch von der FAUD unabhängige, dieser jedoch
sehr nahestehende SAJD formierte sich nach internen Richtungskämpfen zwischen
Individualisten und syndikalistisch orientierten Mitgliedern aus der sehr
zerstreuten anarchistischen Jugend („Freie Jugend“) heraus, welche auch
maßgeblich von Ernst Friedrich („Krieg dem Kriege“) beeinflusst wurde. Über ein
eigenes Organ namens „Die junge Menschheit“ verfügten sie als Beilage im FAUD-
Organ „Der Syndikalist“. Als weiteres Organ erschien das Monatsblatt „Junge
Anarchisten“. Mitte der zwanziger Jahre kam es dann innerhalb der SAJD noch mal
zu einem Loslösungsprozess von individualistisch- organisationsfeindlichen
Richtungen (Friedrich) und zum klaren Bekenntnis für den organisierten
revolutionären Klassenkampf und generell für das Führen von Tageskämpfen. Die
SAJD band sich somit noch fester an die FAUD, dessen Prinzipienerklärung als
maßgebend für die eigenständig bleibende Jugendorganisation anerkannt wurde.
Organisatorisch übernahm die SAJD den Aufbau der FAUD. So organisierten sie sich
auf Kreis-, Landes- und Reichsebene, richteten „Bezirksinformationsstellen“ und
eine Reichsinformationsstelle analog zu den Agitationskommissionen und zur
Geschäftskommission der FAUD. Tatsächlich erwuchsen aus dieser
Jugendorganisation eine Vielzahl der führenden Aktiven der FAUD der späten
zwanziger und frühen dreißiger Jahre, die sog. „Zweite Generation“ der FAUD,
nach der ersten, die sich noch aus den Vorkriegsmitgliedern speiste. Diese noch
stärker betrieblich orientierte erste Generation verlor zunehmend an
innerorganisatorischen Einfluß, während die Folgegeneration die angestrebte
Synthese aus Syndikalismus und Anarchismus noch am meisten verkörperte.
4.3.4.2. Der „Syndikalistische Frauenbund“ (SFB)
Neben der Jugend verlangten auch die organisierten Frauen eine spezielle
Organisationsform.
Sie gaben sich schon Anfang der zwanziger Jahre eine programmatische Grundlage
und riefen in Kooperation mit der Geschäftskommission dazu auf, reichsweit
syndikalistische Frauenbünde zu gründen. Die meisten Ortsvereine existierten
jedoch nur kurzweilig. Die Frage danach, ob die Frauenbünde einen eigenen
Produktionssektor darstellten oder auf der oben beschriebenen Konsumptionsebene
organisiert gehörten, war in der Gesamtorganisation, wie in den Frauenbünden
selber heftig umstritten. Der sich konstituierende „Syndikalistische Frauenbund“
(SFB) engagierte sich für Sexualhygiene, die legale Abtreibung und verstand sich
auch als Ergänzung zu den ggf. streikenden Männern, welchen sie durch
organisierte Boykottbewegungen zur Seite stehen wollten. Die Ansicht, als
eigenständiger Produktionssektor agieren zu wollen, setzte sich nicht durch. Der
Syndikalistische Frauenbund verfügte über das Organ „Der Frauenbund“, das als
regelmäßige Beilage im „Syndikalist“ erschien. Charakteristisch für die
syndikalistischen Frauen im Gegensatz zur übrigen Frauenbewegung war ihr stolzer
Bezug auf ihre Rolle als Hausfrauen und Mütter. Für die meisten
syndikalistischen Frauen bedeutete Gleichberechtigung nicht die Maloche in der
Fabrik, sondern die Anerkennung und Würdigung ihrer Arbeit im Haushalt und in
der Kindererziehung. Dementsprechend bestimmten Themen in diesem Zusammenhang
auch die syndikalistische Frauenpresse. Die Frauenbünde wurden nach Eigenangabe
gerade wegen frauenspezifischer Themen gegründet, wohingegen berufstätige Frauen
sich in den bestehenden Industrieföderationen organisieren sollten.
Obwohl ihre männlichen Genossen auch auf FAUD- Kongressen (dazu gab es sogar
einen Kongressbeschluss) und von der Geschäftskommission aufgefordert wurden,
dafür zu sorgen, an jedem Ort auch Frauenbünde mit aufzubauen, verweigerten
Syndikalisten an vielen Orten ihre aktive Mitarbeit. Die Frauen beschwerten sich
häufig sogar über regelrechte Boykotts seitens ihrer Genossen. Doch gab es auch
Orte, an denen die Zusammenarbeit von Respekt und Solidarität gekennzeichnet
war. Der Frauenbund erreichte reichsweit Mitgliederzahlen von 800 bis 1.000
Frauen.
4.3.4.3. Die Kinderbewegung
Als weiterer Bereich kann noch die FAUD-interne Kinderbewegung genannt werden,
welche oft von den Frauenbünden betreut wurden. Als Organ erschien von 1928 bis
1930 der „Kinderwille“ mit einer Auflage bis zu 600 Exemplaren. Die Kinder
sollten zu selbstbewusste gesellschaftsfähige Individuen erzogen werden, welche
im Geiste gegenseitiger Hilfe und Solidarität heranwachsen zu
verantwortungsbewussten Persönlichkeiten. Die anarcho- syndikalistischen
Kinderorganisationen belegen noch mal den Anspruch, wirklich alle Bereiche
gesellschaftlichen Lebens zu einer organischen Einheit zu verbinden. Die meisten
Kindergruppen waren jedoch nur von kurzer Lebensdauer.
4.4. Das Ende der FAUD
Die FAUD erkannte die Gefahr, die vom Nationalsozialismus ausging sehr früh und
bereitete sich dementsprechend auf die Illegalität vor. Bereits Ostern 1932
wurden diese Pläne auf dem letzten, dem 19. Kongress der FAUD, konkretisiert.
Die Geschäftskommission sollte nach Erfurt verlagert werden und die Ortsvereine
sich möglichst vor einem Verbot auflösen. Kleine vertraute Zirkel sollten
untereinander ein Verbindungsnetz herstellen, um weiterhin reichsweit operieren
zu können. Die FAUD wurde dann 1933 verboten, im März das Büro der Berliner
Geschäftskommission durchsucht und einige Funktionäre festgenommen. Ihre
Mitglieder organisierten sich in der Illegalität oder Emigrierten. Die illegale
Leitung der FAUD ging über Erfurt nach Leipzig über. In den Jahren 1936/37 wurde
ihr Widerstand aufgerollt, die nach Spanien emigrierten Aktiven vereinten sich
nun jenseits der Grenze in der Gruppe „Deutsche Anarcho- Syndikalisten“ (DAS),
welche aktiv bei der Spanischen Revolution mitwirkten.
Nach dem 2. Weltkrieg organisierten sich die in Deutschland verbliebenen
Anarcho-Syndikalisten in der Föderation freiheitlicher Sozialisten (FFS), welche
sich mit nur einigen hundert Mitgliedern nun ganz bewusst als reine
Ideenorganisation konstituierte und eine eigenständige anarcho-syndikalistische
Organisation auf betrieblicher Ebene verwarf. Stattdessen wirkten sie u.a. in
Gemeinderäten, Betriebsräten und Kulturorganisationen, um die Ideen des Anarcho-
Syndikalismus zu verbreiten. Sie gaben eine Zeitschrift namens „Die freie
Gesellschaft“ heraus, in welcher sich nochmals die ganze Reife und Erfahrung der
besten Mitglieder der Bewegung zeigte. Altersbedingt lösten sich die meisten
FFS- Gruppen in den fünfziger Jahren auf, da kein Nachwuchs gefunden werden
konnte. Die wenigen verbliebenen, wie z.B. Augustin Souchy oder der Kasseler
Willi Paul, gaben noch ausführliche Interviews und publizierten fleißig
wertvolle Erinnerungen. In den letzten Jahren erschienen noch einige
Biographien, beispielsweise von Helmut Kirschey, Hans Schmitz oder Kurt Wafner,
welche zu Beginn der dreißiger Jahre gerade Jugendliche waren.
5. Der Syndikalismus und seine Bedeutung
Wenn gleich ich hoffe, die Bedeutung der Inhalte des Anarcho- Syndikalismus
bereits hinreichend dargestellt zu haben, möchte ich doch noch folgendes
anfügen:
Nehmen wir die rein mengenmäßige Stärke zur Grundlage einer Beurteilung über die
Bedeutsamkeit des Anarcho- Syndikalismus in Deutschland, so können wir
konstatieren, dass die FAUD mit kurzweilig bis zu 150.000 Mitgliedern über eine
Massenbasis verfügte. Stellen wir diese Anzahl einmal anderen
Arbeiterorganisationen zur selben Zeit gegenüber, müssen wir jedoch feststellen,
dass sie auch zu ihrer besten Zeit weit abgeschlagen hintenan stand. Die
rätekommunistischen marxistischen Organisationen, wie auch die
Hirsch-Dunckerschen Gewerkvereine lagen bei mehreren Hunderttausenden, die
christlichen Gewerkschaften vereinigten über einer Million Mitglieder und der
Allgemeine Deutsche Gewerkschaftsbund (ADGB) erreichte knapp die 10
Millionen-Grenze. Die FAUD hatte auch nach eigener Einschätzung zu keiner Zeit
das Ziel erreicht, auf betrieblicher Ebene reichsweit eine bedeutende Rolle zu
spielen. In dieser Hinsicht bliebe nur noch anzumerken, dass es auf
internationaler Bühne ein gutes Beispiel für eine anarcho-syndikalistische
Umgestaltung der Gesellschaft gegeben hatte, nämlich infolge der Spanischen
Revolution im Jahre 1936. Warum beschäftigen sich also immer noch Menschen mit
diesem Thema? Zunächst einmal fällt bei Forschungsarbeiten auf, dass im
Gegensatz zu heute der Syndikalismus bei proletarischen Zeitgenossen überwiegend
bekannt gewesen ist. Das macht stutzig bei einer so kleinen Organisation, zumal
es damals im Vergleich zu heute an Massenmedien weitgehend mangelte. Es wird an
ihrer konsequenten Kriegsgegnerschaft gelegen haben, an ihrer unermüdlichen
Agitation vor dem 1. Weltkrieg, dass sie bei vielen enttäuschten
Sozialdemokraten in Erinnerung blieben und schon in den ersten Nachkriegsmonaten
diesen Zulauf verzeichnen konnten. Die Zeitungen von Arbeiterparteien und
Zentralgewerkschaften sind voll mit Warnungen und Verunglimpfungen
syndikalistischer Organisationen. Die Funktionäre der sozialpartnerschaftlichen
Verbände hatten, so ließt es sich, den Syndikalismus, das „französische
Gewächs“, als Gespenst vor Augen. In ihrem Kampf gegen jede Form von
Arbeiterselbstorganisation hielten die Funktionäre fest zusammen. Das bedeutet
nichts anderes, als dass der Syndikalismus in den deren Augen offenbar über
reelle Einflussmöglichkeiten verfügen konnte. Daneben fällt der unerbittliche
Kampf auch auf Betriebsebene gegen jede Form eigenständiger Organisierung von
Arbeitern auf. Die Zentralverbändler gingen sogar soweit, gegen ihre
syndikalistischen Kollegen für deren Entlassung in den ansonsten viel
geschmähten Streik zu treten. Auch dem „Organ der Arbeiter- und Soldatenräte
Deutschlands“, dem „Arbeiter- Rat“, blieb in den Revolutionsjahren 1919/20 die
syndikalistische Arbeiterbewegung nicht verborgen. Ganz im Gegenteil sahen sich
die sozialdemokratischen Arbeiterräte in ihrer Reichszeitung dazu angehalten,
die „Arbeiter Unionen“ als ein „neues Geschwür der Arbeiterbewegung“ zu
titulieren. Nach eingehenden Quellen soll die Anzahl der an der Märzrevolution
beteiligten Syndikalisten über 40 % betragen haben. Ihr Kampf findet sich dann
z.B. beschrieben bei Erhard Lucas oder Hans Marchwitza. Die Politische Polizei
der Weimarer Republik subsumierte die Syndikalisten nicht unter kommunistische
Organisationen, wie bei vielen Historikern und anderen „Wissenschaftlern“
üblich, sondern gaben ihr einen eigenständigen Status. In den zu Beginn der
Republik angelegten Lichtbilddateien befanden sich gleich unter den ersten
registrierten Personen auch Syndikalisten neben „Berühmtheiten“ wie Kurt
Tucholsky oder Walter Ulbricht. Desweiteren ist darauf hinzuweisen, dass die
syndikalistische Bewegung oder zumindest Teile von ihr auch in prominenten
Kreisen nicht nur bekannt war, sondern teilweise auch für unterstützenswert
erachtet wurde. So spendeten beispielsweise die bekannten Frauenrechtlerinnen
Helene Stöcker und Anita Augspurg über den Sammelfond der FAUD für das Landauer-
Denkmal in München. Stöcker sprach auf Veranstaltungen der Gilde freiheitlicher
Bücherfreunde und ihre Texte wurden im Organ des syndikalistischen Frauenbundes
publiziert. Von syndikalistischer Seite wurde ihr zugesprochen als „einer uns in
vielen Dingen nahestehenden, sympathischen Kämpferin“. Kein anderer als der
Schauspieler Alexander Granach gab den Aktiven Erich Mühsam und Rudolf Rocker
Geld, womit diese die Ausreise von Durruti und Ascaso, den beiden späteren
Hauptakteuren der Spanischen Revolution, finanzierten, welchen sie aktive
Fluchthilfe leisteten.
Auch der zur Legende gewordene Nestor Machno (Anführer der „Machno-Bewegung“ in
der Ukraine) kam als Flüchtling bei Rudolf Rocker unter. Im Auftrage deutscher
Militärs verfasste der Begründer der Soziologie, Max Weber, einen längeren
Aufsatz zu Syndikalismus und Antimilitarismus, wo er deren Anhänger als
konsequenteste Kriegsgegner bezeichnete. Sogar Lenin erwähnt in „Staat und
Revolution“ die syndikalistische Bewegung (in Deutschland) in einem Atemzug mit
führenden Arbeitervertretern, wie Karl Legien, welchen er für das Erstarken der
von ihm selbst ungeliebten syndikalistischen Bewegung, den „leiblichen Bruder
des Opportunismus“, verantwortlich machte. Von selber versteht es sich, dass den
Bohemiens, wie beispielsweise Ernst Toller, Oskar Maria Graf oder Erich Mühsam
die Bewegung nicht nur bekannt gewesen ist, sondern Mühsam, gut befreundet mit
Rudolf Rocker, noch im Jahre 1933 in die FAUD eintrat. Auch Heinrich Vogeler,
der bekannte Maler und Gründer der Künstlersiedlung „Barkenhoff“ in Worpswede
bei Bremen stand der anarchistischen und syndikalistischen Bewegung sehr nahe
und bot ihnen eine Heimstätte. Es nimmt nicht weiter Wunder, dass der „Herodot“
der Geschichte der Anarchie, Max Nettlau, in gleichfalls engem Kontakt zur
Bewegung stand und keine andere als die berühmte Schriftstellerin Ricarda Huch
von ihm die Materialien für ihre Bakunin-Biographie erhielt. Der deutsche
expressionistische Schriftsteller Carl Einstein lernte die Bewegung zwar erst
später kennen, aber kämpfte nach für ihn überzeugenden Begegnungen mit deutschen
Anarcho-Syndikalisten im Spanischen Krieg in der Kolonne Durruti und legte über
seine Erfahrungen dort wunderbares Zeugnis ab.
Albert Einstein kam genauso wie Thomas Mann in den Genuss des wohl bedeutendsten
geschichtsphilosophischen Werkes aus der Bewegung, Rudolf Rockers „Entscheidung
des Abendlandes“, und beide überhäuften sich förmlich mit Komplimenten. Die
führenden Anarcho- Syndikalisten, wie Rocker oder Augustin Souchy waren vor
allem nach dem 2. Weltkrieg beliebte Vortragsredner an Universitäten. Apropos
Universität: Noch bevor die Philosophin Hannah Arendt Universitätsluft
schnupperte, formulierte die syndikalistische Bewegung aus der Praxis heraus und
mittels eines guten internationalen Korrespondentennetzwerkes eine Art
„Totalitarismustheorie“, die sich gewaschen hat, voran Emma Goldman, Rudolf
Rocker oder Alexander Schapiro. Auch nahmen politische Karrieristen, darunter
spätere Bürgermeister und Landtagsabgeordnete ihren engagierten Anfang in und
bei der syndikalistischen Bewegung, wobei der bekannteste unter ihnen es bis zum
Fraktionsvorsitzenden der SPD bringen sollte: Herbert Wehner. Rudolf Steiner
möchte ich hier gar nicht vorenthalten: Das revolutionäre Nachkriegsklima
versuchte auch der Begründer der Anthroposophie für seine Zwecke zu nutzen. So
sprach er in vielen Fabriken, vor allem Süddeutschlands, zum Thema
„Dreigliederung des sozialen Organismus“ zur Arbeiterschaft und strebte nach
einer erfolgten gesellschaftlichen Umwälzung einen möglichen Posten im
Kultusministerium an. Hierbei wandte er sich im besonderen an die
syndikalistische Bewegung und stellte die Gemeinsamkeiten beider Bewegungen
heraus. Auch gab es gemeinsame Veranstaltungen. Nachdem er von den Syndikalisten
einen Korb bekommen hatte, wandte er sich sich beleidigt von diesen ab und
vermögenderen Kreisen zu, um seine „geistvollen Sozialvorstellungen“
verwirklichen zu können. Eine Hauptrolle spielten die hiesigen Syndikalisten
auch bei der Reorganisierung der internationalen syndikalistischen Bewegung. Als
die kommunistischen Parteien unter Moskaus Führung sich Anfang der zwanziger
Jahre anschickten, die Rote Gewerkschafts- Internationale zu gründen, um alle
Konkurrenzorganisationen aus dem Wege zu räumen, schalteten die Protagonisten
der internationalen syndikalistischen Bewegung schnell und gründeten rechtzeitig
im Jahre 1922 die Internationale Arbeiter- Assoziation, als bewusste Fortsetzung
der 1. Internationale in bakuninscher Tradition. Rudolf Rocker und Augustin
Souchy (beide Deutschland – FAUD) wurden zusammen mit dem Russen Alexander
Schapiro in den Vorsitz gewählt. Das Büro befand sich bis 1933 in Berlin. Die
Organisation hatte zu Beginn über eine Million Mitglieder – Im Jahr 1936 sollten
es alleine in Spanien etwa 1 ½ Millionen werden. Für Millionen von Arbeitern war
die von Rudolf Rocker verfasste Prinzipienerklärung maßgebend.
Denjenigen deutschen Anarcho- Syndikalisten, welchen es gelang, bei Ausbruch der
Spanischen Revolution 1936 über eine eigene Fluchthilfeorganisation über die
Grenze Richtung Spanien zu kommen, organisierten sich bei ihren Spanischen
Genossen, welche soeben die Macht in Katalonien übernommen hatten, als
eigenständige Auslandsorganisation, den „Deutschen Anarcho- Syndikalisten“
(DAS). Hier erfuhren sie, was es bedeutete, an ihr Ziel zu gelangen, eine freie
Gesellschaft ohne Hierarchien und Bevormundung mit aufzubauen, Arbeit und Leben
in die eigenen Hände zu nehmen und sich hierfür ganz verantwortlich zu zeigen.
Die DAS sorgte für die Korrespondenz für die illegalen Widerstandskämpfer in
Deutschland und hebelte als Exekutive die noch in Katalonien befindlichen
faschistischen deutschen Gruppen aus. Viele von ihnen kämpften an der Front
gegen die Franco- Armee. Die DAS stand damit, obgleich mengenmäßig weit
unterlegen, den kommunistischen Internationalen Brigaden an Bedeutung für die
Revolution und ihre Träger in nichts nach. Im Gegenzug erahnten die
faschistischen Behörden in Deutschland die mögliche Sogwirkung, die entsteht,
wenn sich das Proletariat erst einmal militärisch erhebt und stellte die in
Deutschland verbliebenen Anarcho- Syndikalisten unter gesonderte Beobachtung. Im
„Brockhaus“ findet sich der Begriff „Syndikalismus“ noch bis in die fünfziger
Jahre hinein, dann verschwand er auch hier von der Bildfläche.
Wer sich für die heutige anarcho-syndikalistische Bewegung interessiert, sollte
die Internetseite des Instituts für Syndikalismusforschung aufsuchen: http://www.syndikalismusforschung.info
Download
im PDF-Format hier
Text in Englisch hier
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