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Dem Widerstand auf der Spur Geschichte der FAU Bern – Teil 2 In der letzten di schwarzi chatz Ausgabe berichteten wir über die Entstehung der FAU Bern und ihre Aktivitäten bis ungefähr Ende 2007. Von der Zeit danach berichtet dieser Artikel. Schon lange wurde in der FAU überlegt, wie das Internet als Werkzeug genutzt werden könnte. Es entstand die Idee, eine Art wikipedia für Probleme an der Arbeit und Erfahrungen und Tipps für den Widerstand zu entwerfen. Im Frühjahr 2008 ging dieses Projekt unter dem Namen laborpedia online. Das Projekt beschreibt sich so: „Mit laborpedia wollen wir eine Möglichkeit schaffen, dass Leute, die kämpfen wollen, sich unabhängig von Gewerkschaften organisieren können und nicht auf deren Funktionäre und Infrastruktur angewiesen sind. laborpedia soll Selbstvertrauen schöpfen, auf die eigene Stärke zu bauen und ein Ort sein, an dem solche Erfahrungen weitergegeben werden.“ Ein solches Angebot wird aber erst interessant, sobald genügend Material darauf ist. Wir stellten also ein paar Geschichten und Erfahrungen von uns selbst, oder von denen wir gehört hatten, online. Darunter befindet sich auch ein Bericht eines Konflikts um den Menüpreis in einer grossen Betriebskantine in der Berner Agglomeration. Die dort von der Firmenleitung durchgesetzte Erhöhung des Menüpreises kam bei der Belegschaft sehr schlecht an, worauf sich ein paar mutige Angestellte organisierten und aus Protest am Mittag auf dem Parkplatz eine eigene „Kantine“ aufmachten. Dort gab es z.B. Paella für 5.- pro Teller. Dieses Angebot wurde so gut genutzt, dass die offizielle Kantine leer stand und das Management sich gezwungen sah, die Preiserhöhung rückgängig zu machen. Wir stellten auch ein komplettes Buch online, das wir von den HerausgeberInnen freundlicherweise zur Verfügung gestellt bekommen haben. Das auf Interviews basierende Buch heisst Sabotage. ArbeiterInnen aus den USA erzählen und gibt viele lebendige Beispiele dessen, was Leute gegen den täglichen Anschiss auf der Arbeit so alles unternehmen. Da sich nach einiger Zeit aber niemand mehr bemühte, das Projekt weiterzutrieben, blieb es eine offene Baustelle. Trotzdem besitzt das Projekt ein grosses Potential und es wäre schön, wenn sich Leute finden würden, die es weiterverfolgen. Die Adresse lautet: http://laborpedia.immerda.ch. Im Sommer 2008 trug die FAU Bern zu einer Aktion mit internationalem Hintergund bei: ArbeiterInnen des Kaffeehaus-Multis Starbucks hatten sich in der Basisgewerkschaft IWW in den USA und in Spanien in der CNT organisiert, um gegen die prekären Arbeitsbedingungen zu kämpfen. Starbucks antwortete darauf mit der gezielten Entlassung der aktiven Angestellten. Deshalb wurde im Juli 2008 zu einem globalen Aktionstag gegen Starbucks aufgerufen. Das Resultat war beeindruckend: in rund 20 Ländern wurde vor Starbucks-Filialen gegen die gewerkschaftsfeindliche Praxis des Konzerns protestiert. In Bern hatten wir vorher mehrere Male kleine Handzettel an die Belegschaften der zwei Starbucks verteilt, mit denen wir sie über den Aktionstag informierten und für Rückmeldungen unsere Kontaktadressen angaben. Darauf meldete sich tatsächlich jemand, der an der Arbeit bei Starbucks Bern folgende Punkte kritisierte: kein regelmässiges Durchführen von obligatorischen Lohngesprächen, Nachhauseschicken und nicht bezahlen von Angestellten „wenn nicht viel läuft“, teilweise Arbeit auf Abruf. Diese Informationen wurden von uns in unser Flugblatt eingebaut, dass wir am Aktionstag beim Starbucks am Waisenhausplatz zu hunderten verteilten. Da wir dazu auch eigenen zapatistischen Eiskaffee ausgaben – gratis oder gegen Spende – gelang es uns, viele Leute vom Besuch des Starbucks abzuhalten. Aus der Aktion resultierten auch viele gute Diskussionen. Zudem wurden von einer weiteren Gruppe auch bei der Filiale am Hirschengraben Flugblätter verteilt. Leider ist aus der Aktion kein längerfristiger Kontakt zur Starbucks-Belegschaft oder anderen Interessierten entstanden. Im Herbst 2008 wurden wir in einem Arbeitskonflikt in einem Call Center in der Region Bern verwickelt. Dort hatten sich Angestellte unabhängig organisiert, um mit einer Petition bessere Bedingungen einzufordern. Die Firma betreibt auch in einer anderen Stadt ein Call Center, und wir wurden von der Angestelltengruppe angefragt, die Petition dort zu verbreiten (damit die aktiven ArbeiterInnen sich nicht selbst exponieren mussten). Ein paar Mitglieder der FAU Bern gingen also an einem Abend zu dem auswärtigen Betrieb und hielten den Leuten die Petition unter die Nase. Diese reagierten sehr interessiert und nahmen Petitionsbögen mit rein, so dass schlussendlich fast die ganze Schicht unterschrieben hat. Im Gespräch fanden wir heraus, dass diese Angestellten sogar noch 2.- weniger pro Stunde verdienten als die die Leute im Raum Bern. Nachdem die Petition von einem beträchtlichen Teil der Belegschaft unterzeichnet war, wurde sie abgeschickt. Das Management reagierte aber lange Zeit nicht darauf und die aktiven Angestellten fürchteten zunehmend Repressalien. Ende 2008 meldete das Management dann, die Forderungen nach der Jahresabrechnung zu „prüfen“. Es endete damit, dass die Leute der obersten Kategorie (zu der die meisten Aktiven gehörten) 2.- mehr Lohn bekamen, während für alle anderen die Zeit, die sie zu arbeiten haben, bis sie eine Lohnkategorie aufsteigen, verdoppelt wurde. Die Spaltung zwischen „Kernbelegschaft“ und Temporären, die seit Jahren überall benutzt wird um Löhne und Arbeitsbedingungen zu drücken, hat also wieder einmal funktioniert – und die Firma hat dabei wahrscheinlich noch Gewinn gemacht. Aus dem hoffnungsvollen Kampf wurde also eine völlige Niederlage. Es gäbe noch viel zu diesem Thema zu sagen – auch zu dem, was nachher noch in dem Betrieb gelaufen ist – doch geht dies aus Platzgründen nicht. Nachdem die globale Krise definitiv über die Welt hereinbrach und das Thema „Wirtschaftskrise“ in aller Munde war, beteiligten sich FAU-Mitglieder an einem Bündnis aus politischen Gruppen und Einzelpersonen, das um den Jahreswechsel 2008/2009 unter dem Namen Stop the game! eine Informationskampagne und eine Demonstration zur kapitalistischen Krise durchführte. Anfang 2009 führte die FAU Bern vor dem Nestlé-Hauptsitz in Vevey eine Protestaktion durch. Dazu waren wir von Leuten unserer Schwestergewerkschaft ZSP aus Polen angefragt worden. Sie waren von Jacek Kotula, einem Gewerkschaftsaktivisten bei einer Nestlé-Tochterfirma in Polen um Unterstützung gebeten worden, weil dieser wegen seiner Gewerkschaftstätigkeit von Nestlé entlassen sowie im Privaten terrorisiert wurde und ihn seine eigene Gewerkschaft Solidarność fallen gelassen hatte. Schön war, dass die Rzeczpospolita, eine der grössten polnischen Tageszeitungen, einen guten Bericht über die Aktion und ihre Hintergründe veröffentlicht hat. Um besser mit unserem Umfeld von FreundInnen und SymphatisantInnen vernetzt zu sein, führten wir im Frühjahr 2009 die Passivmitgliedschaft ein, richteten einen Newsletter-Dienst ein und begannen, die Direkte Aktion – die Zeitung der FAU Deutschland – im Abo zu vertreiben. Bald darauf brachten wir die erste Ausgabe unserer eigenen Zeitung di schwarzi chatz heraus, die seither alle zwei Monate erscheint. Die aktuellsten Dinge seien hier nur kurz erwähnt: Wir haben im Herbst 2009 zwei kleine Demonstrationen für sechs in Serbien zu Unrecht inhaftierte soziale AktivistInnen („Belgrade 6“) und am 20. Februar dieses Jahres eine Flugblattaktion gegen das Gewerkschaftsverbot der FAU Berlin durchgeführt. Dazu sind Mitglieder von uns am Internetforum chefduzen.ch beteiligt. Und wir planen für 2010 eine Kampagne zur Sensibilisierung von Lehrlingen. Zum Schluss sollen noch ein paar Worte der Selbstkritik gewidmet sein. Am meisten ins Auge sticht, dass wir all die Jahre hindurch nicht wirklich mehr Mitglieder geworden sind. Die FAU Bern hat zwar immer wieder neue Mitglieder dazugewonnen, aber genauso andere verloren, die in andere politische Organisationen wechselten oder sich ganz aus der politischen Aktivität zurückgezogen haben. Dies hängt unbestreitbar mit den internen Dynamiken und informellen Hierarchien zusammen, die sich in der FAU Bern ergaben und die teilweise für Verärgerung und böses Blut sorgten. Dazu kommt, dass einige ihre knappe Freizeit lieber mit ihren Hobbys verbringen, schliesslich ist es klar, wie schwierig – manche würden sagen: hirnrissig – es ist, einem Land wie der Schweiz auf so etwas wie ein selbstorganisiertes und kämpferisches ArbeiterInnen-Millieu hinzuarbeiten. Wir haben aber ein gutes Verhältnis zu unseren Ex-Mitgliedern und können, wenn uns mal ein grösserer coup gelingt, mit ihrer Unterstützung rechnen – und umgekehrt. Mit der Krise treten die sozialen Widersprüche offen zu Tage und das Terrain wird vielleicht fruchtbarer für unsere Ansätze. Wir sind gespannt, was die Zukunft bringt. Aus: Di Schwarzi Chatz Nr. 5 (März/April 2010)
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