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Anmerkungen zu:

Sébastien Faure
Die anarchistische Synthese und andere Texte
herausgegeben, bearbeitet und mit Annotationen versehen von Jochen Knoblauch

Verlag Edition AV, ISBN 3-936049-85-5, 80 Seiten, 9,80 €

Als Erich Mühsam diesen Aufsatz des französischen Anarchisten Sebastien Faure (1858-1942) im „FANAL“ Ende 1928 in zwei Teilen veröffentlichte, war die Sache in Deutschland schon gegessen. Teamfähige Syndikalisten und Anarchisten standen zusammen auf der einen Seite und ärgerten sich seit Jahren mit selbsternannten Anarcho-Aristokraten herum, und die Grenze dazwischen war fest umrissen. Zu den teamfähigen Anarchisten zählten im deutschsprachigen Raum u.a. Max Nettlau und Erich Mühsam, zu den Anarcho-Aristokraten beispielsweise Ernst Friedrich, Carl Langer, Rudolf Oestreich oder Pierre Ramus. Zieht man letztere ab, so könnte der Appell Faures nach einer anarchistischen Synthese tatsächlich einladend wirken, doch zu groß war der Einfluß der aufgezählten Egomanen, welche innerhalb weniger Jahre viele Gruppen gegeneinander aufgewiegelt und gespalten hatten.

Doch worum geht es im Text Faures von der anarchistischen Synthese genau?

Faure appelliert in anbetracht des zunehmenden Einflusses faschistischer Richtungen zum Zusammenhalt dreier anarchistischer Strömungen, des Anarcho-Syndikalismus, des freiheitlichen Kommunismus (meint hier kommunistischen Anarchismus) und des anarchistischen Individualismus, welche er als eine „Gesamtbewegung des Anarchismus bezeichnet“. Und darin liegt der erste Fehler, nämlich die französischen Verhältnisse ins Deutsche zu übertragen. Denn hier war der kommunistische Anarchismus dem Anarcho-Syndikalismus bereits immanent, stellte der Anarcho-Syndikalismus bereits eine Synthese zwischen Syndikalismus und Anarchismus dar. Insofern gab es hier nur den einen von mir oben bereits angedeuteten Grenzverlauf zwischen Anarcho-Syndikalisten und Anarchisten auf der einen Seite und den Individualisten auf der anderen Seite, welche zwar so manch lesenswertes zu verfassen wussten, deren Eskapaden jedoch ganze Kapitel füllen. Im Jahre 1928, als Faures Text erschien, lag niemandem mehr daran, diese Anarcho-Aristokraten in den eigenen Reihen zu dulden – zurecht.

Die zweite falsche Ausgangsvoraussetzung bei einer 1:1 Übertragung auf Deutschland ist die Annahme, die drei Strömungen hätten denselben Ursprung. Denn im Gegensatz zum kommunistischen Anarchismus und individualistischen Anarchismus hatte der Syndikalismus seinen Ursprung in der sozialdemokratischen Arbeiterbewegung. Umso bemerkenswerter ist dann natürlich die Synthese zwischen Syndikalismus und Anarchismus zu einer Massenbewegung mit mehreren 10.000 Mitgliedern in der Gewerkschaft „Freie Arbeiter-Union Deutschlands“ (FAUD) in den 20er Jahren. Somit stellt sich die Frage, ob sich die Synthese Faures in Deutschland mit der FAUD bereits bewahrheiten hat oder ob tatsächlich der individualistische Anarchismus mit seinen paar Hundert Anhängern im Reichsgebiet eine größere Rolle spielen sollte. Die anarchistische „Föderation kommunistischer Anarchisten Deutschlands“ (FKAD), ein Zwischending zwischen kommunistischem Anarchismus und individualistischen Anarchismus, hatte nur um die 500 Mitglieder. Sie standen eher auf dem Papier, stellten weniger eine Bewegung dar. Problem gelöst, wären da nicht diese ständigen Eifersüchteleien und Wühlereien ihrer Exponenten. Der individualistische Anarchismus wurde marginalisiert, bzw. marginalisierte sich im Laufe der 20er Jahre selbst, in der Gesellschaft, wie auch innerhalb der anarchistischen bzw. anarcho-syndikalistischen Bewegung. Mit Pierre Ramus (Rudolf Großmann) wurde 1930 nach Jahren der Spannung der letzte jener Anarcho-Aristokraten aus dem Umfeld der Bewegung verbannt. Die Forderung Faures, als Anarchisten innerhalb der anarcho-syndikalistischen Gewerkschaften antireformistisch zu wirken, setzten einige Wühler der FKAD bereits Jahre vorher innerhalb der FAUD dergestalt um, dass sie extrem zersetzerisch zu wirken versuchten, was ihnen in vielen Fällen auch gelang, beispielsweise in Köln, wo sie den zunächst schnell angewachsenen FAUD-Ortsverein innerhalb eines Jahres von 5.000 Mitglieder auf 500 runterintrigierten. Drahtzieher war hier Rudolf Oestreich, welcher eigens aus Berlin noch Köln zog. Ähnliches versuchte der Hamburger Carl Langer ebenfalls an Rhein und Ruhr. Und je mehr sie selber in den Jahren an Boden verloren, desto giftiger wurden sie der syndikalistischen Bewegung gegenüber. Das merkte auch Erich Mühsam in den folgenden Jahren nach dieser Veröffentlichung im FANAL und half der FAUD in ihrer Auseinandersetzung mit Pierre Ramus. Klagen vor einem bürgerlichen Gericht gegenüber anderen Strömungen gingen lediglich von Anarcho-Aristokraten wie Rudolf Oestreich aus, was Erich Mühsam im FANAL dann zu reichlich Spott veranlasste.

Die FAUD- Geschäftskommission erklärte aufgrund dieser Tendenzen im Jahre 1930 unmißverständlich folgendes:

„Wir werden mit den inneren Fragen unserer Organisation selbst fertig im Geiste des sozialrevolutionären Syndikalismus, auf dessen Linie unsere gesamte Propaganda seit jeher liegt, auf dessen Linie wir auch geistig und organisatorisch fortschreiten und die Idee fortbildend wirken werden, ohne dazu eitler ‚Theoretiker’ zu bedürfen, die sich einbilden, ausgerechnet sie seien zur Belehrung der FAUD berufen. (…) Eine anarchistische Aufsichtsbehörde braucht die FAUD nicht. Im übrigen lässt sie sich durch eine solche auch in keiner Weise an ihrer Arbeit der geistigen und organisatorischen Klärung, an ihrer unermüdlichen Propaganda für die Organisation einer schlagkräftigen Einheitsfront des Proletariats stören.“

Damit ist eine zentrale Frage Faures an die Anarcho-Syndikalisten geklärt, welche Gründe sie „veranlassen könnten, einen individualistischen Anarchismus, der sich dergestalt betätigt und praktisch auswirkt, feindlich gegenüberzustehen“. Ob unter diesen Umständen selbst ein „gutes Einvernehmen, nebeneinander zu existieren“ oder „gemeinschaftliche Aktion“ möglich ist, darf doch bezweifelt werden. Warum auch sollte eine große Bewegung sich mit Minisekten abgeben? Wir müssen uns noch einmal in Erinnerung rufen, dass Faure für diesen Text die französischen Verhältnisse zur Grundlage hatte. Für Deutschland hatte der Text somit historisch keine Relevanz. Er war damals schon hinfällig.

Doch bedeutet dieser Text etwas für die heutigen Verhältnisse?

Noch immer hat der Anarcho-Syndikalismus die Prinzipien des kommunistischen Anarchismus zur Grundlage. Noch immer organisieren sich Anhänger des individualistischen Anarchismus, wenn überhaupt, außerhalb des Anarcho-Syndikalismus, dessen Vertreter in Deutschland die „Freie Arbeiterinnen- und Arbeiter Union“ (FAU) ist. Sie organisieren sich zumeist in lokalen Gruppen und Initiativen und entsprechen in ihrer Anzahl etwa dem Verhältnis der alten FAUD zur FKAD. Auch heute noch kommt es zu Streitigkeiten zwischen Anarcho-Syndikalisten und Anarcho-Aristokraten, welche den Konflikten von damals bis in die Haarspitzen gleichen. Noch immer gibt es außerhalb der anarcho-syndikalistischen Bewegung in Deutschland vergleichsweise viele Troublemaker, doch muß das nicht gleichzeitig andere Ideenrichtungen als Ganze diskreditieren. Denn zugleich gibt es enge und nutzbringende Beziehungen zwischen Anarcho-Syndikalisten und vielen Anarchisten.

Dieser Text Faures war für die Verhältnisse in Deutschland damals schon veraltet, bzw. war nie zutreffend und ist es bis heute nicht. Zu begrüßen ist lediglich die Forderung nach einer friedlichen Koexistenz zwischen den Strömungen und zu temporären Aktionseinheiten, wo dies wirklich möglich ist. Eine Annäherung kann nur erfolgen zwischen integren Menschen und ohne Egomanen, bzw. Anarcho-Aristokraten, egal welcher der von Faure genannten Strömungen sie angehören.

Helge Döhring, Dezember 2007

 

Buchinfo:

 

Sébastien Faure

Die anarchistische Synthese und andere Texte

herausgegeben, bearbeitet und mit Annotationen versehen von Jochen Knoblauch

Verlag Edition AV, ISBN 3-936049-85-5, 80 Seiten, 9,80 €

„Als bleibende Feinde des Autoritätsprinzips und seiner unseligen Folgen, werden die Anarchisten nach dem revolutionären Sturm, sowie vor und während desselben sich darauf beschränken, die Masse der Arbeiter immer wieder anspornen, sowie ihre Berater und Wegweiser zu sein. Sie werden die ersten Schritte der Masse stützen und die Richtung angeben für den endgültig geöffneten Weg der freien Organisation des sozialen Lebens.“

„’Wohlstand und Freiheit’, jedem Individuum in seiner weitesten Möglichkeit gesichert, das ist das bleibende Ziel, auf welches die Anarchisten aller Zeiten ihren ganzen Willen gerichtet hatten und richten werden.“
Sébastien Faure

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