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Helge Döhring
Anarkisindikatismo en Freiburg
Zur Geschichte des Anarcho- Syndikalismus in Freiburg i. Br
Der Anarcho-Syndikalismus in Deutschland erreichte seine besten Jahre nach dem
Ersten Weltkrieg von 1918 bis 1923. Es handelte sich um eine nach
föderalistischen Prinzipien aufgebaute Gewerkschaftsbewegung mit zeitweise bis
zu 150.000 Mitgliedern, welche sich in der „Freien Arbeiter-Union Deutschlands“
(FAUD) organisierten. Diese hatte sich nicht nur die Verbesserung der Arbeits-
und Lebensbedingungen der Arbeiterklasse zum Ziel gesetzt. Sie wollte,
ihrerseits organisiert in der „Internationalen Arbeiter Assoziation“ (IAA), die
kapitalistische Wirtschaftsform und das politische System, welches sich über
Staatsformen definierte, überwinden. Und zwar zugunsten einer klassenlosen
Gesellschaft freier Assoziationen von Individuen und Bevölkerungsgruppen mit
einer an den konkreten Bedürfnissen der Menschen orientierten Wirtschaftsweise.
Als gewerkschaftliche Kampfmittel wurden besonders die „direkte Aktion“ und der
Generalstreik propagiert. Die in Deutschland traditionelle Trennung von Politik
(ausgeübt durch die SPD) und Ökonomie (Zentralgewerkschaften) lehnten die
Anarcho-Syndikalisten ab. Die Arbeiterbewegung sollte ihre natürliche
Organisationsform in Gewerkschaften finden, die sich in politischen und
kulturellen Angelegenheiten nicht bevormunden ließen. Demzufolge wurden der
Parlamentarismus und die Wahlbeteiligung abgelehnt. Die politische Macht solle
immer von der Arbeiterschaft in den Betrieben ausgehen. Mit diesen Ansichten
stießen sie sowohl bei Sozialdemokraten wie auch Kommunisten auf wenig
Gegenliebe.
Dabei hatte der Anarcho-Syndikalismus in Deutschland seinen Ursprung in der
alten sozialdemokratischen Bewegung des 19. Jahrhunderts, vor deren zunehmenden
Zentralismus und Bürokratisierung sich viele Mitglieder abwandten und
vornehmlich in Berlin und im Ruhrgebiet von den Zentralgewerkschaften
unabhängige Gruppen bildeten, die sich organisatorisch verselbständigten und
schließlich aus der Sozialdemokratie ausgeschlossen wurden. Die betrieblichen
Erfolge der Anarcho-Syndikalisten in der Weimarer Zeit speisten sich zum
allergrößten Teil noch aus diesen „lokalistischen“ Zusammenschlüssen der
Vorkriegszeit. Dasselbe galt bis 1933 auch für die organisatorische Stabilität
der FAUD in den Regionen wie auch insgesamt. Sie war fortan nahezu im ganzen
Reichsgebiet vertreten. Doch nachhaltige Stabilität gab es fast nur dort, wo die
Anarcho-Syndikalisten schon vor dem Krieg lange Jahre betrieblich verankert
waren. Das galt zumeist für die Bauberufe. Während die Mitgliederzahlen in der
FAUD von 1918 bis 1933 in anderen Berufsgruppen stark schwankten und seit 1923
abnahmen, verhielt es sich in dieser beruflichen Kerngruppe auffallend konstant.
Wo es der FAUD auch ab Mitte der zwanziger Jahre noch gelang, Ortsvereine zu
gründen, waren diese entweder nur schwach in den Betrieben vertreten, oder sie
blieben Propagandagruppen. (1) Als solche war es ihnen unmöglich, angesichts der
starken sozialdemokratischen und kommunistischen Konkurrenzorganisationen Vorort
über diesen Status hinauszukommen. Bestenfalls gelang ihnen die Einflussnahme
auf die Arbeitslosenbewegung oder in Kulturinitiativen, beispielsweise bei den
Freidenkern, den Sängern, der Jugend oder in Form von Büchergilden oder
antifaschistischen Formationen, den „Schwarzen Scharen“.
Organisation und Kultur in Freiburg…
In der 90.000 Einwohner-Stadt fand das kulturelle Engagement der
Anarcho-SyndikalistInnen ihren Ausdruck in der „Arbeiter-Esperanto-Gruppe
Freiburg i.Br.“. (2) Sie bot für den Bereich Oberbaden unentgeltliche
Unterrichtskurse an. Die Kontaktadresse hatte der 26-jährige Diplomingenieur
Albert Stolz in der Hornaustr. 6, Freiburg. (3) Stolz war zugleich Schriftführer
der am 22. November 1929 im Restaurant „Heitzler“ (Merianstr. 11) gegründeten
FAUD- Freiburg. Zum Vorsitzenden wurde hier gewählt der Arbeiter Karl Strecker,
zur Kassiererin Maria Strecker und zum Literatur-Obmann Fritz Berger
(Schulstrasse 17). Die FAUD entstand hier anlässlich der Unzufriedenheit der
Mitglieder über den „Ring freier Arbeiter“, in welchem „keine Einigkeit erzielt
werden konnte“. (4) Die Aktiven hatten zunächst anscheinend eher über
Kartellbildung nachgedacht, als dass sie enger mit der anarcho-syndikalistischen
Gewerkschaft verbunden gewesen wären.
…und Umgebung
Die FAUD, welche im Jahre 1929 reichsweit nur noch etwa 10.000 Mitglieder
zählte, entstand in Freiburg zu einer Zeit, als die umliegenden Ortsvereine
Badens in Lörrach (gegr. 1923), Grenzach, Oberkirch (bei Offenburg), Rastatt und
an den Bodenseeorten teilweise schon seit Jahren aufgelöst waren. In
unmittelbarer Nähe leistete ihnen nur noch der sehr kleine und offenbar inaktive
Ortsverein im damaligen Oberhausen (heute Rheinhausen, LK Emmendingen)
Gesellschaft. Die nächstgelegene (ebenso kleine) Gruppe gen Osten befand sich in
Tuttlingen und gen Norden in Pforzheim und Stuttgart. (5) Zu weit waren die
Entfernungen, um ein sich stützendes Netzwerk aufbauen zu können. Zwar wurden
die FreiburgerInnen organisatorisch in der „Provinzial-Arbeiterbörse Süd-West“
zusammengefasst, doch konzentrierte sich die Aktivität dieser im Raum
Mannheim/Ludwigshafen, in Darmstadt und Frankfurt mit dort insgesamt etwa 500
Mitgliedern.
Tops und Flops
Ähnliche Mitgliederzahlen strebten auch die frischgebackenen
Anarcho-SyndikalistInnen in Freiburg an, wofür sie eine rege Propaganda- und
Aufklärungstätigkeit entfalten wollten. So bestellte der Ortsverein in den
folgenden Monaten 1929/30 über jenen Fritz Berger eine Menge Literatur vom
reichhaltigen Berliner „ASY- Verlag“ der FAUD. Die Quelle, die das besagt,
vermeldet anschließend jedoch eine Menge unerfreuliches für die Freiburger
Anarcho- SyndikalistInnen: Denn offenbar sind sie gleich bei Gründung einem
Schwindler aufgesessen. Fritz Berger war nicht in der Schulstr. 17 gemeldet und
hatte als Literatur-Obmann sowohl die erhaltenen Bücher als auch sämtliche
Gelder unterschlagen. Doch damit nicht genug, „erschwindelte“ er Gelder von
GenossInnen, ließ „Anzüge von Genossen verschwinden“ und klaute dem FAUD-
Vorsitzenden Karl Strecker das Fahrrad. Die Betroffenen reagierten mit einer
Suchanzeige im FAUD- Reichsorgan „Der Syndikalist“ unter der Überschrift
„Warnung vor einem Schwindler!“ Die hier enthaltenen Worte zeichnete eigens die
FAUD- Geschäftskommission in Berlin: „Wo der Lump auch immer auftauchen sollte,
halte man ihn fest und mache dem Genossen Karl Strecker, Freiburg i. Br.,
Bertholdstr. 23 sofort dazu Mitteilung. Für die Geschäftskommission Fritz
Kater.“. (6) Derartige Meldungen häuften sich in dieser Zeit der
wirtschaftlichen Depression und zunehmender Verelendung nach 1929. So manch
einer ließ nicht nur in Sachen Solidarität die Zügel schleifen, sondern verhielt
sich gar gegenteilig.
Der Ortsverein in Freiburg startete klein und hielt sich in bescheidenem Rahmen.
Es reichte aus, sich privat in der Wohnung („Zusammenkunftslokal“) von Albert
Stolz zu treffen.
Am 06. Februar 1930 starb der Freiburger Anarcho-Syndikalist und Werkzeugdreher
Hugo Benz im Alter von 29 Jahren. Er bekam einen Nachruf der Ortsgruppe. (7)
Über Bildungsmaßnahmen und Proteste hinaus, ist über die Aktivität der
Freiburger Anarcho-SyndikalistInnen nichts bekannt geworden.
Ein Protest äußerte sich im „Syndikalist“ durch ein Spott-Gedicht zur
„Aufhängung von Hindenburgbildern in den Finanzämtern“. Die letzte Strophe
lautete:
„In der Tat! Eine Tat-
Hat vollbracht der deutsche Staat!
Amtsbüro in Stadt und Land!
Hängt den Retter an die Wand!“ (8)
Die Existenz der Freiburger FAUD kann im „Syndikalist“ über knapp zwei Jahre
hinweg bis Mitte 1931 verfolgt werden. Danach verstummten sie. An einem
Esperanto-Treffen auf dem 19. Reichskongress der FAUD zu Ostern 1932 nahmen sie
nicht mehr teil. (9) 1933 wurde die FAUD- Gesamtorganisation von den Nazis für
illegal erklärt. Die Anarcho-Syndikalisten organisierten sich fortan im
Untergrund, leisteten Widerstand, und manche von ihnen kämpften ab 1936 während
der Spanischen Revolution gegen die Truppen Francos.
Neuanfang nach 1945
In Freiburg hatten Teile der FAUD- Gruppe die NS-Zeit überlebt und strebten -
wie vor 1933 - ein örtliches Kartell aus freiheitlich gesinnten Menschen und
Gruppen an. Dazu organisierten sie sich seit 1945 als „Interessengemeinschaft
der Freiheitlichen Sozialisten“ mit Karl Strecker als Kontakt. Eine
eigenständige und reichsweit vernetzte Formation wurde zu dieser Zeit noch nicht
ins Auge gefasst. Erst ab 1949 organisierten sie sich auf Bundesebene als
Ortsföderation in der anarcho-syndikalistischen Ideengemeinschaft „Föderation
freiheitlicher Sozialisten“ (FFS) mit 15 Mitgliedern am Ort, darunter Wilhelm
Bottlang (1906-1963) und Karl Strecker. (10) Besonders letzterer war in die
Gesamtorganisation fest eingebunden und schrieb für die FFS-Organe „Die
Internationale“ und „Die freie Gesellschaft“. (11) Geistig inspiriert wurde er
wie viele andere Mitstreiter auch von Rudolf Rocker, dem in die USA emigrierten
Kopf der internationalen anarcho-syndikalistischen Bewegung. Den paar hundert
Mitgliedern der FFS gelang jedoch zu keiner Zeit ein Anknüpfen an die alte
anarcho-syndikalistische Bewegung der Vorkriegszeit. Ihre Aktivität nahm in den
50er Jahren stark ab, so auch in Freiburg. Die FFS löste sich allmählich auf.
Der letzte Ortsverein existierte in München bis in die 70-er Jahre hinein.
Seit November 2004 ist in Freiburg wieder eine Gruppe der im Jahre 1977
wiedergegründeten „Freien Arbeiterinnen- und Arbeiter Union“ (FAU) tätig.
Informationen über die heutige anarcho-syndikalistische Bewegung finden sich auf
www.fau.org und für Freiburg unter www.fau.org/ortsgruppen/freiburg
Helge Döhring, Bremen im Juni 2007
Dieser
Text als Download im PDF-Format hier
Fußnoten:
(1) Sehr anschaulich machte dies Jürgen Mümken in seiner Ausarbeitung zur FAUD
in Kassel: „Anarchosyndikalismus an der Fulda.“ Für Freiburg kam noch hinzu,
dass die Sozialstruktur der Stadt durch die Behördenlandschaft geprägt wurde und
weniger durch Industrie.
(2) Esperanto, auch „Arbeiterlatein“ genannt, war in den 20er Jahren in der
internationalen Arbeiterbewegung sehr populär. Auch innerhalb der FAUD
entstanden viele Esperanto-Gruppen. Zum Weiterlesen: Will Firth: Esperanto und
Anarchismus, Plön 1998.
(3) Vgl.: „Der Syndikalist“, Nr. 34 (1931).
(4) „Der Syndikalist“, Nr. 50 (1929).
(5) Vgl.: Helge Döhring: Städteliste FAUD und „Der Syndikalist“, Nr. 12 (1923).
Zu Stuttgart, Tuttlingen und den Bodenseeorten siehe: Helge Döhring:
„Syndikalismus im „Ländle“.
(6) „Der Syndikalist“, Nr. 3 (1930). „Der Name Fritz Berger kommt in der
Meldekartei sehr häufig vor. Keine der Karten nennt die Adresse Schulstr. 17“,
Auskunft Stadtarchiv Feiburg vom 08.03.2007.
(7) Vgl.: „Der Syndikalist“, Nr. 7 (1930). Das Stadtarchiv Freiburg nennt als
Sterbedatum den 04.Februar 1930.
(8) „Der Syndikalist“, Nr. 13 (1930). Den Hintergrund stellte der Heldenkult
Hindenburgs als „Retter“ Ostpreußens im Ersten Weltkrieg dar, der sich in der
Schlacht bei Tannenberg unter Militaristen zum Mythos siegte. Ein Mythos, der in
den Nachkriegsjahren propagandistisch die sog. Dolchstoßlegende unterfütterte,
nach welcher das „im Felde unbesiegte“ deutsche Heer symbolisch gesprochen vom
„Feinde im Landesinneren“ von hinten erdolcht worden wäre.
(9) Vgl.: „Der Syndikalist“, Nr. 18 (1932). Präsenzliste vom Treffen.
(10) Vgl.: Hans Jürgen Degen: Anarchismus in Deutschland 1945-1960, S.
50f./136/169/414.
(11) Beispielsweise „Demokratie sichert den Frieden“ in „Die freie
Gesellschaft“, Nr. 17 (1951).
Personen:
Hugo Benz, Tod am 06. Februar 1930 „geb. 15.03.01 in Zürich, gest. 04.02.30,
Taglöhner/Werkzeugdreher, Zuzug aus Niederweiler bei Müllheim/Baden 1916, häufig
wechselnde Wohnsitze, zuletzt Mattenstr. 12“, Auskunft Stadtarchiv Freiburg vom
08.03.2007.
Fritz Berger, (Schulstrasse 17).
Wilhelm Bottlang (FFS), „Diplomkaufmann, ist laut Meldekartei am 29.07.1906 in
Überlingen geboren. Er starb am 25./26.01.1963 in Freiburg. 1942 heiratete er
Margarete Tuschy aus Methler in Westfalen. Nach dem 2. WK war er mit wechselnden
Adressen gemeldet: 1945 in der Erzherzogstr.11, 1954-1962 Rotdornweg. 3 und 1962
Belfortstr. 13“. Auskunft Stadtarchiv Freiburg vom 08.03.2007.
Albert Stolz, (Hornaustr. 6) „Diplomingenieur, geb. 07.04.05 in Mannheim
genannt, er ist seit 1930 in Freiburg und erscheint mit den Adressen
Gartenstr.15 und Belfortstr.24“, Auskunft Stadtarchiv Freiburg vom 08.03.2007.
Karl Strecker, (Bertholdstr. 23) „Strecker, Karl gibt es in der alten
Meldekartei 6 mal, aber keiner mit der Adresse Bertoldstr. 23, jedoch kommt im
Einwohnerbuch von 1930 der Eintrag vor: Streckerm Karl, Arbeiter, Bertoldstr.
23“, Auskunft Stadtarchiv Freiburg vom 08.03.2007.
Maria Strecker
Restaurant "Heitzler", „Beim Restaurant Heitzler dürfte es sich um den Ausschank
der Unterlindenbrauerei des Altstadtrats Julius Heitzler in der Merianstr. 11
handeln (vgl. Einwohnerbuch 1930)“, Auskunft Stadtarchiv Freiburg vom
08.03.2007.
Literatur:
Degen, Hans Jürgen: Anarchismus in Deutschland 1945-1960. Die Föderation
Freiheitlicher Sozialisten, Ulm 2002
Döhring, Helge: Syndikalismus im Ländle. Die Freie Arbeiter-Union Deutschlands (FAUD)
in Württemberg 1918 bis 1933, Lich 2006, sowie „Städteliste FAUD“
Firth, Will: Esperanto und Anarchismus, Plön 1998
Mümken, Jürgen: Anarchosyndikalismus an der Fulda. Die FAUD in Kassel und im
Widerstand gegen Nationalsozialismus und Faschismus, Frankfurt 2004
Ein Dank geht an U. Ecker vom Stadtarchiv Freiburg für die Auskünfte aus
der Einwohnermeldekartei!
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