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Syndikalisten und Allgemeine Arbeiter-Union (B.-O.)
Der in Nr. 15 des „Syndikalist“ veröffentlichte, mit meinem Signum gezeichnete
Artikel hat mir im Berliner „Kampfruf“, dem Organ der „Allgemeinen
Arbeiter-Union (B.-O.)“ eine geharnischte Schimpfepistel eingebracht. Nun, wer
sich in den Weg stellt, setzt sich der Gefahr aus, angerempelt zu werden. Damit
muß man rechnen. Zu beachten ist jedoch, dass, während mein Artikel unseren
prinzipiellen Standpunkt in der Frage festlegt und dann an Hand von
programmatischen Broschüren gegen die Grundsätze der AAU Stellung nimmt, Namen
von Personen aber überhaupt nicht nennt, wird hier mein Name in Verbindung mit
Kraftausdrücken wohl ein Dutzend mal durch die Zeilen geschleift. Über Geschmack
zu streiten ist zwecklos. Wir kennen die Weise, wir kennen den Text, wir kennen
auch den Verfasser und wir wissen, daß der mutige Federheld durch Namensnennung
in seiner amtlichen Stellung nicht kompromittiert zu werden wünscht. Diese
Gefahr hat bei mir noch nicht vorgelegen. Es ist gut preußischer Gendarmenton,
der hier angeschlagen wird. Aber auch drüber wollen wir verstehend hinwegsehen,
da psychopatische Belastung durch Vererbung vorliegt.
Jedoch verstehen wir nicht nur zu reden, sondern auch zu schweigen. Wenn uns die
Sache jedoch zu ungemütlich wird, könnten wir uns diese parteikommunistische
Falstaff-Figur einmal etwas näher beschauen. Wir haben eine vorzügliche Platte
von ihm, die, richtig belichtet, allerhand liebliche Dinge zutage fördern
könnte. Der Sinn für Humor paart sich bei uns mit großer Kinderliebe, und das
hilft über manche Klippe hinweg, denn ernst kann man bei der Art, die dem
Artikelschreiber im „Kampfruf“ beliebt, nicht bleiben.
Doch zur Sache. Über den Inhalt des „Syndikalist“ zu urteilen, ist Sache unserer
Mitglieder. Darüber mit dem „Kampfruf“ eine Unterhaltung zu pflegen ist
zwecklos. Der Artikelschreiber regt sich fürchterlich darüber auf, daß ich, von
einer Sitzung der Berliner Arbeiterbörse in eine Kommission gewählt, zur
Ausarbeitung von Richtlinien betreffs Aktionsgemeinschaft der FAU
(Syndikalisten) und AAU, erst gegen den in einer gemeinsamen Sitzung
ausgearbeiteten Entwurf in seiner Fassung nichts einzuwenden hatte, dann aber
denselben offen sabotiert und bekämpft habe.
Bis zu dieser Sitzung hat das seine Richtigkeit und ich muß zu meiner Schande
gestehen, dass ich über das Wesen der Betriebsorganisation nicht genügend
informiert war. Seine Ursache hat dies darin, dass in Betrieben, in denen ich
gearbeitet, die B.O. nicht vorhanden war, und in meiner agitatorischen Tätigkeit
blieb ich ebenfalls davon verschont.
In die Kommission war ich als Ersatzmann gewählt. Erst sehr spät bestellt,
fehlte es mir an Zeit und Möglichkeit, mich eingehend zu unterrichten. In der
Sitzung habe ich jedoch betont, dass es sich nur um einen Entwurf handeln kann,
der den Organisationen zur Beschlussfassung und zur Diskussion unterbreitet
werden muß. Dem wurde zugestimmt.
Nach der Sitzung hab ich die programmatischen Broschüren gelesen und nach
Kenntnisnahme des Inhalts meine Ansicht gründlich revidiert. Dann aber hab ich
meine Mitkommissionsmitglieder davon in Kenntnis gesetzt und ihnen gesagt, dass
ich gegen eine solche Aktionsgemeinschaft, wie sie hier geplant war, Stellung
nehmen werde. Das war mein gutes Recht, und darauf schrieb ich den Artikel im
„Syndikalist“. So ist der einfache Hergang. Es kommt im gewöhnlichen Leben alle
Tage vor, dass man von einer Sache, zu der man erst geneigt scheint, nach
gründlicher Prüfung zurücktritt.
Wenn der Artikelschreiber im „Kampfruf“ uns weismachen will, dass die von mir
festgenagelte Stellung der AAU zur KAPD durch Punkt 9 des in Leipzig
geschlossenen Aktionsprogramms überholt sei, so widerlegt er sich selbst, indem
er einige Zeilen vorher mitteilt, dass in der Funktionärssitzung der AAU die
Gemüter durch die Angriffe der KAP auf die BO sehr erregt waren. Wären sie
unabhängig von der KAP, wäre das nicht möglich und in einer andren Sitzung ist
zugestanden worden, dass eine Personalallianz mit der KAP besteht. Das Leipziger
Programm ist übrigens ein Kompromiß zwischen beiden Organisationen und lässt für
Auslegungen Tür und Tor offen, wie das bei Kompromissen immer der Fall ist.
Der erste Absatz der geplanten Richtlinien lautet:
„Geleitet von dem Bestreben, eine einheitliche Kampfführung der sich
organisatorisch wie ideologisch nahe stehenden Organisationen der FAU und AAU zu
ermöglichen, wurde von den Berliner Ortsgruppen beider Organisationen ein
paritätisch zusammengesetzter Aktionsausschuß zwecks dauernder Verständigung und
Fühlungnahme beider Organisationen miteinander gebildet.“
Im Artikel in Nr. 15 habe ich schlüssig nachgewiesen, dass diese Voraussetzungen
nicht zutreffen. In der Konsequenz stehen hier zwei Weltanschauungen
gegeneinander: die antiautoritäre, den Staat verneinende,
anarchistisch-syndikalistische Auffassung, und die
marxistisch-sozialdemokratisch-kommunistische, welche den Weg über die Eroberung
der politischen Macht und des bürgerlichen Staates gehen will.
Mich mit dem „Kampfruf“ über die Ausführungen Rockers zu unserer
Prinzipienerklärung auseinanderzusetzen, halte ich unter Anlehnung an das
Goethesche Wort: „Du gleichst dem Geist, den du begreifst“, für unnötig. Wer die
Prinzipienerklärung und die Begründung in ihrem klaren Wortlaut verstehen will,
wird meinen Ausführungen zustimmen müssen. Unterlegen, um dann auszulegen, ist
Politikantenart, aber nicht die meine.
Zur Charakterisierung der AAU will ich folgende Blüte, die in einer 1921
herausgegebenen Broschüre nachgelesen werden kann, unseren Mitgliedern nicht
vorenthalten:
„Diesen hervorragenden Verdiensten des Syndikalismus gegenüber muß freilich auch
festgestellt werden, dass die syndikalistische Theorie niemals einheitlichen
Charakters war und zu gleicher Zeit verschieden propagiert wurde. Infolgedessen
waren und sind ihr heillose Konfusionen nachzuweisen. So ist sie immer noch
durchsetzt mit kleinbürgerlich-ethischen Vorstellungen über Pazifismus über
Gewaltlosigkeit. Ja, sie versteigt sich bis zur Predigt rein bürgerlich,
christlicher Anschauungen. Sie dachte und denkt vielfach unhistorisch. Und
darüber ging (theoretisch) die Schärfe der Betonung der Notwendigkeit des
erbarmungslosesten Klassenkampfes häufig verloren. So arbeitete sie allein mit
der moralischen Entrüstung und der Darlegung des Zieles in Zeiten wo alles
darauf ankam, den Weg zu diesem Ziel aufzuzeigen, den Weg auch bis zur
Ermöglichung der Generalstreiksidee usw.
Mit solchen Dingen ringt der Syndikalismus bis zum Augenblick. Aber zweifellos
ist auch an ihm die Entwicklung nicht spurlos vorübergegangen. Er befindet sich
gerade jetzt, gelegentlich seines Beschlusses, am Kongreß der Roten
Gewerkschaftsinternationale teilzunehmen, in neuer Umbildung und wird sich von
weiteren Schlacken befreien, die er als natürliches Erbe vergangener Kämpfe
mitbringt und die nicht an einem Tage abzustoßen sind.
Daraus ergibt sich auch der oft klaffende Spalt zwischen syndikalistischen
Theoretikern und der Praxis der Mitglieder. Die AAU als jüngstes, echtes Kind in
der Revolution, von keiner Tradition (Überlieferung, Vergangenheit) beschwert,
wird wegweisend vorangehen. In der Hauptsache wird sie kritisch, außer auf das
schon erwähnte, auf folgende 3 Punkte hinweisen:
1. Die Syndikalisten sind noch nicht tief genug in das Wesen des Rätegedankens
eingedrungen. Sie haben ihn weder gründlich erfasst als historisches Werden,
noch als Organisationsform. Sie quälen sich noch unnütz ab mit kleinbürgerlicher
Auffassung über Föderalismus – Zentralismus. Die AAU ist die praktische Lösung
2. Die Syndikalisten verwechseln vielfach den parteipolitischen Kampf mit dem
politischen Kampf überhaupt. Sie sind unklar über die notwendige Eroberung der
politischen Macht und die Übergangsformen von der Diktatur des Proletariats an
in die kommunistische Gesellschaft
3. Ein weiterer Fehler ist das Festhalten an der Berufsorganisation. Es ist
selbstverständlich, dass die Periode der Diktatur des Proletariats auch
bestimmte Ansprüche an die verschiedenen Berufe stellt, die nur diese Berufe
angehen. Aber diese Berufe müssen fest eingegliedert sein in größere
Industrieverbände, die ihrerseits wieder auf Betriebsorganisationen ruhen (auf
Betriebsorganisationen, die alle erfassen). Die Syndikalisten lehnen zwar die
Betriebsorganisation – sichtlich unter dem Einfluß der syndikalistischen
Bergarbeiter – nicht direkt ab, aber sie halten zäh an der Berufsorganisation
(Gewerkschaft) fest und tragen damit wesentlich dazu bei, dass Hand- und
Kopfarbeiter nicht zusammenkommen.
Uneingestanden kleben sie noch immer an dem Kleinbetrieb und damit an der rein
handwerkmäßigen Gliederung der Schaffenden. Die Entwicklung der Großindustrie,
die sie weder hindern noch leugnen können, flößt ihnen Grauen ein – sie vermögen
sich mit dieser geschichtlichen Entwicklung scheinbar nicht recht abzufinden.
Ob im Laufe der Entwicklung sich zunächst eine festere engere Kampfgemeinschaft
zwischen AAU und Syndikalisten ergeben wird, wird abhängen von der weiteren
Entwicklung der Syndikalisten zu den Prinzipien der AAU.“
O. wie malt in diesen Köpfen sich der Syndikalismus? Gegen soviel Konfusionismus
ist man machtlos. Das Urteil überlassen wir unseren Mitgliedern.
Carl Haffner
Aus „Der Syndikalist“, Nr. 17/1921
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