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Helge Döhring
Syndikalismus und Gewalt
Die Einstellung der FAUD zur Frage der Anwendung revolutionärer Gewalt
Das Schwergewicht syndikalistischer Propaganda zur Erringung einer
föderalistischen freien Gesellschaft lag in der Propagierung des sozialen,
reichs- und weltweiten Generalstreiks. Der Eroberung politischer Macht wurde
dabei eine Absage erteilt – Politik und Ökonomie dürften nicht getrennt werden.
Die "Diktatur des Proletariats" im marxistischen Sinne wurde als "Diktatur über
das Proletariat" definiert. Das schloß die Errichtung eines neuen politischen
"Überbaus" von selber aus. Die Erlangung der ökonomischen Macht war demnach der
Hauptansatzpunkt syndikalistischer Bestrebungen. Doch reichte dazu der
Generalstreik aus? Sollte die Revolution nicht auch mit bewaffneter Macht
vorangetrieben werden, wie es am lautstärksten wohl die Spartakisten
propagierten? Trauen wir der Geschichtsschreibung über die FAUD, dann lernen wir
bei Hans Manfred Bock, daß z.B. in Rockers "Prinzipienerklärung des
Syndikalismus", der programmatischen Grundlage der Freien
Arbeiter-Union-Deutschlands (FAUD), Gewaltlosigkeit gefordert werde, und daß
Teile der FAUD unter einem "pazifistischen Einfluß der Berliner
Geschäftskommission" gestanden hätten. (1) Weitere ForscherInnen taten es dem
Vater der Syndikalismusforschung nach und schrieben beispielsweise, Rudolf
Rocker "vertrat prinzipiell gewaltlose Methoden", (2) die "FAUD-Protagonisten"
hätten eine "pazifistische Grundeinstellung" (3) oder benannten ein
„Gewaltfreiheitspostulat der damaligen FAUD“ (4) Ich möchte im folgenden ein
differenzierteres Bild über diese Frage geben. Wir werden sehen, daß ein
pauschales, einheitliches Klischee der Wirklichkeit nicht gerecht wird. Ich
beginne damit, festzuhalten, daß sich in den Hauptschriften des
syndikalistischen Theoretikers Rudolf Rocker keinerlei Bekenntnisse oder
Forderungen nach Gewaltlosigkeit finden, weder in seiner Autobiographie, noch in
"Nationalismus und Kultur". Auch in seinen kürzeren Grundlagentexten,
beispielsweise im Organ "Der Syndikalist" ist hiervon nicht die Rede. Karl
Roche, ein weiterer Protagonist, vertrat in seinem "Handbuch anarcho-
syndikalistischer Grundsätze" keine "gewaltlosen" Positionen. Ebensowenig taten
das die Vertreter der Geschäftskommission der FAUD mit Ausnahme Fritz Oerters.
(5) Generell war dies auch zu keiner Zeit ein entscheidender Diskussionspunkt in
der Gesamtbewegung. Die Entscheidung darüber, wie die einzelnen Ortsvereine
vorzugehen hatten, wurde jenen selber überlassen. In einer Frage, ob ein
Generalstreik passiv oder bewaffnet zu erfolgen habe, wurde nicht entschieden.
Warum diese Frage?
Nicht nur manche NachkriegsgeschichtsschreiberInnen bemühen sich, die FAUD in
eine pazifistische Ecke zu drängen. Gerade von kommunistischer Seite wurde den
Anarcho-Syndikalisten, allen voran der Geschäftskommission in Berlin, immer
wieder der Vorwurf gemacht, ihre Basis von revolutionären Auseinandersetzungen
abzuhalten und daraus geschlossen, daß die FAUD deshalb die Anwendung von Gewalt
generell ablehne, gar eine pazifistische Organisation sei. Aber auch
vermeintlich seriösere Schreiber, wie H. Lepke unterstellten der FAUD im
"Gewerkschafts-Archiv" grundsätzlichen Pazifismus und "völlige Passivität". (6)
Und das, obwohl die FAUD über einen reichsweiten Sammelfond, z.B. für den offen
militanten Freischärler Max Hölz sammelte. Ich möchte im folgenden beide
Positionen gegenüberstellen, um dann ein möglichst genaues Bild zeichnen zu
können.
Die Ablehner von Gewalt
Mitverantwortlich für das vermeintlich pazifistische Erscheinungsbild der FAUD
waren Anfang der zwanziger Jahre Artikel von Fritz Oerter im "Syndikalist",
welche passive Resistenz und Gewaltlosigkeit propagierten. Der "Syndikalist" war
mit einer Auflage bis zu 120.000 und reichsweiter Verbreitung das repräsentative
Organ der FAUD. Generell sprach sich Oerter in "Wir-Form", also für die
Leserschaft für die FAUD, auf der Titelseite dafür aus, daß Gewaltanwendung
niemals die Befreiung herbeiführen könne, sondern nur neue Unterdrückung bringen
würde. Es müsse generell "eine höhere Moral und Ethik des Sozialisten einsetzen,
der begriffen hat, daß die Gewalt nur dadurch ausgeschaltet wird, indem zunächst
die sittlich Höchststehenden unter allen Umständen auf ihre Anwendung
verzichten, und indem sich dann durch ihr Beispiel der Kreis der Gewaltlosen
mehr und mehr erweitert, bis schließlich die letzten Gewaltanbeter von der
Allgemeinheit nur noch als Verbrecher und Kapitalisten betrachtet werden." (7)
Auf dem Gebiete der Gewalt werde der Gegner voraussichtlich immer überlegen
sein. Der Generalstreik sei gegenüber der Waffengewalt keine Gewalt und keine
Utopie, sondern die Notwendigkeit zur Befreiung der Arbeiterklasse. Die Gewalt
müsse überwunden werden durch Gewaltlosigkeit. (8) Für diese Ansichten wurde er
"innerhalb und außerhalb des „Syndikalist“ kritisiert. (9) Auch im Jahre 1923
postulierte Oerter mißverständlich in "Wir- Form" auf die gesamte FAUD gemünzt
das Dogma der Gewaltlosigkeit in pastoralem Pathos: "Wir halten fest an der
Anschauung: Gewalt stets mit Gewalt begegnen, ist schlimm und übereilt. Den
guten Willen möchte’ ich segnen, Der unsere Welt durch Liebe heilt." (10) Doch
auch Oerter erkannte, daß es "überhaupt nichts absolutes auf der Welt" und somit
auch "keine absolute Gewaltlosigkeit" gebe, da es "ja leider nicht von uns, den
Gewaltlosen, allein" abhinge, ob von anderen nicht doch Gewalt angewendet würde.
Gewaltlosigkeit sei zwar keine Garantie für die Friedfertigkeit der Gegner, aber
man dürfe sich selber nicht zur Gewalt provozieren lassen. (11) Auch auf
örtlicher Ebene kam es mancherorts zur Absage an revolutionäre Gewaltanwendung,
wie aus Bremerhaven, wo es hieß: "Die Syndikalisten verwerfen jede
Gewaltanwendung und verlassen sich auf das Mittel genereller Verweigerung der
Arbeitskraft." (12)
Ähnlich sah das auch der reichsweit beliebte Referent Franz Gampe (Nürnberg),
welcher diese Ansicht als „syndikalistische(s) Prinzip der Gewaltlosigkeit“
bezeichnete. (13)
Die militanten Syndikalisten
Schon im Verlaufe der Kämpfe um die Bremer Räterepublik im Januar 1919 kamen 30
Revolutionäre ums Leben, darunter die Syndikalisten Wilhelm Glock und Karl
Richard Mesike. (14) Daß die Geschäftskommission zum Ruhrkampf 1920 und dem
Mitteldeutschen Aufstand 1921 in einem negativen Sinne Stellung bezog, (15) lag
weniger an einer generellen "Gewaltfreiheit", als vielmehr daran, daß sie ihre
Mitglieder nicht für die Putschstrategie der kommunistischen Partei verheizen
lassen wollte, welche in Deutschland parteidiktatorische Verhältnisse, wie in
Rußland einführen wollte. Franz Gampe sprach es aus: "Waffengewalt und Diktatur
wie im roten Rußland werden von uns Syndikalisten verworfen." (16) Dennoch
beteiligte sich ein Großteil der FAUD-Basis am Ruhrkampf, so daß anhand von
Unterstützerlisten für die Opfer festgestellt werden konnte, daß an den Kämpfen
zu etwa 45 % Syndikalisten der FAUD beteiligt gewesen sind. (17) U.a. an dieser
Frage spaltete sich Anfang der zwanziger Jahre die FAU- "Gelsenkirchener
Richtung" von der FAUD ab, welche sich schließlich in "Union der Hand- und
Kopfarbeiter" umbenannte, um hernach in kommunistischen Organisationen und im
ADGB aufzugehen. Dadurch verlor die FAUD einen erheblichen Mitgliederstamm in
ihrer reichsweit stärksten regionalen Bastion. Strikt gegen die von Fritz Oerter
propagierte "Gewaltlosigkeit" wandte sich die FAUD-Hamborn (3.000 Mitglieder!)
auf dem 14. Kongreß der FAUD im Jahre 1922 mit einem Antrag gegen Artikel im
FAUD-Organ "Der Syndikalist", welche "die absolute Gewaltlosigkeit betonen", da
diese der "Agitation hier in Rheinland und Westfalen großen Schaden zugefügt
haben." (18) Andere FAUD- Gruppen, wie neben Hamborn beispielsweise in
Württemberg brachten der "Idee der vollkommenen Gewaltlosigkeit ebenfalls keine
große Sympathie" entgegen. (19) Die Prinzipienerklärung der IAA vom Juni 1922,
im Wesentlichen verfaßt von Rudolf Rocker, spricht sich wie folgt aus: "(Die
Syndikalisten) geben daher die Anwendung der Gewalt als Verteidigungsmittel
gegen die Gewalt der regierenden Klassen im Kampf für die Besetzung der Betriebe
und des Grund und Bodens durch das revolutionäre Volk zu." (20) Diese
Prinzipienerklärung hatte Gültigkeit für Millionen Mitglieder syndikalistischer
Organisationen weltweit. "Verteidigungsmittel" bedeutete hier nicht Passivität,
da die Syndikalisten gegen die ständigen Angriffe der Kapitalisten stets den
Generalstreik propagierten.
Vermittlung der Positionen
Nachdem Fritz Oerter noch im Jahre 1927 im "Syndikalist" strikte Gewaltlosigkeit
propagierte und die FAUD von kommunistischen und auch den ihnen näher stehenden
unionistischen Vereinigungen und zahlreichen militanten Arbeiten immer wieder
einer dogmatischen Gewaltlosigkeit bezichtigt wurde, was als ein
mitverursachender Faktor des Mitgliederrückganges der FAUD angesehen werden
kann, erschien im "Syndikalist" neben einer Gegenrede von Fritz Dettmer
(Dresden) auch eine Stellungnahme der Redaktion, die generell zu dieser Frage
Stellung bezog, jedoch weder ein generelles Dafür noch Dagegen aussprach: "Wir
sind nicht in erster Linie Gewaltanhänger oder Gewaltgegner, sondern
Anarchosyndikalisten. Wir verfolgen ein bestimmtes Ziel und wollen das Ideal
einer freiheitlichen sozialistischen Gesellschaftsordnung verwirklichen. Wir
glauben nicht daran, ohne soziale Revolution an unser Ziel gelangen zu können.
Wenn diese mit Gewaltanwendungen verknüpft ist, werden wir sie hinnehmen müssen:
nicht aus Lust zur Gewalt, sondern aus purer Notwendigkeit, die in der
Anerkennung der sozialen Revolution liegt. (...) Die Gewaltanwendung darf man
nicht als eine Frage des Prinzips betrachten, sondern als eine taktische. (...)
Der Anarchosyndikalismus ist eine freiheitliche Bewegung, die sich in Fragen der
Taktik und Kampfesmethoden überhaupt nicht festlegen darf, sondern aus den
täglichen Erfahrungen und gemachten Erkenntnissen den Weg zu seinem Ziele bahnen
muß (...) Es kommt hauptsächlich darauf an, bei einer kommenden Revolution die
wirtschaftlichen Fragen so vollkommen wie möglich zu lösen, damit die
Bedürfnisse der Menschen in größtem Maße befriedigt werden können. Dann wird die
Gegenrevolution sehr wenig Anhänger finden, und die Gewalt kann auf ein
Mindestmaß beschränkt werden." (21) Ganz diesem undogmatischen Sinne
entsprechend, legte sich auch die 1919 von der FVDG/ FAUD angenommene
"Prinzipienerklärung des Syndikalismus" nicht fest, sondern propagierte, ob mit
oder ohne Gewaltanwendung, den sozialen Generalstreik. (22) Es war schließlich
Arthur Müller-Lehning, welcher 1929 im Theorieorgan der FAUD, "Die
Internationale", den Begriff der Gewalt in syndikalistischem Sinne definierte.
Zunächst stellte er heraus, daß nicht alle Kriegsgegner und Antimilitaristen
automatisch auch Verfechter von Gewaltlosigkeit seien. Der Syndikalismus lehne
Gewalt nicht grundsätzlich ab. Bediene sich die demokratische, faschistische
oder auch bolschewistische Gewalt des Militarismus, setze die syndikalistische
Gewalt auf die Selbstorganisation der Arbeiterschaft mit dem Mittel des
Generalstreiks und basiert auf bloße Verteidigung der Umwälzung gegen die
Etablierung einer neuen Macht. Ganz bewußt verstehen sich die Syndikalisten in
dieser Rolle auch als Antimilitaristen, da die soziale Revolution "jede Form der
organisierten und monopolisierten Gewalt, jede Form des Militarismus und des
Staates" ablehnt. Ziel sei nicht die Gewaltlosigkeit, sondern die Freiheit.
Grundlage hierfür sei "ein gesellschaftliches System, wo die Herrschaft des
Menschen über den Menschen Platz gemacht hat der Beherrschung der Dinge, wo das
politische Unterdrückungssystem ersetzt ist durch die Organisation der Arbeit."
(23)
Weitere Entwicklung
Immer wieder wurde gegenüber der verunglimpfenden Propaganda der
Syndikalistengegner eingewendet: "Der Anarcho-Syndikalismus hat niemals
Gewaltlosigkeit propagiert", (24) was anhand der Artikel Oerters im
"Syndikalist" in dieser Ausschließlichkeit jedoch relativiert werden muß. Den
Ruf dogmatischer Gewaltlosigkeit wurde die FAUD auch nicht mehr los, da nicht
nur Fritz Oerter auf Agitationsreisen ging, sondern auch Rudolf Großmann (Pierre
Ramus), welcher ebenfalls auf Veranstaltungen der FAUD und ihr nahestehenden
Organisationen strikte Gewaltlosigkeit propagierte. Großmann ging sogar soweit,
in einer Übersetzung kropotkinscher Schriften zur französischen Revolution,
auszulassen, daß es sich bei dortigen direkten Aktionen nicht um gewaltlose
Angelegenheiten handelte. (25) Die offizielle Geschichtsschreibung der FAUD
brachte in "Die Internationale" schließlich folgendes zum Ausdruck: "Das
Gewaltverhältnis zwischen Ausbeutern und Ausgebeuteten kann nur durch den
gewaltsamen Kampf der enterbten Klasse abgeändert werden." (26) Ähnliche Impulse
gingen auch von der syndikalistisch-anarchistischen Jugend aus.
Die Jugendbewegung
Generell distanzierte sich Mitte der zwanziger Jahre die FAUD-nahe
"Syndikalistisch-Anarchistische Jugend Deutschlands" (SAJD) von der pazifistisch
eingestellten und von Ernst Friedrich beeinflussten anarchistischen
Jugendbewegung. (27) Seither änderte sich auch die Symbolik der
syndikalistisch-anarchistischen Jugend. Die von Romantik und Nacktkultur
geprägten Zeichnungen in den Organen wurden ersetzt durch die Darstellung des
Arbeitsalltages, beispielsweise in Form von rauchenden Fabriktürmen. Im
wesentlichen der Jugend ist auch die vielerorts beginnende Annäherung von
Anarcho-Syndikalisten und Mitgliedern der "Allgemeinen Arbeiter-Union" (AAU) zu
verdanken. Ein wichtiger Bestandteil lag dabei in grundsätzlicher militanter
Bereitschaft. Zahlreiche AAU-Gruppen schlossen sich der FAUD an, was zu einer
weiteren Stärkung der Befürwortern von Militanz geführt haben dürfte. Die
reichsweit gewichtige süddeutsche Jugendkonferenz betrachtete die "Gewaltfrage"
als individuelle Angelegenheit und betonte im Jahr 1925: "Da das Prinzip des
Anarchismus sich gegen jegliche Gewalt richtet, lassen wir uns keine Richtlinien
vorschreiben, sondern handeln frei, täglich und stündlich, je nach den
Erfordernissen." (28) Die "pazifistischen Prediger" wurden "abgeschüttelt", und
es wurde sich "prinzipiell festgelegt, gegen die Staatsgewalt jede Mittel, auch
den bewaffneten Kampf anzuwenden." (29) So drückte es einer der Protagonisten
der syndikalistisch-anarchistischen Jugend, der Stuttgarter Willi Bötzer, in
einem Referat über die Jugendfrage auf dem II. Kongreß der Internationalen
Arbeiter-Assoziation in Amsterdam aus.
Die "Schwarzen Scharen"
Aus diesem militanten Kurs innerhalb der Jugendbewegung ist dann eine weitere
eigenständige Organisationsform des organisierten Anarcho-Syndikalismus
hervorgegangen: Aufgrund der ständigen Bedrohung eigener Veranstaltungen von
autoritären Kommunisten und der Ende der zwanziger Jahre rapide anwachsenden
Gewalt von Nationalsozialisten, bildeten sich (voran in Schlesien, Berlin,
Kassel oder auch im Ruhrgebiet) militante Abwehrformationen heraus, die
"Schwarzen Scharen". Mitglieder dieser nicht offiziell der FAUD angeschlossenen
Gruppierungen waren vornehmlich jüngere Anarcho-Syndikalisten. Sie trugen
schwarze Kleidung und waren z.T. bewaffnet. Innerhalb der FAUD blieben sie zwar
nicht ohne Widerspruch, doch wurden sie vermehrt zum Schutze von Veranstaltungen
der FAUD oder ihnen nahestehenden Organisationen engagiert. (30)
Für Wuppertal verdanken wir die Überlieferungen zur Schwarzen Schar vor allem
Hans Schmitz, welcher nicht nur von schlagkräftigen Auseinandersetzungen
berichtet, sondern auch einen Hinweis auf Kontakte zu Edelweißpiraten bietet,
welche in den letzten Kriegsjahren durch spektakuläre Attentate auf NS-
Funktionäre auf sich aufmerksam machten. (31)
In Schlesien verfügte die „Schwarze Schar“ ab Ende der 20-er Jahre über mehr
Mitglieder als die FAUD selbst, und in manchen Ortsgruppen zudem über ein
Maschinengewehr (Ratibor) und ein Sprengstofflager (Beuthen). (32)
In Kassel gab sie seit 1930 mit „Die proletarische Front“ ein eigenes Organ
heraus, agierte aber im Schatten der kommunistischen Arbeiterwehr. (33) Zu
militanten Straßenschlachten mit Nazis und Polizei kam es in Kassel in den
Jahren 1930 und 1931, an denen auch FAUD- Mitglieder beteiligt waren. (34)
Im Widerstand gegen den Nationalsozialismus
Die Ortsvereine der FAUD hatten sich im allgemeinen sehr gut auf die Illegalität
unter der Naziherrschaft vorbereitet. Ihre Widerstandsgruppen waren weitgehend
mit den personellen Kernen der legalen Ortsbörsen identisch. Insofern
widerstanden sie dem Spitzelwesen auf beeindruckende Weise. Organisiert wurden
ab 1933 neben dem illegalen Pressewesen und der Unterstützung der Familien von
Verhafteten in einigen Gegenden auch militante Widerstandsformen. Aus dem
Hessischen Raum sind noch für das Jahr 1933 zwangsweise Beendigungen von
Veranstaltungen der Nationalsozialistischen Betriebszellen Organisation (NSBO)
bekannt geworden (Offenbach). In Darmstadt bewaffneten sich die führenden
Syndikalisten besonders zum Schutz gegen die SA mit Revolvern, welche sie über
Genossen bezogen, die im Thüringischen Sömmerda in Waffenfabriken arbeiteten.
(35)
Axel Ulrich nennt bei den programmatischen Zielvorstellungen der illegalen
FAUD-Kader in der Region zur Beseitigung der Nazidiktatur u.a.: „Zum Zweck der
Sicherung der einmal erfolgreichen Revolution war die Auflösung von Militär,
Polizei, Gerichtswesen und der staatlichen Kirchenverbände geplant und wurde die
allgemeine Volksbewaffnung propagiert.“ (36) In Kassel war ein Mitglied
bewaffnet. (37)
Im Spanischen Krieg kämpften auch deutsche Anarcho-Syndikalisten in den Reihen
der anarchistischen Milizen gegen die Franco-Truppen. Als Auslandsorganisation
gründete sich in Spanien die Gruppe „Deutsche Anarcho-Syndikalisten“ (DAS),
welche in den vom Kapitalismus befreiten Gebieten deutschen Faschisten gegenüber
mit exekutiven Funktionen betraut war, d.h. Hausdurchsuchungen und Verhaftungen
vornehmen durfte. (38)
Es läßt sich festhalten
Innerhalb der anarcho-syndikalistischen Bewegung existierten die
unterschiedlichsten Auffassungen über die Anwendung von Gewalt. Die einen
befürworteten lediglich den Generalstreik als Niederlegung von Arbeit, andere
würden auch gewaltsam gegen Streikbrecher vorgehen und generell nur die Streiks
verteidigen. Der Umsturz sollte auf betrieblicher Ebene erfolgen, da die
Syndikalisten im allgemeinen bewaffneten Kampf die Gefahr der Neukonstituierung
politischer Macht mit totalitären Tendenzen sahen. Bewaffnete
Auseinandersetzungen dürften den Generalstreik höchstens schützen und damit
flankieren. Mit dem Aufkommen der nationalsozialistischen Bewegung bot sich in
vielen Regionen ein weiteres Motiv zur Anwendung revolutionärer Gewalt.
Die Syndikalisten legten sich zu keiner Zeit einheitlich programmatisch auf
"Pazifismus" oder "Gewaltfreiheit" fest. Die Vertreter jener Richtung traten
nach anfänglicher sehr individueller starker Präsenz im Verlauf der zwanziger
Jahre in den Hintergrund, besonders in den Jugendorganisationen. Dementsprechend
hoch war dann auch die Beteiligung deutscher Syndikalisten am bewaffneten
militärischen Klassenkampf im Spanischen Krieg von 1936 – 1939. Es ist demnach
unzulässig, die FAUD, die FAUD-Geschäftskommission oder mit Ausnahme Fritz
Oerters und Franz Gampes die Protagonisten der Organisation als "gewaltfrei"
oder "pazifistisch" zu bezeichnen. Die von den Historikern Dieter Nelles und
Ulrich Klan aufgetane Quelle, ein Brief Rockers an Max Nettlau, wonach die
Vertreter der Berliner Geschäftskommission (Winkler, Barwich und Kater) aus
grundsätzlich pazifistischen Positionen heraus meinten, daß eine gewaltsame
Erhebung der anarcho-syndikalistischen Bewegung nur schaden könne, (39) konnte
ich in deren zeitgenössischen Beiträgen in diversen Publikationen nicht
ausfindig machen. Sie wollten wohl eher der bolschewistischen Putschtaktik nicht
in die Hände spielen. Bis kurz vor ihrem Verbot durch die Nationalsozialisten
ließ sich die FAUD in ihrer Haltung zur militanten Revolution nicht festlegen.
Der 19. und damit letzte Kongreß der FAUD im Jahre 1932 kam lediglich zu
folgender Aussage: "die FAUD steht nach wie vor auf der Grundlage ihrer
Prinzipienerklärung des Jahres 1919; sie sieht in revolutionärer
Gewerkschaftsarbeit und fortschreitender Erweiterung der ökonomischen
Einflußsphäre der Arbeiterschaft durch direkte Aktion den Weg zum Kampfe gegen
die faschistische Gefahr, politische Unterdrückung überhaupt und jede Form der
wirtschaftlichen Ausbeutung (...) Sie bekämpft das System der
Klassengesellschaft in allen Formen (...)" (40) Die Tendenz innerhalb der FAUD
und der anarcho-syndikalistischen Bewegung insgesamt ging im Laufe der zwanziger
Jahre deutlich in Richtung Befürwortung bewaffneter Kämpfe, ohne jedoch von
ihrer Hauptwaffe, dem Generalstreik, Abstand zu nehmen und ohne sich einheitlich
festzulegen. Die Ursachen dieser Tendenz sind dabei nicht nur im international
erstarkenden Faschismus zu sehen, sondern auch im Hineinwachsen der militanteren
anarcho-syndikalistischen Jugend in die Erwachsenenorganisation, was geprägt war
durch die Übernahme zahlreicher Funktionen und verstärkter Diskussionsteilnahme
innerhalb der FAUD.
Fußnoten:
(1) Vgl.: Hans Manfred Bock: Syndikalismus und Linkskommunismus von 1918 – 1923.
Zur Geschichte und Soziologie der Freien Arbeiter-Union Deutschlands
(Syndikalisten), der Allgemeinen Arbeiter-Union Deutschlands und der
Kommunistischen Arbeiter-Partei Deutschlands, S. 157/328. Hierbei bezieht sich
Bock ausdrücklich auf die von ihm im Anhang abgedruckte "Prinzipienerklärung des
Syndikalismus". Jedoch werden die von Bock unterstellten gewaltlosen/
pazifistischen Tendenzen in dieser in keiner Weise zum Ausdruck gebracht, vgl.:
ebd., S. 363 ff.
(2) Gabriele Voser: „Anarchismus" - ein Reizwort in der öffentlichen Meinung
erörtert an Hand der Verwendung der Anarchie-Begriffe in "Spiegel" und
"Weltwoche" in den Jahren 1968 und 1975, S. 113.
(3) Hartmut Rübner: Freiheit und Brot. Die Freie Arbeiter-Union Deutschlands.
Eine Studie zur Geschichte des Anarchosyndikalismus, S. 135. Doch differenziert
Rübner im folgenden, daß die Haltung der FAUD in dieser Frage ambivalent gewesen
sei und "in der Zeit ihres Bestehens unentschieden blieb", ebd., S. 136. Damit
kommt Rübner der Sache schon sehr nahe, läßt jedoch die deutliche Tendenz hin
zur militanten Aktion unerwähnt, wie ich sie im folgenden aufzeigen möchte.
(4) Wolfgang Haug/ Friederike Kamann: Oskar Kanehls Agitprop-Lyrik, in Oskar
Kanehl: Straße frei, Reutlingen 1981.
(5) Oerter gab 1920 eine Broschüre heraus mit dem Titel: "Gewalt oder
Gewaltlosigkeit".
(6) H. Lepke: Syndikalismus und Anarcho-Syndikalismus in Deutschland, in:
"Gewerkschafts-Archiv Monatsschrift für Theorie und Praxis der gesamten
Gewerkschaftsbewegung", 2. Jg. 1925, Nr. 4, S. 214 ff.
(7) „Der Syndikalist", 2. Jg. (1920), Nr. 30.
(8) Vgl.: Ebd.
(9) Vgl.: „Der Syndikalist", 4. Jg. (1922), Nr. 30.
(10) „Der Syndikalist", 5. Jg. (1923), Nr. 5.
(11) Vgl.: „Der Syndikalist", 4. Jg. (1922), Nr. 30.
(12) "Der Syndikalist", 1. Jg. (1919), Nr. 30.
(13) Vgl.: Studienkommission der Berliner Arbeiterbörse/Franz Barwich: Das ist
Syndikalismus..., S. 120.
(14) Vgl.: „Der Syndikalist“, 1. Jg. (1919), Nr. 11.
(15) Siehe zusammenfassend: FAU/ IAA-München: Anarcho-Syndikalismus in
Deutschland. Zur Geschichte der "Freien Vereinigung deutscher Gewerkschaften"
(1897 – 1919) und der "Freien Arbeiter-Union Deutschlands" (1919 – 1939), S. 10
ff.
(16) Lagebericht vom 17. März 1926, in: StAB 4,65/ 1756.
(17) Vgl.: Gerhard Colm. Beitrag zur Geschichte und Soziologie des
Ruhraufstandes vom März-April 1920, S. 49, zit. n. Ulrich Klan/ Dieter Nelles:
"Es lebt noch eine Flamme"..., S. 90.
(18) "Der Syndikalist", 4. Jg. (1922), Nr. 47/ 51.Die FAUD Hamborn verlor
innerhalb weniger Jahre 5.000 Mitglieder, vgl.: „Ruhr 1919 Syndikalisten im
Streik“, in: „Direkte Aktion“, 29. Jg. (2006), Nr. 175.
(19) "Der Syndikalist", 12. Jg. (1930), Nr. 43. Ebenso wenig die
anarcho-syndikalistische Jugendorganisation Ostpreußens: „Sturmvolk, Bund
revolutionärer Jugend Deutschlands“ unter Punkt 11 einer Resolution: „Da wir der
Ansicht sind, dass ein im sozialen Generalstreik errungener Sieg des
Proletariats nur durch die rücksichtsloseste Diktatur der arbeitenden Klasse
verewigt werden kann, anerkennen wir unumschränkt die Waffengewalt als
Machtmittel der Revolution, gehandhabt von den Belegschaften der Betriebe.“,
vgl.: „Der Syndikalist“, 5. Jg. (1923), Nr. 14.
(20) Prinzipienerklärung, angenommen auf der internationalen syndikalistischen
Konferenz zu Berlin im Juni 1922, in: Was wollen die Lokalisten? Programm, Ziele
und Wege der „Freien Vereinigung deutscher Gewerkschaften", Berlin 1911,
Neuauflage von FAU-MAT, Moers, S. 2.
(21) "Der Syndikalist", 9. Jg. (1927), Nr. 15.
(22) Vgl.: Rudolf Rocker: Prinzipienerklärung des Syndikalismus, S. 12.
(23) Arthur Müller-Lehning: Gewalt und Gewaltlosigkeit, in: "Die
Internationale", 2. Jg. (1929), Nr. 9, S. 193 ff.
(24) "Der Syndikalist", 14. Jg. (1932), Nr. 25.
(25) Vgl.: Heinz Hug: Kropotkin, S. 96 f.
(26) Gerhard Aigte: Die Entwicklung der revolutionären syndikalistischen
Arbeiterbewegung Deutschlands in der Kriegs- und Nachkriegszeit (1918 – 1929) ,
S. 25. Neu herausgegeben von der FAU- Bremen 2005, S. 22.
(27) In ihren organisatorischen Leitsätzen von 1923 erkannte die
syndikalistisch-anarchistische Jugend noch den Generalstreik als "einzig
wirksame Waffe des Proletariats" an. Vgl.: "Der Syndikalist", 5. Jg. (1923), Nr.
13. Zu den Auseinandersetzungen um Ernst Friedrich und zur allgemeinen Stellung
der syndikalistisch-anarchistischen Jugend in dieser Frage siehe auch: Helge
Döhring: „Syndikalismus im ‚Ländle’. Die Freie Arbeiter-Union Deutschlands (FAUD)
in Württemberg 1918-1933“, S. 93-102.
(28) "Der Syndikalist", 7. Jg. (1925), Nr. 10.
(29) "Die Internationale", 2. Jg. (1925), Nr. 5, S. 51 (Bericht des II.
Kongresses der Internationalen Arbeiter-Assoziation , Amsterdam, vom 21. bis 27.
März 1925).
(30) Eine lesenswerte Broschüre zum Thema gibt es vom Zeitzeugen und ehemaligen
Aktiven der "Schwarzen Schar", Hans Schmitz, mit dem Titel: "Umsonst is dat nie.
Widerstand- ein persönlicher Bericht.", mit zahlreichen Photos aus Hans Schmitz
Privatbesitz.
(31) Siehe auch: Kurt Piehl: Rebellen mit dem Edelweiß – Von den Nazis zu den
Yankees. Roman eines Edelweißpiraten und Alexander Goeb: Er war sechzehn als man
ihn hängte; Das kurze Leben des Widerstandskämpfers Bartholomäus Schink.
(32) Vgl.: Dieter Nelles: Alfons Pilarski und der Anarchosyndikalismus in
Oberschlesien in der Zwischenkriegszeit, in: Schwarzer Faden, 22. Jg. (2002),
Nr. 74, S. 63.
(33) Vgl.: Jürgen Mümken: Anarchosyndikalismus an der Fulda..., S. 43 f.
(34) Vgl.: ebd., S. 39 f.
(35) Vgl.: Axel Ulrich: Zum Widerstand der Freien Arbeiter- Union
Deutschlands..., S. 157 f.
(36) Axel Ulrich: Zum Widerstand der Freien Arbeiter- Union Deutschlands..., S.
169.
(37) Vgl.: Jürgen Mümken: Anarchosyndikalismus an der Fulda..., S. 52.
(38) siehe Dieter Nelles: Deutsche Anarchosyndikalisten und Freiwillige in
anarchistischen Milizen im Spanischen Bürgerkrieg, in IWK, 33. Jg. (1997), Heft
4.
(39) Vgl.: Ulrich Klan/ Dieter Nelles: "Es lebt noch eine Flamme"..., S. 37.
(40) "Der Syndikalist", 14. Jg. (1932), Nr. 15.
Anhang:
In den „Richtlinien für den Aufbau der kommunistischen Gesellschaft nach einem
siegreich beendeten Generalstreik, ausgearbeitet von der Studienkommission der
Berliner Arbeiterbörse, heißt es unter „A. Enteignung“:
1. Der Generalstreik darf erst abgebrochen werden, nachdem die Entwaffnung der
Bourgeoisie, des Militärs und der Polizei, sowie die Enteignung alles Besitzes
in Industrie, Handel und Groß- und Mittelgrundbesitz restlos durchgeführt ist.
2. In den Städten haben die Arbeiter bezirksweise Besitz zu ergreifen von allen
Lebensmittelmagazinen und –depots, den markt- und Kühlhallen, sowie allen
öffentlichen kommunalen und staatlichen Anstalten. In den Betrieben (Fabriken,
Werkstätten, Verkehrsanstalten, kauf- und Handelshäusern) haben die Arbeiter und
Angestellten derselben die Verwaltung zu übernahmen. Die Häuser sind in die
Verwaltung der Mieterräte zu nehmen. Alle Bezirke zusammen bilden mit den
Vertrauensleuten der Betriebe die Kommune.“
Aus: FAU-Bremen (Hrsg.): Studienkommission der Berliner Arbeiterbörsen/ Franz
Barwich (1923): „Das ist Syndikalismus“. Die Arbeiterbörsen des
Syndikalismus..., S. 53.
Aus: FAU-Bremen: Klassenkampf im Weltmaßstab, Bremen 2006
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