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Helge Döhring
Anarcho-Syndikalismus ist nicht links
Die Begriffe "links" und "rechts" und auch die "Mitte" sind im ureigensten Sinne
parlamentarische Begriffe. Die jeweiligen Richtungsangaben leiten sich ganz
einfach aus der Rednerperspektive im Parlament ab. Rechts vom Redner saßen die
Konservativen, links die Sozialdemokraten, Kommunisten, in der Mitte die
Liberalen.
Unter diese Begriffe fallen also seit jeher nur parlamentarische politische
Vereinigungen. Gewerkschaften und (andere) politische Zusammenschlüsse, welche
nach anarchistischen Prinzipien die parlamentarische Betätigung ablehnen, fallen
nicht unter diese Kategorie. Sie unterscheiden sich grundsätzlich von
sozialdemokratischen oder kommunistischen Strömungen, sind eben nicht
zentralistisch und somit staatsbefürwortend, hängen nicht an diversen Dogmen,
wie dem historischen Materialismus als einzigem Erklärungsmuster für Geschichte
und Zukunft, sehen nicht in Hörigkeit, Autorität und Führerkult ihre Stärke,
sondern in Zusammenschlüssen selbstdenkender, selbstbewußter und damit in jeder
Hinsicht emanzipierter Individuen, stehen also für eine Bewegung von unten ein,
ohne Vermittler, Bürokraten und Führer.
Es gibt mit "sozialistischen" Parteien sowenig Gemeinsamkeiten, wie mit
nichtparlamentarischen monarchistischen und kapitalistischen Despoten auch.
Freiheitlich-emanzipatorische Betätigungen zielten in der ganzen Geschichte
niemals auf parlamentarische Tätigkeiten ab, sondern lehnten diese strikt ab.
Sowohl unter "linken" als auch unter "rechten" oder "Mitte"-Regierungen wurden
freiheitliche Ideen und Aktivitäten unterdrückt, wurden und werden
Anarcho-SyndikalistInnen überwacht, verfolgt, eingesperrt oder auch ermordet. Im
faschistischen, wie im "demokratischen" Italien, im faschistischen, wie im
"demokratischen" Deutschland, im zaristischen, wie im kommunistischen Rußland,
im kapitalistischen, wie im kommunistischen Cuba, im monarchistischen, wie im
faschistischen Spanien - ja wie in jedem Staat, jedem zentralistischen Gebilde
durch Polizei, Geheimdienste, Bürokratie und Militär. Anarcho-Syndikalismus hat
sowohl in der Theorie, als auch in seiner praktischen Tätigkeit mit Marxisten,
Kapitalisten oder Faschisten gleichermaßen wenig gemeinsam, richtet sich somit
gegen "rechts", "links" und "Mitte" gleichermaßen.
Diese Richtungsangaben werden gezielt dazu eingesetzt, um uns Gemeinsamkeiten
zwischen Marxisten/ anderen Autoritären einerseits und Anarcho-SyndikalistInnen
andererseits vorzugaukeln, die es gar nicht gibt, die nie bestanden haben. Die
Grenzen verlaufen nämlich nicht zwischen "rechts" und "links", sondern immer
zwischen oben und unten. Parlamentarier und Regierungen jeder Art, ob "Rechts-",
oder "Links"-Regierungen üben Herrschaft aus. Der Anarcho-Syndikalismus vertritt
in seinen Prinzipien einen deutlichen Klassenstandpunkt, demnach der Sozialismus
entweder frei oder gar nicht sein werde. Es gibt also keine "linke Einheit" im
Klassenkampf, sondern an dieser Stelle nur die Selbstorganisation
emanzipatorischer Bewegung gegen jede Form von Herrschaft. Das Denken in
"rechts" - "links"-Kategorien verschleiert bereits in unseren Köpfen und damit
bereits im Ansatz die eigentliche Frontstellung. Aus diesem Denken leiten sich
dann immer wieder Trugschlüsse ab, die nur dazu führen, uns vom Regen in die
Traufe zu führen - vom Kapitalismus und seinen Gefängnissen in den
Staatskapitalismus und die Gulags der Marxisten. "Links" und "rechts" sind
Kampfbegriffe, die von den jeweils Herrschenden eingesetzt werden, um unser
Denken zu vernebeln und in falsche Bahnen zu lenken. Desweiteren und genauso
schlimm ist die Tatsache, daß diese inhaltslosen Begrifflichkeiten die
Herausbildung aussagekräftiger und gehaltvoller Bezeichnungen für die
Beschreibung der anarcho-syndikalistischen Bewegung behindert. Der
Anarcho-Syndikalismus wird zumindest im Titel oder der Titelunterschrift fast
jeder Publikation einfach unter "links" subsumiert - und das von Anarchisten,
Marxisten, Sozialdemokraten, Konservativen und Faschisten gleichermaßen ! Welch
ein Hohn auf unsere Prinzipien. Weder der Anarchismus, noch der
Anarcho-Syndikalismus sind "links", sondern emanzipatorisch, basisbewußt- und
bestimmt, an den Bedürfnissen der Menschen orientiert, und in der Negation dann
auch antistaatlich und antiparlamentarisch, unbürokratisch, undogmatisch und
vieles mehr. Es geht eben darum, in unserem Ausdruck Inhalte zu vermitteln,
nicht zu vernebeln oder gar falsche Gemeinsamkeiten herbeizureden.
Unser Leben in die eigenen Hände zu nehmen heißt erstmal auch, Begrifflichkeiten
und Kategorien selbst zu bestimmen und zu setzen, statt sie uns diktieren zu
lassen. Selbstbestimmtes und emanzipatorisches Handeln fängt im Kopf an. Wenn
die Gegner unser Denken bestimmen, haben wir schon verloren. Selbstorganisation
fängt im Kopf an.
"Totalitarismus"
Das die "Mitte" "rechts" und "links" in den "Extremismus"- Topf wirft, ist
bekannt; daß sie sich selbst aber nicht mit dazuzählt ist geradezu verlogen. Die
"rechts"-links"- Extreme werden von der "Mitte" als Totalitär bezeichnet -
zurecht. Nur wissen wir, daß jede sog. "Demokratie" jederzeit ebenfalls
totalitäre Züge annehmen kann, wie in Deutschland im großen 1932/33 und 1956/
1977 im kleinen. "Totalitär" ist ein Kampfbegriff der "Mitte", um uns
grundsätzliche Unterschiede zwischen "Demokraten" und "Extremisten"
vorzugaukeln.
Auch die sind grundsätzlich nicht gegeben. Die Umwandlung der Bundesrepublik
Deutschland in einen "Totalitären Staat" kann jederzeit völlig legal vollzogen
werden. Die rechtlichen Mittel dazu sind gegeben (Polizeigesetze, Grundgesetz
und Notstandsgesetze), wie auch die Mittel zur Umsetzung in den Startlöchern
stehen (Polizei, Geheimdienste, Militär Verwaltungsapparat). "Totalitarismus"
ist insofern ebenfalls eine irreführende Begrifflichkeit.
"Demokratien" und "Extremisten" haben aus anarcho-syndikalistischer Sicht viel
mehr gemeinsam, als sie trennt. Sie sind zentralistisch-hierarchisch, staatlich,
bürokratisch, autoritär, den freien Willen untergrabend, antiemanzipatorisch,
bevormundend, kapitalistisch. Unterscheidungen finden sich hierbei nur in
Nuancierungen, sowie darin, ob die Wirtschaft privat (Kapitalismus) oder
staatlich (Staatskapitalismus) gelenkt wird.
Die Klassenverhältnisse sind prinzipiell die gleichen. Der Anarcho-Syndikalismus
richtet sich gegen jede Form von Herrschaft und bedeutet Organisierung von unten
nach anarchistischen Prinzipien mit dem Ziel, jede Form von Ausbeutung und
Unterdrückung abzuschaffen und an ihre Stelle eine Gesellschaft selbstbestimmter,
emanzipierter Individuen zu schaffen, welche sich nach freien Vereinbarungen
verbinden und wieder lösen können. Eigenverantwortlichkeit und Selbstdisziplin
ersetzen Bevormundung und Hörigkeit. Selbstverwaltung in allen Lebensbereichen
tritt an die Stelle hierarchischer Gliederungen.
Genauso wie der Marxismus schiebt uns auch die "demokratische Mitte" stets in
die "linke" Ecke und präsentiert sich somit selbst stets als Hort von Vernunft
und Gerechtigkeit. Die weltweite Ausbeutung und Unterdrückung geht jedoch nicht
vom Anarcho-Syndikalismus aus. Auch vernichten wir nicht systematisch
Lebensmittel und lassen täglich allein 20000 Kinder weltweit verhungern, um die
Preise auf dem Weltmarkt stabil zu halten. Wir errichten auch nicht korrumpierte
Marionettenregierungen in anderen Staaten, um unsere imperialen Interessen
weltweit durchzusetzen, ebenso wenig, wie wir denselben Waffen und
Folterinstrumente liefern.
Wenn etwas auf dieser Welt vernünftig ist, dann ist dies die Überwindung der
herrschenden Verhältnisse und das Werden einer freien Gesellschaft, wie oben
kurz skizziert.
Anstelle von "links"
Aber als aller erstes tritt an die Stelle fremdbestimmter Begriffsdefinition das
undogmatische und freie Denken und die freie Begriffsbestimmung von unten.
"Links" ist lediglich eine inhaltsleere Richtungsangabe und kann vieles
bezeichnen: Einen Flügel der NSDAP, diverse Hegelianer, autoritäre Jakobiner,
den Leninismus, Stalinismus, Trotzkismus, Maoismus, Castro, "Linksruck", Heiner
Geissler, die "Republikaner" im faschistischen Spektrum, Che Guevara, die "Rote
Heidi", die Stadt München in Bayern - "links" ist beliebig, ein Gummibegriff und
an Relativität kaum zu überbieten.
Statt "rechts"-"links"- Kategorien aufzustellen, sollten wir die wahren
Unterschiede benennen, nämlich Arm/ Reich, Kapitalisten/ ArbeiterInnen,
Bürokratie/ Sozialhilfe-Arbeitslosenhilfebedürftige, Patriarch/ Ausgebeutete,
Parlamentarismus/Anarcho-Syndikalismus, Staat/ freie Gesellschaft, autoritär/
emanzipatorisch, Wille zur Macht/ Wille zur Freiheit und sicherlich noch einiges
mehr.
Nur so werden wir nicht unnötig im dunkeln tappen und können den Hebel besser
ansetzen, um unsere Vorstellungen einer freien Gesellschaft auch umzusetzen.
Die Begrifflichkeit "links" sollten wir dabei ganz einfach links liegen lassen.
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