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Helge Döhring:

Zwischen Revolution und Reform

Die Stellung der Freien Arbeiter Union Deutschlands FAUD zum Tarifvertragssystem

Die „Freie Vereinigung deutscher Gewerkschaften“ (FVdG), gegründet 1897, unterschied sich von den sozialdemokratisch dominierten Zentralverbänden u.a. dadurch, daß sie nicht nur grundsätzlich föderalistisch organisiert war (Selbständigkeit der einzelnen Ortsvereine), sondern auch dadurch, daß sie den revolutionären Sturz des kapitalistischen Wirtschaftssystems anstrebte, statt Tarifpolitik zu betreiben. Statt Berufsinteressen sollten mittels direkter Aktionen Klasseninteressen vertreten werden. Statt Sicherung des durch Arbeitskämpfe erreichten durch Tarifverträge, bevorzugten die Ortsvereine der FVdG weitere Angriffskämpfe in den Betrieben bis hin zum Generalstreik. (1)

Die Prinzipien der FAUD

Aus der FVdG ging nach dem 1. Weltkrieg unter tatkräftiger Mithilfe Rudolf Rockers im Jahre 1919 die Freie Arbeiter Union Deutschlands (FAUD) hervor und erlangte durch die ausgearbeitete Prinzipienerklärung ein deutliches anarcho-syndikalistisches Profil. Das beinhaltete auch die Ablehnung des Tarifvertragssystems, welches im Dezember vom Rat der Volksbeauftragten als rechtsschöpferischer Faktor anerkannt worden war. Als Garant dieses Rechtsverhältnisses fungierte (manifestiert in der Weimarer Reichsverfassung) der Staat, welchen die anarcho-syndikalistischen GewerkschafterInnen im Gegensatz zu den Zentralverbänden grundsätzlich ablehnten.

Die Konsequenzen wurden im „Syndikalist“ (Organ der FAUD) so beschrieben:

„1. Können die Arbeiter unter den Bedingungen des Tarifsystems nicht mehr unmittelbar für ihre Interessen kämpfen (Friedenspflicht, d.h. Burgfrieden im Betrieb, Einschränkung des Kampfmittels der „Direkten Aktion“)

2. sind sie gezwungen, den Kampf zu delegieren und können dessen Ergebnisse nicht mehr kontrollieren (Zentralisierung)

3. sind die Arbeiter in der Führung ihrer Arbeitskämpfe nicht mehr flexibel, d.h. sie können sich im Kampf um den Preis ihrer Arbeitskraft nicht mehr den je spezifisch regionalen, innerhalb der einzelnen Industriebranchen unterschiedlichen und konjunkturellen Bedingungen anpassen. (Zentralisierung)

4. bedeutet das Tarifwesen „Lähmung jeder Aktionsfreudigkeit“, besonders durch das Schlichtungsrecht und die Friedenspflicht, sowie durch die finanzielle Organisationshaftung im Organisationsvertrag.“ (2)

Auf dem 12. Kongress der Freien Vereinigung deutscher Gewerkschaften im Dezember 1919 wurde bei den Unterschieden zu den Zentralverbänden festgehalten:

„Die Zentralverbände sind Vertretungskörper für die Tarifvertragspolitik, die Syndikalisten bekämpfen die Tarifverträge.“ (3)

Kurswechsel

Infolge der Stabilisierung der Klassenlage in der Weimarer Republik u.a. durch die Verabschiedung des Betriebsverfassungsgesetzes von 1920, der Inflation von 1923 und schließlich durch die Einführung der Kranken-, Invaliden- und Arbeitslosenversicherung, sowie der schwindenden Zuversicht auf eine baldige revolutionäre Veränderung des Staats- und Wirtschaftssystems, sanken die Mitgliederzahlen der FAUD Mitte der zwanziger Jahre auf weniger als die Hälfte und bis 1930 auf weniger als ein Zehntel der unmittelbaren Nachkriegszeit. Die FAUD verfügte so bis auf wenige Ausnahmen über keine relevante Massenbasis in den Betrieben mehr.

Demgegenüber wurden die mitgliederstarken ADGB-Gewerkschaften erfolgreich in das kapitalistische Wirtschaftssystem und das politische System integriert, die FAUD trotz ihrer ständigen Appelle gegen die „Wirtschaftsdemokratie“ marginalisiert. Die überwältigende Mehrheit der Arbeiter entschied sich für den generellen Betriebsfrieden und gegen die Überwindung der kapitalistischen Produktionsweise.

Befanden sich die mitgliederstärksten FAUD-Verbände an Rhein und Ruhr schon in den vorangegangenen Jahren in Opposition zur reichsweiten Theorie und Praxis, so begann von dort ausgehend eine Reflexion über den Grundsatz der Ablehnung von Tarifverträgen einzusetzen. Solange im Gegensatz zu der rapide sinkenden Mitgliederzahl perspektivisch an einen Aufschwung der Bewegung nicht zu denken sei, wollten einige Ortsvereine der FAUD wenigstens einen „Waffenstillstand“ mit den Kapitalisten Vorort aushandeln.

So geschah es bei den Berliner Fliesenlegern, welche einen festen Stundenlohn aushandelten und „viele Mitglieder“ gewannen mit der Aussicht, diese „zu Syndikalisten (zu) erziehen“. (4)

Auch Augustin Souchy als Angehöriger der prinzipientreuen Geschäftskommission der FAUD in Berlin gab 1928 der veränderten Lage in Deutschland nach und befürwortete in einem Beitrag in „Die Internationale“ (Theorieorgan der FAUD) Tarifverträge, wenn sie möglichst kurzfristig angelegt seien, um den Aktionsspielraum noch so groß wie möglich zu halten. Tarifverträge seien bloßer Ausdruck vorangehender Betriebskämpfe. Die kämpfenden Arbeiter hätten, gerade in Anbetracht des reichsweiten allgemeinen Rückgangs revolutionärer Tätigkeiten in den Betrieben, ein Recht darauf, ihre Errungenschaften auch rechtlich abzusichern. Reformen wurden ab Mitte der zwanziger Jahre als legitimes Mittel auf dem Weg zur revolutionären Veränderung angesehen, wenn die Anwendung syndikalistischer Kampfformen keine weiteren Erfolge versprächen. (5)

1929 wurden seitens weiterer FAUD Ortsvereine Tarifverträge abgeschlossen, so in Groß-Berlin (Manteltarifvertrag) bei den Kistenmachern oder bei den Fliesenlegern an Rhein und Ruhr, worüber der Düsseldorfer Karl Windhoff berichten konnte:

„Wenn wir die Mehrheit einer Berufsgruppe hinter uns haben, dann würden wir ja geradezu unsere Pflicht versäumen, wenn wir unsern Einfluß nicht bei der Tarifgestaltung zur Geltung bringen. Wir haben in verschiedenen rheinischen Orten Löhne erreicht, die um 30 bis 35 % höher sind als in den übrigen Orten. Ich frage: ist das ein Erfolg oder nicht? Wir haben erreicht, daß wir darüber bestimmen, wer eingestellt und wer entlassen wird. Ist das ein Erfolg oder nicht? Wir haben die Zentralgewerkschaft genötigt, unsere Abmachungen mit zu unterschreiben. Wir haben die staatlichen Schlichter ausgeschaltet. Wir haben die schriftliche Bestimmung durchgesetzt: ‚Für alle Streitigkeiten sind die amtlichen und staatlichen Schlichtungsstellen auszuschalten, soweit dazu nicht ein gesetzlicher Zwang besteht.’ Ich frage: ist das ein Erfolg oder nicht? Wir haben in verschiedenen Verträgen durchgesetzt, daß nur Mitglieder unserer Fliesenleger-Organisation eingestellt werden. Wir arbeiten täglich nur 7 ½ Stunden und am Sonnabend Nachmittag gar nicht. Bei schlechter Konjunktur bestimmen wir, daß die Arbeitszeit weiter so verkürzt wird, daß keiner entlassen zu werden braucht. In der Zeit der jetzigen Massenarbeitslosigkeit ist die radikale Verkürzung der Arbeitszeit eine Notwendigkeit, für die alle Arbeiter und auch viele kleinbürgerliche Schichten Verständnis haben. Wir arbeiten jetzt an der Durchsetzung der fünftägigen Arbeitswoche.“ (6)

Die Konkurrenzsituation zu den Zentralgewerkschaften war eine existenzielle: Die ADGB-Gewerkschaften machten, wie Windhoff anmerkte, auch innerbetrieblich in Kollaboration mit den Unternehmern gegen anarcho-syndikalistische Aktivitäten und Kollegen mobil, was zu zahlreichen Entlassungen von FAUD-Mitgliedern führte und damit zum drohenden Verlust der verbliebenen betrieblichen Basis der FAUD auch in deren Hochburgen. Hinzu kam der Alleinvertretungsanspruch der ADGB-Gewerkschaften auch im Tarifrecht, womit von revolutionären Gewerkschaften abgeschlossene Tarifvereinbarungen mit dem Unternehmertum gesetzlich für ungültig erklärt werden konnten.

Fritz Linow, Arbeitsrechtsexperte der FAUD, schloß sich der Forderung nach einem anderen Umgang in der Tarifvertragsfrage an: „Ich bin der Meinung, daß der Anarcho-Syndikalismus nur existenzberechtigt ist, wenn er in der Lage ist, praktisch die Gesetze des Lohnkampfes – und dazu gehört auch die Bestimmung der Lohn- und Arbeitsbedingungen – richtungsgebend zu beeinflussen. Verfehlt ist der Einwurf, daß wir Opportunisten seien, wenn wir die Interessenvertretung pflegen. Ich bin der Meinung, daß der Anarchismus überhaupt erst dann lebendige Gestalt annimmt, wenn seine Grundsätze im Klassenkampf der Arbeiter gegen die kapitalistische Gesellschaftsordnung auf ihre Stichhaltigkeit untersucht werden. Kann der Anarchismus dort mit dem Kapitalismus seine Klinge kreuzen, dann ist er innerhalb der Gewerkschaftsbewegung gesund. Es kommt nur darauf an, Mittel und Wege zu suchen, breitere Kreise der Arbeiterschaft davon zu überzeugen, daß man nicht abwarten soll, was der große Zentralverband tut, sondern daß man aus eigenem (fehlt im Original, Anm. d. Autoren) die Lohn- und Arbeitsbedingungen gestalten muß. Es kommt darauf an, eine revolutionäre Aktionsgemeinschaft zu besitzen.“ (7)

Ebenso äußerte sich Helmut Rüdiger als Mitglied der Geschäftskommission: „(...) bekenne ich mich zur Teilnahme an Tarifverträgen, zum Kampf für das Vertretungsrecht bei den Arbeitsgerichten usw.“ (8)

Dennoch verbleiben andere Ortsvereine in strenger Opposition, darunter auffallend viele, welche gar nicht (mehr) in Betrieben verankert waren und außerhalb der Arbeiterbewegung standen, wie z.B. die FAUD in Kassel. In solchen Gruppen entfiel die Motivation, innerhalb der Organisation verbliebene Mitstreiter durch das Abschließen von Tarifverträgen an die FAUD zu binden. So wiederholten Mitglieder der Kassler FAUD noch 1928 im „Syndikalist“ die eingangs angeführten Argumente gegen die Tarifpolitik mit der aus ihrer Sicht folgerichtigen Ergänzung, daß Ortsvereine der FAUD, welche Tarifverträge abschließen, sich außerhalb der Organisation positionieren würden. (9)

Beschluß Reichsarbeitsgericht

In zweiter Instanz wurde der FAUD die Tariffähigkeit mit folgender Begründung vom Reichsarbeitsgericht (RAG-Leipzig) abgesprochen: Eine Organisation, deren Bestrebung dahin geht, die Arbeiter zum Klassenkampf im Wege der direkten Aktion zu veranlassen, kann nicht gleichzeitig Bindungen eingehen, wie sie der Abschluß von, wenn auch nur kurzfristigen, Tarifverträgen zur Folge hat. Die der Freien Arbeiter Union Deutschlands (FAUD) angeschlossenen Verbände, die das geltende Tarif- und Schlichtungswesen nicht als für sie verbindlich anerkennen, sind daher nicht tariffähig. (10)

Schon das Landesarbeitsgericht (LAG) Duisburg hat aus denselben Gründen unter Berufung auf die Prinzipienerklärung der FAUD von 1919 und der programmatischen Grundlage der FAUD (laut Beschluß vom 16. Kongreß 1927) die Tariffähigkeit der FAUD als nicht gegeben angesehen. Die Kompromißstrategie der FAUD wurde durchschaut. Denn obwohl die „Tariffähigkeit als satzungsmäßiges Ziel der Vereinigung“ (FAUD) vom LAG in den Statuten der FAUD ausgemacht worden war, daß aber „trotz des Wortlauts der Satzung der wirkliche Zweck der FAUD nicht, auch nicht nebenher, auf Abschluß ernstgemeinter Tarifverträge gerichtet ist.“ Das Reichsarbeitsgericht formulierte diese Einschätzung so: „Diesem Abschlusse einzelner Tarifverträge können Erwägungen rein taktischer Natur zugrunde liegen, die es haben angezeigt erscheinen lassen, die Durchführung der Grundsätze der Prinzipienerklärung auf Zeit zurückzustellen. Das Landesarbeitsgericht hat sich deshalb mit Recht auf den Standpunkt gestellt, es könne aus dem Abschluß einzelner Tarifverträge noch nicht ohne weiteres gefolgert werden, daß nun auch eine grundsätzliche Bereitschaft bestehe, die durch die Gesetzgebung getroffene Regelung des Tarifvertrags- und Schlichtungswesens als verbindlich anzuerkennen. (...) Solange daher die der FAUD angeschlossenen Vereinigungen sich zu den Grundsätzen bekennen, wie sie vorstehend dargelegt sind, muß auch damit gerechnet werden, daß die diesen Vereinigungen angehörenden Arbeitnehmer ohne Rücksicht auf bestehende Tarifverträge diesen mit der Bindung an Tarifverträge nicht vereinbarten Grundsätzen entsprechend handeln. (...) muß der Tarifkontrahent, der die im Tarifvertrag bestimmten besonderen Verpflichtungen und die Friedenspflicht übernimmt, dem Vertragsgegner eine Gewähr der eigenen Tariftreue und der Einflußnahme auf die Mitglieder im Sinne des Vertrages bieten.(...) Anmerkung (...) Zu einer solchen Einflußnahme ist er auch gar nicht in der Lage, da die Mitglieder nicht verpflichtet sind, einer derartigen Einwirkung Folge zu geben.“ (11)

Urteilskritik der FAUD

Fritz Linow (FAUD) kritisierte in einem Beitrag in „Die Internationale“ die mangelnde Definition des Begriffs „direkte Aktion“, auf welchen sich das Gerichtsurteil in jeder Beziehung stützte und den Mangel an Beweisen für die unterstellte Absicht, die FAUD wolle Tarifverträge brechen. Die Ablehnung des Schlichtungsverfahrens durch die FAUD sei völlig legitim, da Schlichtungen immer auf Freiwilligkeit beruhen würden. Und Freiwilligkeit könne „nicht durch einen einfachen Gerichtsbeschluß zu einem Zwang gestempelt werden.“ Der Abschluß von Tarifverträgen auf lokaler Ebene beweise die Tariffähigkeit eher, als daß sie Gründe böten, die Tariffähigkeit nicht anzuerkennen, aufgrund angeblicher und nicht definierter Widersprüche. Er wies ausdrücklich darauf hin, daß der „Tarifvertrag (...) immer nur eine taktische Maßnahme (ist), denn er entspring(e) keinem Prinzip, sondern den Verhältnissen.“ (12)

Das RAG wurde darauf hingewiesen, daß auch „tariffähige“ Gewerkschaften im Arbeitskampf Mittel der direkten Aktion anwenden – ohne Erfolg. Demgegenüber gelang es der Industrieföderation der Bauarbeiter (FAUD) nach Revision im August 1929 von Arbeitsgerichten als „gewerkschaftliche Vereinigung“ anerkannt zu werden. Diesen Trend gälte es zu verstärken, um weiteren Mitgliederschwund zu verhindern. (13) In den Folgejahren gelang es der FAUD weder tariflich, noch außertariflich, verstärkt in den Betrieben Fuß zu fassen. Nicht wenige Ortsvereine beteiligten sich sogar an Betriebsratswahlen, in der Hoffnung, den Mitgliederrückgang aufzuhalten. Die Marginalisierung in der Mitgliederstärke schritt jedoch voran und erreichte 1932 einen Tiefstand von Reichsweit etwa 4.300 Mitgliedern, bis die FAUD 1933 verboten wurde.

Als Folgen des negativen Entscheids des Reichsarbeitsgerichtes vermutete Fritz Linow: „Die FAUD ist leider eine Minderheitsbewegung, aber sie wird die Arbeiter nur in ihren Reihen halten, wenn sie ihre Interessen vertreten kann. Wir müssen damit rechnen, daß die Presse unserer Gegner die Leipziger Entscheidung des Reichsarbeitsgerichts nach Kräften ausschlachten wird. Dann werden beispielsweise die Bauarbeiter sich sagen, daß sie als Mitglieder der FAUD nicht einmal 3 Mark Werkzeug- oder Laufgeld einklagen können, weil es nicht lohnen würde, wenn sie deswegen selbst zum Arbeitsgericht laufen müssen. Neben diesen schädlichen Wirkungen kann die Leipziger Entscheidung auch sehr unangenehme Nachwirkungen für die Arbeitsnachweise der Bauarbeiter, Fliesenleger und Töpfer haben. Diese Nachweise können auf Grund der Leipziger Entscheidung eventuell aufgelöst werden.“ (14)

Dagegen betonte der Föderationsleiter der Bauarbeiter (Markow) aus branchenspezifischer Sicht: „Der Beschluß des Reichsarbeitsgerichts beweist die Notwendigkeit der Industrieföderationen besser als es die beste Rede tun könnte. Wir haben eine solche Entscheidung vorausgesehen und haben deshalb den Industrieföderationen angeraten, rechtzeitig vorher ihre Anerkennung als tariffähige Vereinigungen durchzusetzen. Wenn der 18. Kongreß dem Aufbau der Industrieföderationen die richtige Beachtung schenkt, dann werden die Folgen der Leipziger Entscheidung für uns nicht so schwarz sein wie sie Linow geschildert hat. Die Föderation der Berliner Bauberufe hat sich ein eigenes Organisationsstatut geschaffen, das ihr die Anerkennung vor den Arbeitsgerichten verschafft hat. Derselbe Richter, der den Vorsitzenden der Provinzialarbeitsbörse als Vertreter abwies, mußte den Vertreter der Föderation der Berliner Bauberufe anerkennen, weil das Organisationsstatut den Mitgliedern den Rechtsschutz zuspricht und weil aus den Statuten zu ersehen ist, daß für die Föderation die FAUD eine Spitzenorganisation ist ähnlich wie der ADGB für die Zentralverbände. Die Bauberufe in Groß-Duisburg haben das Berliner Statut übernommen und damit auch den Erfolg erzielt, daß nunmehr ihre Vertreter anerkannt wurden, während vorher die von der FAUD gestellten Vertreter abgewiesen wurden. Bei dieser Sachlage wird für die gegen die Industrieföderationen gerichteten Anträge keiner eintreten können, der einen weiteren Mitgliederrückgang verhindern will.“ (15)

Letzte Entscheidung

Der 19. und damit letzte Reichskongreß der FAUD zu Ostern 1932 nahm folgendermaßen Stellung zur Tarifpolitik:

„Die FAUD sieht in den Kollektivverträgen eine höhere Form der Regelung der Lohn- und Arbeitsbedingungen als im Individualvertrag. Sie anerkennt die kollektive Bestimmung über die Arbeitslöhne und Arbeitsbedingungen.

Sie unterstreicht das Zusammenwirken der Arbeiter, um den Arbeitsverhältnissen ein einheitlicheres Gepräge zu geben. Aus diesem Grunde schließt sie dort, wo die Bedingungen gegeben sind, Kollektivverträge ab. Sie sieht in solchen Abschlüssen eine unumgängliche Pflicht, um die Lohngestaltung und die Gestaltung der Arbeitsbedingungen dem Einfluß der reformistischen Gegner zu entziehen. Sie wendet sich aber gegen die sogenannte Tarifvertragspolitik, weil diese nicht nach dem Inhalt und nach der Interessenberücksichtigung der Arbeiter fragt, sondern dem Tarifvertrag an sich zum Ziel hat. Die FAUD ist der Meinung, daß die Arbeiter um den Inhalt ihrer Kollektivverträge kämpfen müssen. Nicht auf den Tarifvertrag kommt es an, sondern auf den Inhalt desselben.

Bei allen Kollektivvertragsabschlüssen ist deshalb oberster Grundsatz aller abschließenden Ortsgruppen der FAUD, daß diese Verträge sich von denen der reformistischen Gegner, sowohl der Form als auch dem Inhalt nach unterscheiden müssen. Dies gilt besonders für diejenigen Teile der Kollektivverträge, die auf die Schlichtung von Streitigkeiten Bezug nehmen. In allen Fällen ist um eine Ausschaltung der staatlichen Schlichtungseinrichtungen für Arbeitsstreitigkeiten zu drängen. Die Lauffristen der Kollektivverträge sind unbefristet zu gestalten und oder möglichst kurzfristig zu halten. Bei allen Kündigungsfristen müssen auf alle Fälle lange Fristen abgelehnt und die Kündigungstermine grundsätzlich in solche Zeiten verlegt werden, wo die wirtschaftliche Kraft der Arbeiter ausreicht, Änderungen in ihrem Interesse durchzusetzen.

Wo die Voraussetzungen gegeben sind, schließt die FAUD auch Betriebsvereinbarungen ab. Dabei ist auf die Laufzeiten der sonstigen Verträge in anderen Betrieben oder im Gewerbe oder in der Industrie dergestalt Rücksicht zu nehmen, daß diese Vereinbarungen nicht über die Lauffristen der übrigen Verträge hinausreichen, um zu verhindern, daß die tariflich gebundenen Arbeiter bei Arbeitseinstellungen der übrigen Betriebe zu Streikbrechern werden.“ (16)

Zwei regionale Beispiele:

„Tarifverträge und die Beteiligung an Betriebsratswahlen wurden von der Sömmerdaer Freie Vereinigung aller Berufe (FVaB) von Anfang an akzeptiert. In dieser Beziehung führten die Sömmerdaer ArbeiterInnen nahtlos die Praktiken der gewerkschaftlichen Auseinandersetzung weiter, die sie aus ihrer Zeit in den freien,- reformistischen Gewerkschaften gewohnt waren. Es herrschte die Meinung vor, daß Tarife und Betriebsräte ‚besser als nichts’ seien.“ (17)

In Radebeul bei Dresden streikten noch im November 1932 die Maschinenformer der Gebler AG (Eisenguß- und Emaillierwerk) u.a. gegen Lohnkürzungen und für bessere Akkordsätze. Dabei war ein Teil des Radebeuler FAUD- Ortsvereins, dessen Vorsitzender Arno Scheffler Mitglied der Verhandlungskommission war, welche mit der Betriebsleitung die künftigen Arbeitsbedingungen verhandelte und dabei für die Arbeiterschaft sehr erfolgreich war. (18)

(1) Vgl.: Protokoll über die Verhandlungen vom 12. Kongreß der Freien Vereinigung deutscher Gewerkschaften, S. 80 f.

(2) „Der Syndikalist“, 1. Jg. (1919), Nr. 8. Die Haltung der FAUD gegenüber der Schlichtungsordnung ist formuliert in: „Der Syndikalist“, 4. Jg. (1922), Nr. 10, Titelseite „Nieder mit der ‚Schlichtungsordnung’!“.

(3) Protokoll über die Verhandlungen vom 12. Kongreß der Freien Vereinigung deutscher Gewerkschaften..., S. 81.

(4) Protokoll über die Verhandlungen vom 16. Kongress der Freien Arbeiter-Union Deutschlands (A.-S.)..., S. 44.

(5) Vgl.: „Die Internationale“, 1. Jg. (1928), Nr. 12.

(6) Protokoll über die Verhandlungen des 18. Kongresses der FAUD..., S. 65.

(7) Ebd., S. 71. Zu Kollaboration von Zentralverbändlern mit Unternehmern kam es allgemein gegen revolutionäre Organisationen, so auch gegen die Allgemeine Arbeiter Union Deutschlands (AAU). Um einen Unternehmer zu zwingen, die Mitglieder der AAU zu entlassen, gingen Zentralverbändler einer Großbäckerei in einen zweistündigen Streik, bis der Unternehmer nachgab, wogegen die Entlassenen vergebens den Rechtsweg bis hin zum Reichsgericht einschlugen, vgl.: Reichsarbeitsblatt, Nr. 26 (1925), S. 286-288.

(8) Ebd., S. 77.

(9) Vgl.: Jürgen Mümken: Anarchosyndikalismus an der Fulda, S. 39. Der Kasseler Willi Paul erklärte dazu: “...Der Arbeiter wird dadurch unselbständig gemacht, seines Klassendenkens beraubt, nicht zum Denken erzogen, er sucht nicht mehr nach neuen Mitteln und Methoden, um den Klassenkampf erfolgreich führen zu können, und er wird bar jeder Initiative, mutlos, der eigenen Kraft nicht mehr trauend, er wird degradiert zur Null, wartet auf seinen Führer, welche am Verhandlungstisch bessere Lebensmöglichkeiten für ihn schaffen soll“, ebd. Die zentrale Diskussion im „Syndikalist“ wurde in der zweiten Jahreshälfte 1928 geführt, wo Befürworter und Gegner sich noch die Waage hielten.

(10) Vgl.: Dersch Dr., Hermann u.a. (Hrsg.): Entscheidungen des Reichsarbeitsgerichts und der Landesarbeitsgerichte, Bd. 9.

(11) Ebd.

(12) „Die Internationale“, 3. Jg. (1930), Nr. 9/ 10. Auch der Jurist Karl Korsch nahm sich der Frage um die Tariffähigkeit revolutionärer/syndikalistischer Organisationen in einer eigenen Schrift an, vgl.: Korsch, Karl, Dr. jur.: Um die Tariffähigkeit. Eine Untersuchung über die heutigen Entwicklungstendenzen der Gewerkschaftsbewegung, S. 13 ff. Dagegen sprach sich Dr. Wilhelm Herschel, Professor am Staatlichen Berufspädagogischen Institut Köln, im Sinne des RAG gegen die Tariffähigkeit revolutionärer/syndikalistischer Organisationen aus, vgl: Dr. Wilhelm Herschel: Tariffähigkeit und Tarifmacht. Eine Skizze, S. 35. Ebenso Prof. Dr. P. Oertmann (Göttingen) in: Juristische Wochenschrift, 60. Jg. (1931), Heft 19, S. 1293 ff.

(13) zur kompletten Auseinandersetzung in der FAUD siehe Ergänzungsband.

(14) Protokoll über die Verhandlungen des 18. Kongresses der FAUD..., S. 70 f.

(15) Ebd., S. 71.

(16) „Der Syndikalist“, 13. Jg. (1932), Nr. 13.

(17) Frank Havers: Die Freie Arbeiter- Union Deutschlands in Sömmerda/Thüringen von 1919 bis 1933, Bochum 1997.

(18) Vgl.: Jenko, Jürgen: Die anarcho-syndikalistische Bewegung (FAUD) in Dresden, S. 76 f.

Aus. FAU-Bremen (Hrsg.): Syndikalismus – Geschichte und Perspektiven, Bremen 2005

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