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Carl Legien und der Militärputsch Der Vorsitzende des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes, Legien, der in den Tagen des Putsches und nach der Rückkehr der „rechtmäßigen“ Regierung nach Berlin einen starken Einfluss auf die Geschehnisse ausübte, leitartikelt im „Vorwärts“ vom 8. und 9. April über seine Eindrücke. Auch für uns Syndikalisten ist manches, was der Allgewaltige da zu sagen weiß, wissenswert und interessant:... „Nach Irren und Wirren in den verschiedenen Richtungen der Arbeiterbewegung stand hier nach Jahren wieder die Arbeiterschaft im Kampfe geschlossen und zwar unter Führung der gewerkschaftlichen Gruppe, die der Anwendung des Generalstreiks in den letzten Jahren widersprochen hatte.“ Legien stellt also zwei wichtige Dinge fest: Irren und Wirren herrschten in den verschiedenen Richtungen der Arbeiterbewegung solange, bis sie sich zu dem ausgesprochen syndikalistischen Kampfmittel, zum Generalstreik bekannte. Bis dahin war gerade Legien der lauteste Rufer im Streit: Die Syndikalisten sind Wirrköpfe! Jetzt muss er anerkennen, dass ausgerechnet der Generalstreik allein imstande ist, die gesamte Arbeiterschaft zu einer einzigen Kampfesmasse zusammenzuballen. Und die Führung des Generalstreiks hatten Legien und Genossen übernommen, die Gruppe, „die der Anwendung des Generalstreiks in den letzten Wochen widersprochen hatte“. Ganz ehrlich ist auch diese Feststellung nicht: Legien und seine Getreuen waren nicht nur „in den letzten Jahren“ Gegner der Generalstreiksidee, sondern immer und andauernd. Sie waren es, die selbst die Verfälschung, den „politischen Massenstreik“ ablehnten, die in einer Geheimkonferenz mit den Leitern der Sozialdemokratie unter Führung von August Bebel Thesen aufstellte, deren erste entgegen dem Parteitagsbeschluss lautete: „Der Parteivorstand hat nicht die Absicht, den politischen Massenstreik zu propagieren, sondern wird, so weit es ihm möglich ist, einen solchen zu verhindern suchen“. Sie waren es, die, als die Syndikalisten diese geheimen Abmachungen den Arbeitern bekannt machten, „Verrat“, „Infamie“ schrieen. Sie sorgten dafür, dass die Vertreter der Generalstreiksidee aus der Partei ausgeschlossen wurden. Und jetzt will es die Ironie der Weltgeschichte, dass gerade Legien der Führer des ersten deutschen Generalstreiks wurde. Welcher Arbeiter kann, wenn er nur diese eine Tatsache weiß, von dem Ausgang des Generalstreiks enttäuscht sein? Legien plaudert weiter: „Bereits am 13. März, vormittags 11 Uhr, hatte der Vorstand des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes (ADGB) einstimmig beschlossen, die Arbeiterschaft zur Abwehr gegen den Kapp-Lüttwitz-Putsch zum Generalstreik aufzurufen. Die Arbeitsgemeinschaft freier Angestelltenverbände (AfA) fasste nach Verständigung mit dem Bundesvorstand mittags 1 Uhr den gleichen Beschluss. Der Vorstand der Sozialdemokratischen Partei (SPD) war bereits vorangegangen. Die Zentrale der Unabhängigen Sozialdemokratie (USP) und die Berliner Gewerkschaftskommission beschlossen gleichzeitig den Generalstreik.“ Die USP lehnte aber ein gemeinsames Zusammenarbeiten ab, da SPD und ADGB als Ziel des Streiks nur die Wiedereinsetzung der verfassungsmäßigen Regierung sich steckten. ... „Auch der zweite Vorschlag für ein geschlossenes Vorgehen, die Herausgabe eines gemeinsamen Mitteilungsblattes während des Generalstreiks, wurde von der Zentrale der USP abgelehnt, obgleich der Vorstand des ADGB ein Mitglied dieser Partei als Redakteur des Blattes gewählt hatte. Das rächte sich bitter. Die kämpfende Arbeiterschaft blieb bis in die letzten Streiktage ohne zuverlässige Benachrichtigung, denn der Versuch, für den ADGB und die AfA ein Nachrichtenblatt herauszugeben, fand in den Druckereien Widerstand, so dass der Plan nicht zur Ausführung gelangen konnte. Erst am 19. März, abends erschien ein Nachrichtenblatt der Zentralstreikleitung, nachdem der Vorstand des ADGB dem Verlangen der Buchdrucker entsprechend seine Zustimmung zur Herausgabe erteilt hatte.“ „Die Zentralstreikleitung war aus Vertretern der Berliner Gewerkschaftskommission, der USP und der Kommunistischen Partei zusammengesetzt. Mit ihr hatten die Zentralen der Arbeiter- und Angestelltenorganisationen keine Verbindung. Dagegen wurde sie mit der Berliner Gewerkschaftskommission durch Mittelspersonen, die an den beiderseitigen Sitzungen teilnahmen, aufrechterhalten. Die SPD war in den Sitzungen der Zentralen stets vertreten.“ ... Die Parteien also waren Schuld daran, dass ein Mitteilungsblatt nicht erscheinen konnte. Die Parteien hinderten die einheitliche Führung. Und die Buchdrucker weigerten sich, überhaupt ein Mitteilungsblatt zu drucken. Zwei Streikleitungen stritten sich um die Herrschaft. Am 16. März, am selben Tag, da die Verordnung der Kapp-Lüttwitz-Regierung in Kraft treten sollte, dass alle Rädelsführer und Streikposten mit dem Tode bestraft würden, wurde schon bekannt, dass diese monarchistische Putsch-Regierung erledigt sei. Die Gewerkschaftszentralen beschlossen dennoch Fortsetzung des Streiks, da einmal die Baltikumtruppen noch in Berlin hausten und weil Sicherungen gegen die Wiederkehr eines Militärputsches für die Zukunft gegeben werden sollten. Dazu verrät uns Legien folgendes: „Die Bekanntgabe dieses Beschlusses hatte ein eigentümliches Schicksal. Zunächst gelang es nicht, eine Druckerei zu finden, die eine Massenauflage der Kundgebung herstellen konnte, weil es an elektrischem Strom und an Gas für die Stereotypie fehlte. Als schließlich Ullstein unter bestimmten Voraussetzungen den Druck übernehmen wollte, weigerten sich erst die Setzer, dann die Maschinenmeister, die Arbeit auszuführen. Nur dem energischen Auftreten des Vorstandes des ADGB war es zu danken, dass dieser Widerstand überwunden wurde.“ Wir Syndikalisten können uns über diese wie ein dummer Witz wirkende, beschämende Tatsache leider nicht wundern. Wir kennen die „Intelligenz“ der stramm organisierten Buchdrucker zur Genüge. Das Gehirn eines bei Ullstein beschäftigten Setzers und Maschinenmeisters ist eben zur Hälfte Marke Ullstein, zur Hälfte Marke Korrespondenzblatt. Und diese Marken schließen gesunden Menschenverstand absolut aus. Legien erzählt von dem Schicksal dieser Flugblätter weiter: „Am 17. März, morgens 4 Uhr, waren die Flugblätter fertig. Mittlerweile war das „Zeitungsviertel“ von „Regierungstruppen“ besetzt worden. Als in den frühen Morgenstunden Beauftragte des Deutschen Eisenbahnerverbandes Flugblätter abholen wollten, wurde ihnen von dem Kommandeur der „Regierungstruppen“ erklärt, dass die Schrift, weil sie zur Fortsetzung des Generalstreiks auffordere, nur mit Genehmigung der verfassungsmäßigen Regierung herausgegeben werden dürfe. Nachdem diese Genehmigung eingeholt war und die Flugblätter abgeholt werden sollten, erklärte der Verlag Ullstein, dass sie mittlerweile von „regierungstreuen“ Truppen verbrannt worden seien. Nachdem eine andere Druckerei in Charlottenburg für die Herstellung der Kundgebungen gewonnen war, konnte sie an die Berliner Arbeiterbevölkerung mit vierundzwanzigstündiger Verspätung herausgegeben werden.“ Ja, die „Republik“ Preußen-Deutschland kann auf ihre „Regierungstruppen“ stolz sein; und auch auf ihre Regierung. Selbstverständlich sind Truppen nicht einexerziert auf Generalstreikspropaganda, sondern auf blaue Bohnen. Und der „verfassungsmäßigen“ Regierung ist es zuzutrauen, dass sie sowohl die Genehmigung zur Verbreitung als auch den Befehl zum Verbrennen eines Flugblattes gibt. Legien fährt fort: „Schon bei den Beratungen am 13. März wurde festgestellt, dass der Generalstreik in ganz Deutschland zur Demonstration gegen den Putsch für einige Tage einsetzen müsse. In Berlin habe er bis zur Beseitigung der „Kappregierung“ und der Baltikumtruppen fortzudauern, während er in anderen Orten, wenn nicht besondere politische Gründe seine Fortdauer verhindern, abzubrechen wäre. Anfragen aus Süddeutschland, ob dort, wo Kapp und Genossen nicht ernst genommen würden und alles ruhig sei, auch gestreikt werden müsse, wurden vom Vorstand des ADGB dahin beantwortet, dass dies notwendig sei, um die Einigkeit und Geschlossenheit der Arbeitnehmerschaft Deutschlands gegenüber einer reaktionären und militärischen Regierung unzweideutig zu beweisen.“ Wenn also der Beschluss vom 13. März eingehalten worden wäre, dann durfte der Generalstreik am 20. März schon aus dem einfachen Grunde nicht als abgebrochen erklärt werden, da die Baltikumhorden noch Mitte April in der nächsten Umgebung Berlins ihr Unwesen treiben. Und in Süddeutschland wurden die Arbeiter, die der Generalstreikparole folgten, vor allem die Syndikalisten, damit gelohnt, dass sie arbeitslos auf dem Straßenpflaster blieben. Legien erzählt dann von den gepflogenen Verhandlungen zum Abbruch des Streiks: „In deren Verlauf wurde von der USP verlangt, dass nicht die bisherige Regierung wieder in ihr Amt eintreten solle, sondern dass eine reine Arbeiterregierung einzusetzen sei. Zu einer solchen würden eventuell auch die Christlichen Gewerkschaften und die Hirsch-Dunckerschen Gewerkvereine heranzuziehen sein. Beide Organisationsgruppen hatten bereits am 13. März erklärt, sich restlos dem Generalstreik anzuschließen. Die Gewerkschaftszentralen waren bereit, diese Forderung mitzuvertreten, unter der Voraussetzung, dass die Arbeiterregierung im Einverständnis mit den Regierungsparteien zu errichten sei. Nur dann wäre sie existenzfähig und existenzberechtigt. Die über diese Frage geführten Verhandlungen mit den Fraktionen des Reichstages verliefen ergebnislos.“ Die “reine Arbeiterregierung” sollte also mit Zustimmung der USP auch unter Zuziehung der bürgerlichen Gewerkschaftsbeamten gebildet werden, wenn die Parteien ihren Segen dazu erteilen. Die Abgeordneten aber machten den Plan zunichte. Immerhin sehen wir, wie die kommende Regierung aussehen soll. Die Syndikalisten müssen mit einer Regierungszeit des ADGB schon heute rechnen. Und dass unserer Bewegung in dieser Periode so allerhand bevorsteht, kann sich jeder Kenner der dort herrschenden Geister leicht ausmalen. Sei es drum. Wir müssen durch. Die Frage ist nur: Werden Adel und Junker nicht den schönen Plan mit einem neuen Putsch durchkreuzen? Hören wir, was Legien uns über den Abbruch des Streiks zu sagen hat: ... „ Am 20. März, morgens 7 Uhr, wurde von allen Beteiligten der Abbruch des Generalstreiks beschlossen. Nur die USP weigerte sich, den Aufruf zu unterzeichnen. Ihre Zentrale, so erklärten ihre Vertreter, müsse erst in besonderer Sitzung Stellung nehmen. Dieses Verhalten wurde von den der USP angehörenden Gewerkschaftsvertretern äußerst scharf gerügt. Der Generalstreik wäre gemäß diesem Beschluss am Montag, den 22. März, abgebrochen worden, obgleich die Zentralstreikleitung und ein „Komitee revolutionärer Arbeiter“ zu seiner Fortsetzung aufforderten. Da musste wieder einmal die Militärverwaltung hindernd in den Weg treten. Die Straßen Berlins waren am 22. März in ein Heerlager verwandelt. In den Vororten kämpften Regierungstruppen gegen bewaffnete Arbeiter. Diese hatten zu den Waffen gegriffen, um den Kapp-Putsch abzuwehren. Zum Dank dafür stellte man sie nun vor die Standgerichte, die von den Befehlshabern der Regierungstruppen eingesetzt wurden. Dieselben Truppen die bei dem Einmarsch der Baltikumer völlig versagt hatten, waren mit einem Male zur Stelle, um gegen die Arbeiterschaft zu kämpfen. Mit vollem Recht erklärte diese, dass sie nicht die entsetzliche Not eines achttägigen Generalstreiks ertragen hätte, um wieder vom Militär drangsaliert zu werden. Sofort eingeleitete Verhandlungen mit dem Reichskanzler Bauer führten zu einem guten Ergebnis. Die Truppen wurden zurückgezogen, die Standgerichte, respektive der verschärfte Belagerungszustand aufgehoben, Verhandlungen wurden eingeleitet zur Einstellung der organisierten Arbeitnehmerschaft in die Sicherheits- und neu zu schaffende Ortswehr. Nunmehr konnte der Generalstreik endgültig abgebrochen werden. Der Beschluss wurde am 22. März nachts 12 Uhr gefasst. Jetzt unterzeichnete auch die Zentrale der USP den Aufruf, so dass eine weitere Gegenaktion der Zentralstreikleitung bedeutungslos wurde. Mit dem Abschluss des Kampfes war die Aufgabe der Zentrale für die Streikführung nicht erfüllt. Ihr traten nunmehr auch die Christlichen und Hirsch-Dunckerschen Gewerkschaften bei. Sie hat bei der Neubildung der Regierungen im Reich und in Preußen mitgewirkt; sie hat begonnen, die acht Punkte durchzuführen; sie hat wesentlichen Einfluss auf die Beilegung des Konfliktes im Ruhrrevier ausgeübt. Sie bildet heute die Stelle zur Einigung der gesamten Arbeitnehmerschaft.“ Legien gesteht ein, dass das Schlachten der Arbeiter erst begann, als die Regierung Ebert-Bauer durch die gewaltige Aktion der Arbeiterschaft wieder in den Sattel verholfen war, zur selben Zeit, als der Generalstreik durch Beschluss der ADGB usw. als aufgehoben erklärt wurde. Das war der „Dank vom Hause Habsburg“. Und inzwischen rollten Eisenbahnzüge aus allen Gauen Deutschlands ins Rheinland, um denselben „Bolschewismus“ niederzuschlagen, der die Putschisten niedergerungen und den Ebert und Genossen die Regierungssessel zurückerobert hatte. Nach Abbruch des Generalstreiks gehören also der Zentrale für die Streikleitung auch die Vertreter der Christlichen und Hirsch-Dunckerschen Gewerkschaften an. Sie haben die neue Regierung zusammengekoppelt. Sie haben also auch die Verantwortung für das Wüten des weißen Schreckens in Rheinland-Westfalen. Unsere Genossen wissen jetzt, warum die Syndikalisten allerorts abgeschlachtet, geschlagen und in die Gefängnisse geschleppt wurden. So sieht die „Durchführung der acht Punkte“ aus. So wird die „Einigung der gesamten Arbeitnehmerschaft“ durch den ADGB, mit Legien an der Spitze betrieben. Und Legien schließt siegessicher wie einst Noske: „Aber wenn auch diese Einigung nicht voll erreicht werden sollte, wissen wir nach den Vorgängen in diesen Märzwochen eines sicher: eine reaktionäre, eine militaristische Regierung kommt in Deutschland nicht wieder. Gegen diese wird die Arbeitnehmerschaft sich immer so zusammenfinden, wie es in diesem Abwehrkampf geschehen ist.“ – – – Indessen liegt die monarchistische Bestie zum neuen Sprung bereit. Wenn wir die Psyche der deutschen Arbeiterschaft richtig einschätzen, so glauben wir nicht daran, dass in absehbarer Zeit ein so geschlossener Generalstreik wieder zustande kommt. Die Schuld liegt bei denen, die diesen Streik geführt und abgebrochen haben, die verantwortlich sind für all die Schrecken, für die Morde an revolutionären Arbeitern. Jeder Mord aber rächt sich an den Verantwortlichen. Aus: „Der Syndikalist“, Nr. 14/1920.
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