Das Informationsportal zur Geschichte der syndikalistischen Arbeiterbewegung

 

Institut für Syndikalismusforschung

 

 

Home

 

Suche auf Syfo /Search Syfo Pages

 

Other Languages/

Otras Lenguas

 

Kontakt

 

Impressum

 

Ansgar Lorenz: Kleine Geschichte der Arbeiterbewegung in Deutschland – Von 1848 bis heute

Ansgar Lorenz geht in diesem Comic mit einer Zeitspanne von 1848 bis 2009 in ausgewogen Darstellungsweise auf viele Arbeitervereinigungen ein und erklärt ihre Vorstellungen und Verfasstheit. Viele einschlägige Themen und Weichenstellungen in der Geschichte der Arbeiterbewegung greift er auf: 1. Mai, Streiks, Sozialpartnerschaft, Haymarket, Frauenorganisation, Genossenschaften, Sozialgesetzgebung, Industrialisierung, Novemberrevolution, 8-Stunden-Tag, Stinnes-Legien-Abkommen, uam. und bringt darin viele syndikalistisch-anarchistische Vertreter unter, wie Luise Michel, Pierre Joseph Proudhon, Gustav Landauer, Peter Kropotkin, Rudolf Rocker, Erich Mühsam und sogar Augustin Souchy. Es sind sehr übersichtliche Kurzkapitel, auf Blickfang ausgerichtet, nie ermüdend und eben mit ansprechenden Zeichnungen versehen. Aufmerksam geht Lorenz für die Zeit vor 1914 nicht nur auf die linke Opposition innerhalb der SPD ein, sondern auch auf die lokalistische Gewerkschaftsorganisation, welche eigenständig neben den Zentralverbänden existierte. An syndikalistischen Organisationen tauchen auf: Freie Vereinigung deutscher Gewerkschaften (FVDG), die Freie Arbeiter-Union Deutschlands (FAUD), Föderation Freiheitlicher Sozialisten (FFS), die Freie Arbeiterinnen- und Arbeiter Union (FAU) und die Schwarzen Scharen. Damit weist Lorenz weit über den üblichen Tellerrand der Geschichtsschreibung hinaus und stellt Alternativen dar, ohne sie jedoch überhöhend in den Vordergrund zu stellen. Die Sozialdemokratie und die Generalkommission der Gewerkschaften Deutschlands, später ADGB, stehen hier in der Kritik wegen ihrer sehr weitgehenden Sozialpartnerschaft nicht nur mit dem Kapital ansich, sondern auch noch mit diktatorischen Regimen, sei es dem Kaiserreich oder die Hitlerdiktatur. Nochmal erweist es sich als sehr anschaulich, dass der Autor die Alternativen hierzu deutlich gemacht hat, u.a. mit dem Kapitel zum Generalstreik von 1920.

Für die Zeit nach 1945 geht Lorenz auf die Gewerkschaftsbewegung in den beiden deutschen Staaten ein und bezieht auch entstehende „Soziale Bewegungen“ mit ein: Anti-AKW, Antifaschismus, Bewegung gegen die Notstandsgesetze, bewaffnete Kämpfe der Stadtguerilla. Diese verdrängen die Betriebsangelegenheiten jedoch keinesfalls in der Darstellung. Das Auge erfreuen beispielsweise die Kapitel über den Arbeiteraufstand des 17. Juni 1953, weitere (selbstorganisierte) Streiks, die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, das „Montan-Mitbestimmungsgesetz“, das Betriebsverfassungsgesetz und der Kampf um die „35-Stunden-Woche“. Insgesamt wird die Tradition der Zentralisten wie auch der Föderalisten von den Anfängen der Arbeiterbewegung bis heute nachgezeichnet: Kriegsführung durch SPD und Grüne nebst Hartz IV – Kaisersozialisten, Kriegstreiber und Armutsverwalter. Die heutige gewerkschaftlich Widerstandsbewegung wird ebenso aufgezeigt und damit, dass diesen Entwicklungen in der Geschichte keine „Zwangsläufigkeiten“ im Sinne des Kapitals folgen müssen: Der „Opel-Streik“, „Gate Gourmet“ und „Nordhausen – Strike-Bike“ stehen mit der heutigen FAU beispielhaft dafür, neue Entwicklungen einleiten zu können entgegen der zentralistischen Tradition des Kapitalismus, des Elends und des Krieges.

Die Geschichte der Arbeiterbewegung wird von Lorenz in sehr lebendiger Weise erzählt und gezeichnet, eingebettet in eine witzig einführende und abschließende Rahmenhandlung.

Es sind ein paar kleinere Fehler drin und Lorenz schreibt mehrmals Karl Liebknecht, wo Wilhelm Liebknecht richtig wäre. Leider übernimmt er auch die irreführenden Begriffe „Freie Gewerkschaften“ (zentralistisch wäre richtig) und „Wilde Streiks“ (selbstorganisierte Streiks wäre richtig). Es lohnt sich, einmal über diese Begriffe nachzudenken. Darüber, was sie suggerieren, was sie verschweigen, und wer sie einsetzt zu welchem Zweck. Der Comic gibt, rezeptionsgeschichtlich betrachtet, einigen Aufschluß darüber, wie Begriffe weitgehend unhinterfragt übernommen werden, auch bei entgegengesetzter Intention des Autoren. Bei der Ersten Internationale müsste treffender auf den Hauptaspekt des Unterschiedes zwischen zentralistischem und föderalistischen Prinzip hingewiesen werden, stattdessen ist ebenso unhinterfragt von „Grabenkämpfen“ zwischen den Vertretern der dortigen Strömungen, Marx und Bakunin, die Rede.

Das Comic ist für Einsteiger wie auch für Fortgeschrittene geeignet. Neben bekannter Geschichte setzt Lorenz das eine oder andere wichtige, aber weniger beachtete Kapitel. Er bereichert die Geschichte der Arbeiterbewegung um die Darstellung des Möglichen, um einen Ausblick mit Alternative zur scheinbar starren Geschichtsschreibung. Das macht sie so interessant auch für Kenner. Sein Hauptverdienst besteht somit darin, neben dem insgesamt fundierten Grundwissen um die Geschichte auch die Ideen eines freiheitlichen Sozialismus auf sehr ansprechende und illustrierte Weise in breite Leserschichten zu tragen.

H.D. Für www.syndikalismusforschung.info im Februar 2010

Klappentext

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde eine Arbeiterbewegung kaum noch wahrgenommen. Das macht sich insbesondere an den Gewerkschaften bemerkbar. In der schwersten Krise des liberalisierten und globalisierten Wirtschaftssystems stellt sich aber zunehmend wieder die Frage: Wer schafft überhaupt Werte, wer zahlt die Zeche der Bankrotteure und wer verteidigt die Rechte der wirklichen Produzenten? Ansgar Lorenz’ Comic macht junge Leser (und nicht nur sie) endlich wieder mit der Geschichte der Arbeiterbewegung, ihren Protagonisten und Institutionen bekannt.

Ansgar Lorenz: Kleine Geschichte der Arbeiterbewegung in Deutschland – Von 1848 bis heute, Wilhelm Fink-Verlag, München 2009, 89 Seiten, 12.90 Euro, ISBN 978-3-7705-4869-9


 

Seit_2007

 

Since 2007