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Rudolf Mühland, FAU-Düsseldorf:
Umsonst is dat nie - Gelebtes Leben oder Sehnsucht
nach … - Hans Schmitz zum 90. Geburtstag
Vor einigen Jahren lernte ich Hans Schmitz im Buchladen BiBaBuZe in
Düsseldorforf kennen. Wir (FAU-Düsseldorf) hatten Dieter Nelles eingeladen um
über die historische FAUD und ihren Kampf gegen den Nationalsozialismus zu
berichten. In der ersten Reihe saß ein alter Mann, der Dieter immer wieder
unterbrach. Mal fragte er etwas, mal ergänzte er und zur Überraschung von Dieter
erzählte er auch einiges das vorher noch "unbekannt" war. Seit diesem Tag nimmt
Hans Schmitz nicht nur an den Treffen der FAU-Düsseldorf teil (je nach dem wie
es seine Gesundheit zulässt), sondern auch an Veranstaltungen und Aktionen.
Aber wer ist eigentlich Hans Schmitz? Schon früh war er in der anarchistischen
und syndikalistischen Bewegung aktiv. Zuerst in der anarchistischen
Kinder-/Jugendgruppe "Freie Jugend Morgenröte", der SAJD
(Syndikalistisch-Anarchistische Jugend Deutschlands, Jugendorganisation der FAUD),
später in der Freien Arbeiter Union Deutschland (FAUD) und in den „Schwarzen
Scharen“, einer militanten anarchistischen Anti-Nazi Organisation Die Grünung
einer solchen Gruppe schien den jugendlichen AnarchosyndikalistInnen, die ja
eigentlich pazifistisch aber zu mindest antimilitaristisch orientiert waren,
aufgrund des zunehmenden Nazi-Terrors notwendig. Man wollte sich einfach den
Schlägertrupps der Nazis entgegenstellen. Einige Mitglieder der „Schwarzen
Schar“ gingen später nach Spanien um dort erneut und diesmal mit der Waffe in
der Hand gegen den Faschismus zu kämpfen. Hans blieb jedoch in Deutschland und
wurde am Tag seiner Heirat zum Militärdienst eingezogen. Aufgrund der
Uniformierung gab es jedoch Protest aus den Reihen der FAUD, dennoch wurde die
Wuppertaler Schwarze Schar bei Kundgebungen und Veranstaltungen der FAUD in der
Region oft als Saalschutz eingesetzt.
Das Tragen eines schwarzen Hemdes konnte schon in dieser Zeit zum Verhängnis
werden (Stichwort: „black block“). Hans berichtete, wie er 1931 so bekleidet
wegen gefährlichem Waffenbesitz verhaftet wurde, weil er ein Taschenmesser bei
sich trug. Wenige Meter weiter marschierten Hitler-Jugendliche mit dolchartigen
Messern, die der Polizei jedoch kein Dorn im Auge waren, da es "Fahrtenmesser"
seien, die zudem in einer Lederscheide steckten.
Als es 1933 zur Machtübergabe durch die NSDAP kam, lösten sich die
anarchosyndikalistischen Gruppen auf, so auch die SAJD
(Syndikalistisch-Anarchistische Jugend Deutschlands, Jugendorganisation der FAUD)
Wuppertal, der Hans als Kassierer angehörte. Damit hörte der Widerstand jedoch
nicht auf. Mit einem Schmunzeln im Gesicht erzählte er, wie der Fackelmarsch der
NSDAP am Tag der Machtübernahme wörtlich ins Wasser fiel - von KommunistInnen,
AnarchistInnen und GewerkschafterInnen in die Wupper gejagt. Der Fackelmarsch
wurde tags darauf nachgeholt. Hans Schmitz und ein Dutzend weiterer
anarchistischer und kommunistischer Jugendlicher trieben die den Hitlergruß
übenden jubelnden Massen mehrmals in den Fackelmarsch, und die fackeltragenden
SS-Schergen schlugen so provoziert mit ihren Fackeln in die Jubelnden. Das
Spielchen wiederholte sich einige Male, bis die SS den wahren Grund für die
Tumulte herausfand und es den Jugendlichen besser erschien, zu verschwinden.
In den folgenden Monaten und Jahren gab es vielfältige Beispiele
antifaschistischer Öffentlichkeitsarbeit: Plakate wurden geklebt – eine Aktion,
die die antifaschistischen Jugendlichen schnell wieder unterließen, als sie mit
ansehen mussten, wie ihre gefangenen GenossInnen diese mit blutverkrusteten
Händen unter Aufsicht der SS mühsam wieder abkratzen mußten, Koffer wurden
benutzt, um antifaschistische Parolen auf die Straßen zu stempeln usw.
Die wichtigste Funktion, die die Untergrundorganisationen der anarchistischen
Gruppen jedoch hatten, war der Transport von gesuchten politischen Flüchtlingen
über die Grenze. Hans Schmitz fungierte hier als Fahrradkurier, getarnt als
Radsportler.
1. lernte Hans Schmitz bei einer Schlägerei mit der HJ seine spätere Ehefrau
kennen, die zu den "Düssel-Piraten" gehörte, die Hans und seinen FreundInnen zur
Hilfe eilten. Jugendliche, die sich der HJ verweigerten, organisierten sich oft
als EdelweißpiratInnen, trugen karierte Hemden und rote Halstücher. Oft
benannten sich die lokalen Gruppen nach den regionalen Flüssen. Alsbald gab es
auch die Wupper-Piraten.
Am 1. April 1937 wurde auch Hans Schmitz im Zuge einer Verhaftungswelle am
Arbeitsplatz von der Gestapo besucht. Er war vorgewarnt, daher konnte die
Gestapo keinerlei Indizien für antifaschistische Betätigungen finden. So wurde
er zu „nur“ zwei Jahren Gefängnis verurteilt und hatte mehr Glück als viele
seiner anarchosyndikalistischen GenossInnen, die in den folgenden
Massenprozessen verurteilt wurden. Nach seiner Entlassung galt er als
wehrunwürdig, was ihm gerade recht kam. Auch im Widerstand wurde er wieder
aktiv.
Die Wehrunwürdigkeit hielt zu seinem Leidwesen nicht ewig vor. Als er 1942
heiratete, sorgte der Arbeitgeber seiner Ehefrau dafür, daß er seine
Wehrwürdigkeit wiedererhielt, damit die Ehefrau weiter in seinem
kriegsrelevanten Betrieb in Düsseldorf arbeiten konnte, anstatt zu ihrem Ehemann
nach Wuppertal zu ziehen.
Hans Schmitz gehörte nun also zur Wehrmacht. Widerstand in der Wehrmacht war
sicherlich ein schwieriges Unterfangen, jedoch im bescheidenen Maße möglich:
Neben „Feindsender“ hören und „möglichst weit von der Front bleiben“ gehörten
Selbstzerstümmelung für Hans ebenso zum Widerstand und Überleben wie Sabotage am
Kriegsgerät. Als Helfer des Waffenmeisters hatte er gegen Ende des Krieges
Dienst an einer Flag-Batterie (vier Flag-Geschütze). Für jedes abgeschossene
Flugzeuge bekamen die Mannschaften je einen Ring an ihre Flag. Hans sabotierte
geschickt die Flag, so das es zu seiner Zeit an „seiner Batterie“ nicht einen
einzigen Abschuss gab.
Beim Kriegsende befand Hans Schmitz sich in Holland. Er berichtet, daß das
Verhältnis zwischen der holländischen Bevölkerung und den einfachen Soldaten ein
durchaus gutes war. Während die HolländerInnen den Soldaten verrieten, welche
ehemaligen Kollaborateure Essen horteten, beschlagnahmten die ehemaligen
Wehrmachtssoldaten dieses und teilten es mit ihren InformantInnen.
Kaum zurückgekehrt wurde Hans Mitglied der "Föderation Freiheitlicher
Sozialisten", der Nachfolgeorganisation der FAUD. Dort machte er die
frustrierende Erfahrung, dass die wenigen Überlebenden GenossInnen oft nichts
mehr mit der Bewegung zu tun haben wollten. Viele waren körperlich und emotional
gebrochen worden und starben in den ersten Jahren nach dem Krieg. Trotzdem
machte er weiter und seit den 90'er ist er quasi Mitglied der Düsseldorfer
Ortsgruppe der FAU. Direkt nach dem Krieg organisierte er in den "Hungerwintern"
einen wilden Streik, der prompt Wirkung zeigte. Es gab nun auf Firmenkosten für
jeden Arbeiter ne Stulle in der Pause und das "Recht" sich ne Heizung (in der
Werkshalle) bauen zu dürfen. Natürlich gab’s auch direkt ein "Gespräch" beim
Boss, der nur eine kurze Zukunft in dem Betrieb vorher sagte. Hans blieb bis zur
Rente.
Und für mich? Für mich ist Hans mehr als nur ein alter Genosse. Sein
freundliches und offenes Wesen, seine Art Fragen zu stellen und sein
verschmitztes Lächeln haben mich von Anfang an in Bann geschlagen. In den
letzten Jahren waren wir gemeinsam in verschiedenen Städten unterwegs um den
Film "Umsonst is dat nie" zu zeigen und hinter her mit den meist jungen
AnarchsitInnen, SyndikalsitInnen und AntifaschistInnen zu diskutieren. Das
brachte mich, besonders am Anfang, oft in Situationen in denen ich mich sehr
Hilflos gefühlt habe. Hans scheut sich nicht auch über die unangenehmen Dinge
seines Lebens zu sprechen. Knast, Folter und Krieg waren kein Zuckerschlecken.
Wenn er darüber berichtet zieht sich ihm noch immer der Hals zu und Tränen
steigen in seine Augen. In diesen Momenten hatte ich immer das Bedürfnis ihn zu
Umarmen, alleine meine Scheu hielt mich ab. Aber: von mal zu mal ist es ihm
leichter gefallen. besonders dann wenn er das Gefühl hatte die Menschen sind
interessiert und wollen wirklich von ihm hören "wie das damals" war. Und ihm
zuzuhören macht trotz allem Freude, denn: Wenn er aus seiner Jugend berichtet,
reihen sich Anekdoten aneinander, im Gegensatz zu so manchem Zeitzeugen betont
Hans das Private, das alltägliche, spart auch nicht die Kapitel aus seiner
Geschichte aus, die heutige linke ZuhörerInnen vielleicht als Fehler
interpretieren würden. Er gibt eben keine Geschichtsstunde, nach der ein für
allemal alles klar ist, sondern er berichtet aus einem gelebten Leben, das aus
politischem Engagement, Liebe und dem Versteckspiel vor dem
nationalsozialistischen Regime als der großen Wunde bestand, die es zu heilen
galt. Daher ist ein solches Zeitzeugengespräch immer schmerzhaft für den
Erzählenden, aber immer auch ein Akt des Optimismus, wenn wieder und wieder von
schelmischen Streichen erzählt wird, mit denen die Schergen der SA und SS
verärgert wurden.
Aber Hans wäre nicht er selbst wenn er nur über die alten Zeiten Berichten
würde. Schon oft hat er von seiner schmalen Rente für Gefangene GenossInnen
gespendet, oder Plakate und Veranstaltungen mit finanziert. Bei so mancher
Diskussion in der Ortsgruppe half uns seine Erfahrung weiter. Am
beeindruckensten in dieser Hinsicht war jedoch seine Beteiligung an einem
Treffen der FAU mit Garcia Rua (damals Internationaler Sekretär der
Internationalen ArbeiterInnen Assoziation). Mit nur einer kleinen
Zwischenbemerkung, einer Bonner Genossin so laut ins Ohr geflüstert das alle
anwesenden es gut hören konnten, brachte er damals das ganze argumentative
Gebäude des IAA-Sekretärs zum einstürzen. Das gab wohl nicht nur mir, sondern
auch anderen Klarheit und Kraft. Besonders berührt bin ich von der Mitwirkung
von Hans' an dem Theaterprojekt "Sehnsucht nach..." der Theatergruppe
M.A.S.S.A.K.A. Nicht nur das er sehr offen über sich und seine Sehnsüchte
spricht, nein, auch das er noch immer Sehnsucht nach "der" Anarchie hat rührt
mich.
Auch in seinem hohen Alter geht er noch zu Anti-Nazi Demonstrationen. Nicht weil
es ihm Spaß macht, da kann er sich sicher besseres vorstellen, sondern weil er
das Gefühl hat das es noch immer oder schon wieder notwendig ist. So begleiteten
GenossInnen der FAU-D und ein paar anarchistische FreundInnen Hans vor einiger
Zeit zu einer Demonstration gegen Nazis in Wuppertal. Diese wollten dort seit
1945 zum ersten mal einen Marsch durch die Innenstadt machen. Hans wollte dies
verhindern, und scheiterte mit uns und vielen anderen AntifaschistInnen am
Polizeiaufgebot.
Erwähnenswert (neben so vielem anderen das aus Platzgründen jetzt leider nicht
erzählt werden kann) ist auch noch das Zeitzeugengespräch im Buchladen BiBaBuZe
anlässlich der Buchvorstellung seines alten, mittlerweile leider verstorbenen,
Freundes Helmut Kirschey (A las barricadas - Erinnerungen eines Antifaschisten)
der, einige Jahre älter, in vielerlei Hinsicht die gleichen Erfahrungen gemacht
hatte. Hans Schmitz floh zwar nach 1933 nicht aus dem nationalsozialistischen
Deutschland und war nicht aktiv am spanischen Bürgerkrieg beteiligt, aber beide
einte ein gemeinsames anarchosyndikalistisches Engagement in Wuppertal bis zum
Naziregime. Danach trennten sich ihre Wege just eben bis zu diesem tage.
Entsprechend fühlten sich die geneigten BesucherInnen des Zeitzeugengesprächs
vielleicht ein wenig, als würden sie als Gäste in einer anarchistischen
Muppets-Show sitzen und permanent Statler und Waldorf zuhören: Eine Anekdote
jagte die nächste, danach gemeinsames Gelächter der beiden alten Herren, um
direkt zur nächsten Anekdote zu schreiten. Nach dem Zeitzeugengespräch mit
Helmut Kirschey hatte er es eiliger als wir, zur nächstgelegenen Antifa-Party zu
kommen und dort rief er noch um drei Uhr morgens lautstark nach seinem Bier, als
ich junger Spund mich beeilen musste, um endlich ins Bett zu kommen.
Die gesamte FAU, insbesondere die FAU-Düsseldorf und Münster, wünscht dir, Hans,
alles Gute zu deinem 90ten Geburtstag und wir hoffen, davon noch viele mit dir
feiern zu können und dich immer dann zu sehen, wenn deine Anwesenheit von Nöten
ist - um gegen Neofaschismus zu protestieren, alles notwendiges Korrektiv für
unsere jugendliche Polemik (selbst bei den etwas älteren Damen und Herren) oder
einfach nur auf ein gutes Glas Bier, das ich hiermit vor dem Computerbildschirm
auf dich erhebe.
Wir wünsche dir und deiner Freundin noch ein paar schöne Jahre. Das mit der
Anarchie wirst du wohl leider nicht mehr selbst erleben, aber wer weiß....
Umsonst is dat nie!
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