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Heiko Grau-Maiwald: „Aus dem Takt. Offensive Betriebsarbeit im Gesundheitswesen“

Syndikalismus aktuell! Das Portal www.syndikalismusforschung.info ist nicht zwingend auf historische Texte begrenzt. Deshalb möchte ich hier einen wertvollen Beitrag zur Aktualität des Syndikalismus besprechen. Die Broschüre heißt „Aus dem Takt. Offensive Betriebsarbeit im Gesundheitswesen“, ist im Dezember 2009 im Syndikat-A erschienen und stammt vom Basisgewerkschafter Heiko Grau-Maiwald. Der Text ist kurz und zielgerichtet abgefasst worden. Eine Kernaussage ist die Feststellung, dass das Prinzip der Sozialpartnerschaftlichkeit, welches dem Kapitalismus in revolutionäreren Epochen den Hintern rettete, in heutiger Zeit von den Kapitalisten einseitig aufgekündigt wird, gerade vor dem Hintergrund globaler Finanzkrisen. Daher fordert der Autor: „Wenn Arbeitgeber systematisch auf antigewerkschaftliche Praktiken zurückgreifen, die an die Anfänge der Arbeiterbewegung anknüpfen, müssen wir uns gleichfalls auf Tugenden jener Zeit besinnen.“

Nach einer kurzen Bestandsaufnahme der sich stetig verschlechternden Zustände im Gesundheitsbereich, legt der Autor in diesem Sinne Beispiele für die Verschärfung des Klassenkampfes vor. Schlechter Ausstattung und zu vielen Überstunden sei zwar auch mit Hilfe der Gewerbeaufsicht zu begegnen, dennoch gibt es Beispiele für kollektiven Widerstand, wo sich aktuell auf die eingangs angesprochenen „Tugenden jener Zeit“ berufen wurde. Stichworte lauten hier: „Kollektive Kündigungen“, den Kapitalisten Ultimaten stellen und signalisieren, dass man selber hohe persönliche Risiken inkauf zu nehmen bereit ist. Im Krankenhaus Großburgwedel beispielsweise kündigten 2009 sechs AssistenzärztInnen der chirurgischen Klinik und bekamen endlich ihre Überstunden ausbezahlt. Eine weitere Stelle wurde geschaffen.

Sehr ausführlich werden diese Methode und der Schlagabtausch zwischen Kapitalisten und ArbeiterInnen im Gesundheitsbereich in einem Kampf in Finnland geschildert. Auch dort kam es zu einem Ultimatum, kollektiv zu kündigen, woraufhin die Kapitalisten im Verein mit dem Staat und dem Militär stufenweise allerlei Maßnahmen ergriffen, um die ArbeiterInnen klein zu kriegen. Das erinnert tatsächlich etwas an die Zustände in der hiesigen Kaiserzeit. Die Maßnahmen des Gegners: 1. Öffentliche Meinung kippen, Akzeptanz des Arbeitskampfes in der Bevölkerung brechen, 2. Private Pflegedienste rufen, 3. juristisch-psychologisch auf die ArbeiterInnen einwirken, 4. Drohungen auf Nichtwiedereinstellung u.a. verkünden, 5. innerbetriebliches Vorbeugen auf Arbeitsausfälle durch Umplanungen, Kürzungen etc., 6. Verlagerungen der Behandlungen ins Ausland (auch in Deutschland wurde nachgefragt), 7. Durchpeitschen von Notstandsbeschlüssen durch das Parlament (wie schnell so etwas gehen kann!) und 8. Einsatz von Militär und schließlich die Verordnung von Zwangsarbeit trotz Kündigungen.

Die Vorteile der Kämpfenden hingegen lagen in ihrer Qualifikation begründet, sowie darin, dass der Gesundheitsbereich gegenüber Ausständen sehr empfindlich ist. Sie blieben hart. Die Gewerkschaft, eine zentralistische, jedoch zunächst sehr kämpferische, rief dazu auf, bis zum Ablauf des Ultimatums keine Überstunden mehr abzuleisten und sich nicht wieder neu zu bewerben. Auf die Androhung von Zwangsarbeit und Notstandsmaßnahmen reagierten weitere mehrere Tausend Krankenschwestern und Pfleger ebenfalls ihre Kündigungen. Außerdem ergriffen sie rechtliche wie praktische Maßnahmen, nicht zur Zwangsarbeit gezwungen werden zu können. Der Staat gab zunächst nach und schien auf die Forderungen der ArbeiterInnen einzugehen. Dennoch erwies sich der in letzter Stunde vor Ablauf des Ultimatums abgeschossene Tarifvertrag als Mogelpackung und die Zentralgewerkschaft als Kuhhändlerin. Die Kapitalisten beugten künftigen Arbeitskämpfen mit der Aushöhlung der Stammbelegschaften durch private Dienste vor.

Dem Autor kam es vor allem darauf an, die Methoden in den Kämpfen aufzuzeigen, und gibt in einem zweiten Teil der Broschüre „Anstöße zur Betriebsarbeit“. Was kann ich im Betrieb konkret tun? Wie kann ich mich organisieren, worauf sollte ich achten? Was sind die einzelnen Schritte? Was sollte ich beobachten? Dabei spart er nicht am Aufzeigen gruppendynamischer und psychologischer Aspekte, die sehr wertvoll sind! Kenne deine Rechte und denke strategisch, etwa wie beim Schachspiel, stets mehrere Schritte voraus, gehe aber zunächst individuell, dann kollektiv einen nach dem anderen. Er empfiehlt über den betrieblichen Tellerrand hinausblickend die Etablierung von Basisgewerkschaften und veranschaulicht deren Vorteile gegenüber den sozialpartnerschaftlichen und trägen DGB-Gewerkschaften. Auch anderweitig Beschäftigte können hieraus viel lernen.

Diese Broschüre ist eine der Anfänge branchenspezifischer theoretischer-strategischer Aufarbeitung syndikalistischer Kämpfe, ganz aktuell auf unsere Bedürfnisse als Lohnabhängige zugeschnitten, verfasst von einem exzellenten Kenner syndikalistischer Praxis, Theorie und Geschichte!

H.D. für www.syndikalismusforschung.info im Februar 2010


Klappentext:

Organisations- und Arbeitskampfformen traditioneller Gewerkschaften haben sich längst überlebt. Deshalb ist es Zeit, andere Wege zu gehen. Für das Gesundheitssystem gilt dies in besonderem Maße. Das Tätigkeitsfeld, die Verantwortung für Menschen, hindert Beschäftigte oft genug an der Entfaltung vorhandener Möglichkeiten. Das Unvermögen zentralistischer Gewerkschaften tritt nur hinzu. Selbst bei gutem Willen.
Anhand von Beispielen lenkt der Autor deshalb den Fokus auf unkonventionelle Herangehensweisen an Konflikte. Die Vorzüge basisgewerkschaftlicher Ansätze werden offenbar. Unter Umgehung traditionell-gewerkschaftlicher Vermittlung konnten in der Vergangenheit kleine Gruppen von Beschäftigten direkte Erfolge erzielen. Aufgezeigt wird, wie die Anwendung alternativer Kampfformen auch großen Organisationen zu ungeahntem Druckpotential verhilft. Am Ende geht es um die alles entscheidende Frage, wie sich selbst unter ungünstigsten Ausgangsbedingungen heute verbindliche Betriebsarbeit entfalten lässt.

Inhalt:

Neubestimmung. Den Wandel beantworten

Anstoß. Anonyme ÄrztInnen kippen Überstunden

Rolle Rückwärts. Kollektivkündigung führt zum Erfolg

Volle Fahrt. KrankenpflegeschülerInnen erstreiten Fahrtkosten

Wir waren lange genug die lieben Mädchen! Massenkündigung von finnischen Krankenschwestern erzwingt Einigung

In die Gänge kommen. Anstöße zur Betriebsarbeit

Literaturempfehlungen und Kontakte

Heiko Grau-Maiwald: „Aus dem Takt. Offensive Betriebsarbeit im Gesundheitswesen“, Syndikat A, Moers Dezember 2009, 31 Seiten, 2.00 Euro

http://zuchthaus.free.de/syndikat-a

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