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7.2.2000 Prozeßerklärung von Christian H., anlässlich des
Totalverweigerungsprozeßes vor dem Amtsgericht Bremen:
Wir sind hier heute zusammengekommen, weil der Staat vertreten durch die Person
des Herrn Staatsanwaltes Gottschalk, mich beschuldigt und anklagt dadurch eine
Straftat begangen zu haben, dass ich etwas nicht getan habe. Diese, im
wörtlichsten Sinne, Untat soll darin bestehen, daß ich mich weigere meine
Wehrpflicht zu erfüllen. Sei es den Kriegsdienst in Uniform, oder jenen in
Zivil. Mein Gewissen verbietet mir dem Staat zu dienen und das Kriegshandwerk zu
erlernen, auf Befehl zu töten, oder als Zivildienstleistender meinen
Kriegsdienst an der Heimatfront zu versehen. Kriegsdienst ist nichts anderes als
Zwangsarbeit, die in Deutschland unrühmliche Tradition hat. Von den
„Vaterländischen Hilfsdiensten“ während des 1. Weltkrieges, über den „ReichsArbeitsDienst“
im nationalsozialistischen Deutschland hin zu der heutigen „Wehrpflicht“, die
ich verweigere. Deswegen klagt mich Herr Staatsanwalt Gottschalk im Namen des
Staates an.
Ich klage aber vielmehr den Staat, vertreten durch Herrn Staatsanwalt Gottschalk
und Herrn Richter Wacker an. Ich klage an, daß der Staat die Menschen nur nach
ihrer Verwert- und Ausbeutbarkeit einteilt, verwaltet, gängelt und bevormundet.
Die, die nicht wie gewünscht funktionieren, werden aussortiert und an den Rand
der Gesellschaft gedrängt. Wer aus der Reihe tanzt wird psychatrisiert und/oder
ins Gefängnis gesperrt. Dies alles um die hier real existierende kapitalistische
Klassengesellschaft aufrechtzuerhalten. Die Herrschaft der mehrheitlich weißen,
männlichen Besitzenden.
Die Bundeswehr hat, außer den jungen Männern das Töten beizubringen, auch zur
Aufgabe sie zu richtigen Männern zu machen und so die Benachteiligung,
Diskriminierung und Unterdrückung sowohl von Frauen und Lesben, als auch von
Schwulen, von transgeschlechtlichen Leuten und denen, die keine der beiden
Geschlechterrollen erfüllen können, in der Gesellschaft zu verfestigen. Darüber
kann auch die Aufnahme von Frauen in die patriachalen Strukturen der Bundeswehr
nicht hinwegtäuschen.
Ich klage an, daß der Staat dem Rassismus Vorschub leistet, worunter die hier
lebenden Nicht-Deutschen mehr und mehr zu leiden haben. Der nationale Konsens
wird verbreitert. Etablierte Parteien, zwei von ihnen nennen sich hin und wieder
Volksparteien, übernehmen immer mehr Inhalte der Rechtsradikalen und biedern
sich ihnen auf geschmacklose Art und Weise an. Genau dies schafft den Nährboden
für das Erstarken von rassistischen und nationalsozialistischen Gruppierungen
und Gedankenguts, wie wir es derzeit erleben. Aber der Staat stellt sich hin und
leiert gebetsmühlenhaft: “Der Feind steht links“. Widerstand gegen den Staat
gerät zunehmend ins Visier des inneren Sicherheitswahns, der im übrigen nicht
mit Rinderwahn zu verwechseln ist. Die staatliche Repression holt zu immer neuen
Schlägen aus und demonstriert ihren Vernichtungswillen gegenüber revolutionären,
antistaatlichen Strukturen. Dem inneren Sicherheitswahn fallen nach und nach
demokratische Grundrechte zum Opfer, die einst das Bürgertum blutig erkämpfte.
Mir sind die Rechte und die Moral des Bürgertums egal. Auch ob diese abgeschafft
werden oder nicht. Mich erstaunt vorallem das Schweigen des Bürgertums
angesichts der Beschneidung ihrer Rechte und Freiheiten. Wohlgemerkt ihrer,
nicht meiner.
Ich klage den Staat desweiteren an, das Asylrecht faktisch abgeschafft zu haben.
Die EU-Außengrenzen werden mit immer größerem personellem und technischem
Aufwand abgeschottet, was schon mal dem einen oder der anderen Flüchtenden das
Leben kosten kann und wie es scheint auch darf. Die Flüchtlinge, die die Hatz
durch den Bundesgrenzschutz an der Grenze überlebt haben, werden unmenschlich
behandelt und sind schutz- und rechtlos der weiteren Hatz von Seiten der
staatlichen Behörden, als auch von rassistischen Deutschen, ausgeliefert. Nach
der Ablehnung im Asylverfahren kann es schon mal vorkommen, daß die eine oder
der Andere, nach teilweise vorausgegangener Abschiebehaft, die Abschiebung nicht
überlebt. Es wird auch in Krisengebiete abgeschoben, sogar Deserteure in ihre
kriegführenden Herkunftsländer. All dies geschieht um die Festung Europa zu
zementieren und zur Aufrechterhaltung der ungerechten Besitzverhältnisse
zwischen armen und reichen Ländern. Die „VerteidigungsPolitischenRichtlinien“
aus dem Jahre 1992 sehen darüber hinaus den Einsatz der Bundeswehr in aller Welt
vor, um eben diese neoliberale Neue Weltordnung mit Waffengewalt gegen etwaige
Widerstände durchzusetzen. Das Führen von Kriegen ist wieder Bestandteil
deutscher Außenpolitik. Der Staat tut was er kann um den Militarismus wieder in
der Gesellschaft zu verankern. Dazu sollen die wieder in Mode gekommenen
öffentlichen Rekrutengelöbnisse, Militäraufmärsche und die Präsenz von Uniformen
jeglicher Art betragen. Der einstmalige Grundsatz, daß die Bundeswehr eine reine
Verteidigungsarmee sei und nicht außerhalb des NATO-Gebietes eingesetzt wird,
ist einfach über Bord geworfen worden. Die Bundeswehr hilft wieder an Orten der
Welt beim Genesen, an denen einst andere deutsche Wesen, nämlich die Wehrmacht,
Waffen-SS und SicherheitsDienst, ihr blutiges Handwerk betrieben. Die Medizin,
die die Bundeswehr jüngst im Kosovo-Krieg verabreichte, war natürlich,
verharmlosend ausgedrückt, recht unbekömmlich, da die Wirkung von Bomben,
Raketen und anderem todbringendem Material, eher an Sterbehilfe denken läßt.
Dies alles geschieht auf Veranlassung und im Namen des deutschen Staates, von
dem ich laut Paß auch ein Teil sein soll. Da ich hier lebe finanziere ich durch
die von mir gezahlten direkten und indirekten Steuern, neben dem Lebensunterhalt
von Herrn Staatsanwalt Gottschalk und Herrn Richter Wacker, all das von mir eben
vorgetragene. Schon allein dies wiederspricht meinem Gewissen. Jede Handlung,
die darüber hinausgeht und dazu beiträgt die von mir geschilderten Verhältnisse
aufrechtzuerhalten, kann ich nicht erbringen, da sie meiner Identität zuwider
laufen würde. Dafür, daß ich ich bin und nach meinem Gewissen und Grundsatzen
gehandelt habe, soll ich nun hier und heute im Namen des Volkes verurteilt
werden?!
Unversöhnlichst ICH
Aus: Direkte Aktion Nr. 138 März/April 2000
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