Das Informationsportal zur Geschichte der syndikalistischen Arbeiterbewegung

 

Institut für Syndikalismusforschung

 

 

Home

 

Suche auf Syfo /Search Syfo Pages

 

Other Languages/

Otras Lenguas

 

Kontakt

 

Impressum

 

Gerhard Aigte

Die Entwicklung der revolutionären syndikalistischen Arbeiterbewegung Deutschlands in der Kriegs- und Nachkriegszeit

„Ja, diesem Sinne bin ich ganz ergeben, das ist der Weisheit letzter Schluß: Nur der verdient sich Freiheit wie das Leben, der täglich sie erobern muß. Und so verbringt umrungen von Gefahr, hier Kindheit, Mann und Greis sein tüchtig Jahr. Solch ein Gewimmel möchte ich sehn, auf freiem Grund mit freiem Volke stehn.“ (Goethe)

Vorwort

Bei diesem vorliegenden Text handelt es sich in zweifacher Hinsicht um einen exklusiven. Er stellt die letzte umfangreichere und aspekteübergreifende Geschichtsschreibung zur FAUD überhaupt dar, welche von der FAUD noch autorisiert worden ist. Erschienen ist er nämlich in den Ausgaben sieben bis zehn des Theorieorgans der FAUD, in „Die Internationale“ aus dem Jahre 1931. Aigte greift bereits in den vorherigen Ausgaben weit bis in die Entwicklung des französischen Syndikalismus zurück, welcher den Syndikalismus in Deutschland mit prägte. Wir lassen diesen Teil hier raus, da sich die Kapitel auch getrennt gut lesen lassen, und wir als aktive Syndikalisten nicht jede Menge Zeit besitzen. Nachlesen läßt sich das hier weggelassene Kapitel in den Ausgaben „Die Internationale“ (Dezember 1930 – April 1931).

Erst vierzig Jahre später, 1969, erschien eine weitere Studie zur FAUD von Hans Manfred Bock mit dem Titel „Syndikalismus und Linkskommunismus von 1918 – 1923, solide recherchiert und komprimiert aufbereitet. Seither bot uns jedes Jahrzehnt weitere umfangreiche und empfehlenswerte Ausarbeitungen zu diesem Thema: Angela Vogel: Der deutsche Anarcho-Syndikalismus. Genese und Theorie einer vergessenen Bewegung (Berlin 1977), Ulrich Klan/ Dieter Nelles: „Es lebt noch eine Flamme“. Rheinische Anarcho-Syndikalisten in der Weimarer Republik und im Faschismus (Grafenau 1986), Hans Manfred Bock: „Anarchosyndikalismus in Deutschland. Eine Zwischenbilanz“, in IWK, 25. Jg. (1989), Heft 3, Hartmut Rübner: Freiheit und Brot. Die Freie Arbeiter- Union Deutschlands. Eine Studie zur Geschichte des Anarcho-Syndikalismus. Daneben erschienen eine ganze Reihe von Regionalstudien (z.B. Klaus Weberskirch: Aachen; Hartmut Rübner: Bremen; Frank Havers: Sömmerda; Axel Ulrich: Mannheim/ Ludwigshafen; H. Döhring: Württemberg; Jürgen Mümken: Kassel), sowie solche zur anarcho-syndikalistischen Geschichte während der Nazizeit (Theißen/ Walter/ Wilhelms: Der Anarcho-Syndikalistische Widerstand an Rhein und Ruhr, 1980; Rudolf Berner: Die unsichtbare Front. Bericht über die illegale Arbeit in Deutschland 1937, 1997; Andreas G. Graf- Hrsg.- Anarchisten gegen Hitler. Anarchisten, Anarcho-Syndikalisten, Rätekommunisten in Widerstand und Exil, 2001) und in der BRD (Hans Jürgen Degen: Anarchismus in Deutschland 1945 – 1960. Die Föderation Freiheitlicher Sozialisten, 2002). Abgerundet wird die Lektüre noch von diversen (Auto-) biographien von/über Anarcho-Syndikalisten (Rudolf Rocker: Aus den Memoiren eines deutschen Anarchisten, 1974; Peter Wienand: Der ‚geborene’ Rebell. Rudolf Rocker. Leben und Werk, 1981; Helmut Kirschey: A las Barricadas. Erinnerungen und Einsichten eines Antifaschisten, 2000; Kurt Wafner: Ausgeschert aus Reih’ und Glied. Mein Leben als Bücherfreund und Anarchist, 2001). Beiträge zu einzelnen thematischen Teilbereichen (Syndikalistinnen, Jugend u.a.) finden sich in diversen Ausgaben des „Archiv für die Geschichte des Widerstandes und der Arbeit“ (AGWA) und bei Ulrich Linse: Die anarchistische und anarcho-syndikalistische Jugendbewegung 1918 – 1933. Zur Geschichte und Ideologie der anarchistischen, syndikalistischen und unionistischen Kinder- und Jugendorganisationen (1976).

Sehr gute Textsammlungen zum Thema gibt es auf: www.fau-bremen.tk; www.fau.org; www.anarchismus.at.

In der bisherigen Forschung fand dieser vorliegende Text vergleichsweise wenig Verwendung, obgleich er sowohl ideen-, als auch organisationsgeschichtlich viel zu bieten hat, mitsamt einer sehr gut ausgeleuchteten Entstehungsgeschichte des organisierten Syndikalismus in Deutschland. Abgeschlossen wird hier mit dem Jahr 1929.

Dieser Text eignet sich sowohl zum reinschnuppern in die Thematik für hiermit bislang wenig vertraute Interessierte, als auch für Aktive, die allgemeine Grundlagen für eigene Forschungen, Veröffentlichungen und nicht zuletzt für die eigene Organisation brauchen.

Die Stärken dieses Textes liegen in der minutiösen Beschreibung der Entstehung des Syndikalismus in Deutschland im Verlaufe des 19. Jahrhunderts über die Konstituierung der Freien Vereinigung deutscher Gewerkschaften als lokalistisches Gegenorganisationsmodell zu den Zentralgewerkschaften bis hin zur Gründung der FAUD im Jahre 1919 unter Herausstellung ihrer Prinzipien und Positionen, sowie in der vorbildlichen Einbettung der Geschichte der FAUD in den Kontext der internationalen Arbeiterbewegung.

Auch die Prinzipien werden treffend herausgearbeitet, die Aufgaben der Arbeitsbörsen und Industrieföderationen hervorragend erörtert, sowie ihre konfliktreiche Stellung zueinander thematisiert, was in der neueren Forschung weithin unbelichtet geblieben ist. Gerade diese Frage ist für aktuelle Überlegungen jedoch äußerst brisant.

Exakt wird hier auch die Stellung der FAUD zur Betriebsratsfrage dargestellt. Und es wird die in der neueren Forschungsliteratur (z.B. bei Hans Manfred Bock) aufrechterhaltene Legende von einer generellen „Gewaltlosigkeit“ der FAUD, bzw. FAUD- Geschäftskommission widerlegt.

Die Forschungsergebnisse der Nachkriegszeit leben im Wesentlichen von ihrer zeitlichen Distanz zum historischen Thema. Ihnen ist es erlaubt, bei guter Recherche, Schlüsse zu ziehen, welche den Zeitgenossen noch verwehrt blieben. Zeitgenossen sind andererseits „dichter dran“. Ihre Schilderungen sind damit authentischer. Der vorliegende Text nimmt insofern eine Mittlerposition ein, als dass er noch in den zwanziger Jahren und (es wurde bereits erwähnt) unter fachkundiger Aufsicht verfasst (autorisiert) wurde, jedoch die Entwicklung des (Anarcho-) Syndikalismus zumindest in Deutschland bereits zu diesem Zeitpunkt seit etwa einem halben Jahrzehnt eine gerade Entwicklung hin zur Marginalisierung angenommen hatte, von welcher bis in die heutige Zeit nicht abgewichen werden sollte. Die wesentlichen Entwicklungsprozesse der FAUD als Gewerkschaft wurden damit bereits erfasst. Nicht eingegangen werden konnte dagegen auf Teilaspekte, wie der FAUD als Kulturorganisation, da diese Tendenz sich erst gegen Ende der Zwanziger Jahre auszuprägen begann (z.B. mit der Gründung der „Gilde freiheitlicher Bücherfreunde“ oder der „Schwarzen Scharen“ und der verstärkten Einmischung in den Freidenkerverbänden und in der Sexualaufklärung).

Unbelichtet bleiben auch Teilaspekte wie die spezielle Organisierung von Syndikalistinnen und der Jugend in den der FAUD nahestehenden Organisationen. Auch zur Sozialstruktur der Bewegung sagt der Text wenig aus. Einen ausgewogenen Überblick über alle diese Bereiche bietet ergänzend Hartmut Rübner: Freiheit und Brot mit einem sehr umfangreichen Register.

Damit dieser Text möglichst viele LeserInnen erreicht und auch mal häufiger zitiert wird, ist er hier in einer ersten Extra- Auflage erschienen – über 70 Jahre nach dem Erstdruck in „Die Internationale“.

Für den schnellen Einstieg in die Thematik empfiehlt sich außerdem noch folgende Lektüre:

Martin Veith: Die anarcho-syndikalistische Gewerkschaft (Bremen, 2000),

FAU-IAA Bremen: Kurze Einführung in die Geschichte des Anarcho-Syndikalismus und der FAU-IAA (Bremen, 1998) und

Mona Grosche: Anarchismus und Syndikalismus in Deutschland (Bonn, 2000).

Editorisches:

Umlaute wurden als solche ausgeschrieben, die Punkte zwischen und hinter den Organisationskürzeln (z.B. F.A.U.D.) wurden weggelassen. Die Fußnoten wurden auch noch mal richtig gesetzt.

H. Döhring im Mai 2004

Erstes Kapitel

Überblick über die Entwicklung in der Vorkriegszeit

a) die Entwicklung der lokalistischen Opposition innerhalb des zentralistischen Gewerkschaftsverbandes.

Obgleich die syndikalistischen Tendenzen in der deutschen Arbeiterbewegung erst nach dem Weltkriege größere Bedeutung erlangt haben und erst nach der Revolution der Ausdruck „Syndikalisten“ zur offiziellen Bezeichnung der Anhänger einer solchen Bewegung erhoben wurde, bestand doch schon vor und während des Krieges eine Richtung, die dem französischen revolutionären Syndikalismus ungefähr entsprach. Diese bildete in ihrer ersten Entwicklungsstufe eine Oppositionsgruppe innerhalb der zentralistischen Gewerkschaftsverbände. Deshalb erweist es sich als zweckmäßig, zunächst die Geschichte der deutschen Gewerkschaftsbewegung insbesondere die der sozialdemokratischen Gewerkschaften zu verfolgen.

Die Anfänge der deutschen Gewerkschaftsbewegung fallen in die sechziger Jahre des vorigen Jahrhunderts. Mit der Aufhebung des Koalitionsverbotes für Preußen im Jahre 1867 und für ganz Deutschland im Jahre 1869 herrschte die lang ersehnte, wenn auch beschränkte Vereinigungsfreiheit, die der Entwicklung der deutschen Arbeiterbewegung den Weg frei machte. Im Jahre 1868 gründete Schweitzer als erster einen Gewerkschaftsverband, der in engen Zusammenhang mit dem Lassalleanischen Allgemeinen Arbeiter- Verein trat. Auch Hirsch- Duncker errichteten in diesem Jahre die nach ihnen benannten wirtschaftsfriedlichen Gewerkschaften. Etwas später entstanden noch besondere gewerkschaftliche Gruppen, wie die christlich- nationalen und andere konfessionelle Arbeitervereine. In diese Zeit fallen auch die Gründungen von Gewerkschaften durch die Eisenacher Sozialdemokratie, deren Aufbau zentralistisch gestaltet wurde. – Schon bei der Errichtung dieser Verbände bestanden einzelne Gruppen, die das zentralistische Organisationsprinzip ablehnten und einen föderativen, auf sozialistischer Grundlage aufgebauten Organismus befürworteten: Die Lokalisten, die jedoch zu jener Zeit noch von geringer Bedeutung waren (1).

Die Entwicklung dieser freien Gewerkschaften und ihr weiterer Ausbau im Sinne des Zentralismus wurde durch das Sozialistengesetz von 1878 gehemmt, das fast alle Gewerkschaften auflöste, jedoch die örtliche Vereinsbildung nicht verbot. In dieser Zwangslage bekehrten sich die Anhänger der aufgelösten freien Gewerkschaften vorübergehend zum Lokalismus und Föderalismus. So gründeten sie im Jahre 1881 an vielen Orten Deutschlands Lokalorganisationen, die aus ihrer Mitte Vertrauensmänner wählten. Diese traten als Einzelpersonen miteinander in Verbindung und stellten auf diesem Wege eine zwar lose, aber durchaus wirksame Föderation her. Von den Vertrauensmännern wurden wiederum Agitationskommissionen gewählt, deren Aufgabe es war, Zeitungen herauszugeben. Doch wurden diese bald verboten und ihre Herausgeber aus Deutschland ausgewiesen. Aus diesem Grunde erschienen die Zeitungen von nun an wöchentlich unter wechselndem Namen.

Mit dem Fall des Sozialistengesetzes im Jahre 1890 erstarkten die zentralistischen Tendenzen wieder. Es wurde eine General- Kommission der Gewerkschaften gebildet, die die örtlichen Fachverbände durch Zusammenschluß und Durchgliederung zu zentralen Berufsverbänden umbildete, die sich später zu Industrie- Verbänden ausgestalteten. Dieser Umwandlungsprozeß ging natürlich nicht ohne den Widerspruch der Lokalisten vor sich, die vor allem in dem Baugewerbe Berlins ihre Hauptstütze fanden. Die beiden Richtungen traten sich auf dem ersten gewerkschaftlichen Kongreß zu Halberstadt im Jahre 1892 gegenüber. Er endete, wie vorauszusehen war, mit dem Siege der Zentralisten, die die vollständige Vernichtung der Lokalorganisation beschlossen. Die Lokalisten, ihrer Ohnmacht innerhalb des zentralistischen Gewerkschaftsverbandes bewusst, ergriffen die einzige Möglichkeit, die sich ihnen bot, um ihren Anschauungen das Leben zu erhalten: sie verließen demonstrativ die Versammlung und beschlossen, einen eigenen Kongreß einzuberufen.

b) Die „Vertrauensmänner- Zentralisation“ als die Vorläuferin des deutschen Syndikalismus.

Der „Kongreß der Lokalorganisierten oder auf Grund des Vertrauensmännersystems zentralisierten Gewerkschaften Deutschlands“ wurde in Halle am 17. Mai 1897 abgehalten. 38 Delegierte von 14 Berufen besuchten ihn und schlossen sich zu der Vertrauensmänner- Zentralisation zusammen, deren Anhängerschaft eine Statistik der Generalkommission mit 6.803 Mitgliedern angibt. (2) Im Vergleich mit der Stärke des Zentralverbandes, der für das gleiche Jahr 412.359 Mitglieder umfasste, erscheint diese verschwindend gering (3). Doch liegt die Bedeutung der lokalistischen Bewegung auch nicht in ihrer zahlenmäßigen Stärke, sondern in ihrer revolutionären Tendenz.

Die auf dem Kongreß versammelten Vertreter befassten sich zunächst mit der Aufgabe, die gegründete Vereinigung zu organisieren. Zu diesem Zweck wählten sie eine leitende Geschäftskommission, die die Aufgabe hatte, „das Band der Organisation zu festigen und in Wort und Schrift Propaganda zu machen für die Ideen des Sozialismus, um neue Anhänger zu werben“. (4) Die Geschäftskommission, die die Verbindung der angeschlossenen Gewerkschaften übernahm, stellte keine Zentralleitung im Sinne der Zentralverbände dar, sondern erfüllte mehr die Aufgaben einer Agitationskommission. Jeder einzelne Ortsverein sollte innerhalb des föderalistischen Zusammenschlusses selbständig bleiben.

Einen weiteren Punkt der Tagesordnung bildete ein Referat, in welchem die Stellung der Vertrauensmänner- Zentralisation innerhalb der sozialistischen Arbeiterbewegung herausgearbeitet werden sollte. Dieses weist schon eine teilweise Übereinstimmung mit den Grundsätzen des französischen Syndikalismus auf. Die Vertrauensmänner- Zentralisation erklärte, dass sie das Prinzip der Klassenzweiteilung anerkenne und nur die Interessen der Arbeiterklasse vertreten wolle. Sie erkannte die Notwendigkeit des Klassenkampfes an und wünschte nicht den Frieden, sondern den dauernden Kampf gegen das Unternehmertum bis zu dessen völliger Vernichtung. Sie empfahl die direkte Aktion, sie verfocht die Idee des Massen- und Generalstreiks als Kampfmittel zum Sturze des Kapitalismus.

Im Widerspruch mit dem Gedanken der direkten Aktion standen die Ausführungen Kesslers auf dem Kongreß, der betonte, dass der gewerkschaftliche Kampf nur im engsten Anschluß an die Sozialdemokratische Partei geführt werden könne. Die Gewerkschaften müssten bei der Sozialdemokratischen Partei belassen und in deren Dienst gestellt werden. Die lokalistische Organisationsform schien auch dazu am besten geeignet, während dagegen der zentralistische Zusammenschluß die Gefahr der Selbständigwerdung gegenüber der Partei in sich schloß. Die Sozialdemokratische Partei wollte zunächst von der zentralistischen Gewerkschaftsbewegung nichts wissen. Als diese aber immer mehr wuchs, sodaß schließlich eine Personal- Union von Partei und Zentralverbänden in Führung und Gefolgschaft entstand, sahen sich die Lokalisten von der Sozialdemokratischen Partei abgeschnitten. Von dieser Zeit ab gerieten sie immer stärker unter den geistigen Einfluß des französischen Syndikalismus. Die Folge war, dass der Abstand dieser Bewegung von den Zentralverbänden sich vergrößerte und damit auch der von der Sozialdemokratischen Partei.

c) Die „Freie Vereinigung Deutscher Gewerkschaften“, die Fortsetzung der Vertrauensmänner- Zentralisation.

Ca) Stellungnahme gegenüber den Parteien. Auf dem 5. Kongreß, der in Berlin vom 22. bis 25. September 1901 abgehalten wurde, erklärte man die Neutralität des Verbandes gegenüber den politischen Parteien. Zugleich beschloß man die bisherige Benennung des Zusammenschlusses abzuändern in die Bezeichnung „Freie Vereinigung Deutscher Gewerkschaften.“

Auf Seiten des Zentralverbandes teilte man anfangs fast allgemein die Meinung, dass die lokalistische Richtung allmählich verschwinden werde. Als sich diese Ansicht als falsch erwies, beabsichtigten die Sozialdemokratie und die Zentralverbände, die Lokalisten durch Einigungsverhandlungen, die im Jahre 1903 einsetzten, zu beseitigen. Unglücklicherweise ließen sich die Lokalisten auch auf derartige Verhandlungen ein, deren Abschluß ihrer Bewegung großen Schaden zufügen sollte. Schon auf dem 6. Kongreß im folgenden Jahre konnte die Freie Vereinigung feststellen, dass ein erheblicher Teil ihrer Mitglieder zu den Zentralverbänden abgewandert war. Die Einigungsverhandlungen, die zwischen dem Parteivorstand und der General- Kommission einerseits und der Geschäftskommission andererseits geführt wurden, zerschlugen sich, als die Lokalisten in einer Sitzung vom 13. März 1904 darauf bestanden, die organisatorische Selbständigkeit ihrer Bewegung innerhalb des Zentralverbandes zu verlangen. Damit war der weiteren Entwicklung der lokalistischen Bewegung, die durch diese Verhandlungen gehemmt war, wieder freie Bahn geschaffen.

Cb) Das Problem des Generalstreiks.

Die Tätigkeit der Freien Vereinigung Deutscher Gewerkschaften wandte sich jetzt wieder Problemen prinzipieller Natur zu, deren Bejahung oder Negierung für die sich erweiternde Trennung zwischen der Freien Vereinigung und den Zentralverbänden und der sozialdemokratischen Partei von Bedeutung war. Im Vordergrund des Interesses stand die Frage des Generalstreiks mit Rücksicht auf den für das Jahr 1904 nach Amsterdam einberufenen Internationalen Sozialistischen Kongreß, auf welchem diese den Hauptpunkt der Tagesordnung ausmachte. Die Freie Vereinigung berief zur Stellungnahme zu dieser Frage eine öffentliche Massenversammlung am 4. August 1904 ein, die Dr. Friedeberg mit einem Referat über „Parlamentarismus und Generalstreik“ einleitete. Das Ergebnis war die folgende einstimmig beschlossene Resolution, die zum ersten male den Antiparlamentarismus in das Programm der Freien Vereinigung einfügte: „Die irrtümliche Auffassung vom Wesen des Staates, ganz besonders aber die Überschätzung des Parlamentarismus haben allmählich das Proletariat vom Boden des eigentlichen Klassenkampfes abgedrängt. Die Trennung der proletarischen Bewegung in politische Partei- und Gewerkschaftsbewegung, die daraus erwachsende Neutralität der Gewerkschaften, welche fast ausschließlich in der Verbesserung des Arbeitsvertrages ihre alleinige Aufgabe erblicken, hat dem Klassenkampf den Todesstoß gegeben.

Die wahre Macht des Proletariats beruht auf der möglichst großen Zahl völlig freier, vom Geist des Klassenkampfes durchdrungener Persönlichkeiten, wie sie niemals der auf einem Vertretersystem beruhende Parlamentarismus, wohl aber eine vom Geist des Sozialismus getragene Gewerkschafts- Bewegung herausbilden kann.

Massenaktion mit voller Verantwortlichkeit jedes Einzelnen – Streiks, Maifeier, Boykott – das sind die Vorbedingungen der endgültigen Befreiung des Proletariats. Diese Befreiung selbst, die Aufhebung der Klassenherrschaft wird erfolgen durch den Generalstreik. Nicht durch eine Revolution, nicht im Wege des Blutvergießens und der Gewalt, sondern durch ein ethisches Kampfmittel, durch die Verweigerung der Persönlichkeit, die, in weitem Umfange durchgeführt, das Proletariat aus der Produktion ausschaltet und dadurch die ökonomische Herrschaft der Kapitalisten- Klasse und ihr Instrument, den Staat, beseitigt.

Aus diesen Gründen erwartet die Freie Vereinigung Deutscher Gewerkschaften, dass die nur indirekt nützende, unzweckmäßige ungeheure Opfer an geistigen und materiellen Kräften erfordernde parlamentarische Bestätigung zurückgedrängt und alle Kraft des deutschen Proletariats auf die geistige und sittliche Hebung des Proletariats und auf den wirtschaftlichen Kampf verwandt werden soll, dass der Aufbau der gewerkschaftlichen Organisation und der Erziehung der gewerkschaftlichen Mitglieder über die Tagesfragen hinaus zu idealgesinnten, bewussten Klassenkämpfern mit aller Macht betrieben und so die Möglichkeit eines siegreichen Generalstreiks für das deutsche Proletariat baldigst verwirklicht werde“. (5)

Zwei Delegierte der Freien Vereinigung wurden beauftragt, auf dem internationalen sozialistischen Kongreß zu Amsterdam die gefasste Resolution zu begründen. Ihre Bemühungen blieben jedoch ohne Erfolg. Es wurde ein Kompromissantrag angenommen, der den Generalstreik ablehnte, aber den politischen Massenstreik propagierte.

Eine gleiche Stellung nahm der sozialdemokratische Parteitag vom September 1905 in Jena ein, auf welchem sich die Sozialdemokratie verpflichtete, „gegebenenfalls“ den politischen Massenstreik zu erklären. Die Zentralverbändler jedoch beachteten weder die Amsterdamer Beschlüsse noch die Jenenser, sondern hielten an der Resolution ihres Kongresses vom Mai 1906 in Köln fest, der den Generalstreik als „Indiskutabel“ erklärt und diesen Propaganda verboten hatte. Darüber hinaus zwang die General- Kommission den sozialdemokratischen Parteivorstand in geheimen Verhandlungen, ein Protokoll zu unterzeichnen, dessen erster Absatz lautete: „Der Parteivorstand hat nicht die Absicht, den politischen Massenstreik zu propagieren, sondern wird, soweit es ihm möglich ist, einen solchen zu verhindern suchen“. (6) Dieses Schriftstück gelangt in die Hände der Geschäftskommission, die es in der „Einigkeit“, dem im Jahre 1897 geschaffenen Organ der Freien Vereinigung, veröffentlichte und dieses Vorgehen als einen Verrat an der Arbeiterschaft brandmarkte. Diese Kundgebung erregte auf der Gegenseite starken Unwillen. Die von der Partei einsetzende Hetze gegen die Freie Vereinigung brachte es dahin, dass in Mannheim im Jahre 1906 auf dem sozialdemokratischen Parteitag ein Beschluß gefasst wurde, nach welchem die Mitglieder und Anhänger der Freien Vereinigung Deutscher Gewerkschaften aus der Sozialdemokratie auszuscheiden hätten und diese Richtung auf das schärfste zu bekämpfen sei. Durch dieses Vorgehen der Partei wurde die reinliche Scheidung zwischen beiden vollzogen und die Freie Vereinigung von jeglicher Fühlung mit der Partei gelöst. Seit dieser Zeit sollte diese Bewegung bis auf den heutigen Tag mit keiner politischen Partei irgendwelche Gemeinschaft haben.

cc) Die Wirkung des Ausschlusses aus der Sozialdemokratischen Partei auf die Freie Vereinigung und deren weitere Entwicklung zum Syndikalismus bis zum Kriege.

Auch die letzten Sympathien für die Zentralverbände, die in den Reihen der Freien Vereinigung noch vorhanden waren und immer noch eine Einigung beider Richtungen beabsichtigten, sollten bald verschwinden. Auf dem 8. Kongreß der Freien Vereinigung Deutscher Gewerkschaften, der im Januar 1908 in Berlin tagte, lag ein Antrag der 16. Konferenz der „Freien Vereinigung der Maurer Deutschlands“ vor, der die Auflösung der Freien Vereinigung und ihr Aufgehen in die Zentralverbände verlangte. Es kam darüber zu einem Bruch, der damit endete, dass alle dem Antrag günstig Gesinnten aus der Freien Vereinigung ausschieden. So verließen die lokalistische Bewegung die letzten Elemente, deren Tätigkeit einer ruhigen Entwicklung der Freien Vereinigung im Wege gestanden hatte, sodaß diese sich jetzt ungehindert zum ausgesprochenen Syndikalismus hinentwickeln konnte.

Eine Folge der reinlichen Scheidung war das Abnehmen der Mitgliederzahl der Freien Vereinigung um mehr als die Hälfte. Für das Jahr 1906 betrug diese Zahl 13.145 Mitglieder, die 1907 auf 17.633 stieg, jedoch 1911 nur noch 7.833 umfaßte (7) gegenüber 2.400.018 in den Zentralgewerkschaften (8).

Die Verminderung der Mitgliederzahl hatte aber den Vorteil, dass durch das Ausscheiden der störenden Faktoren Ruhe in die lokalistische Bewegung kam, die ihrer Fortentwicklung nur förderlich sein konnte. Das zeigte sich auf den folgenden Kongressen, die in der Hauptsache der Stellungnahme zu grundlegenden Problemen gewidmet waren, die zu einer Klärung und Festigung der Ansichten beitrugen und die Basis für die nach dem Kriege errichtete Prinzipienerklärung schufen. Auf dem 9. Kongreß im März 1910 demonstrierte die Freien Vereinigung gegen die reformistische Sozialgesetzgebung mit der Begründung, dass diese weder den Arbeitern wirkliche Vorteile zu bringen vermöchte, noch ein wirksames Mittel sei, die besitzende Klasse zu bekämpfen. In einer Resolution wurde erklärt, dass „nicht auf politisch-parlamentarischem, sondern einzig auf ökonomischem Gebiet das Proletariat dem Kapitalismus schon heute Wunden zu schlagen und Niederlagen zu bereiten“ (9) in der Lage sei. Der 10. Kongreß vom Juli 1912 beschäftigte sich mit organisatorischen Fragen. Zunächst wurde bei der Behandlung des grundsätzlichen Problems „Zentralismus oder Föderalismus“ der Zentralismus verworfen, da er „immer Herrschaft auf der einen und Knechtschaft und Gehorsam auf der anderen Seite bedingt“. (10) Ihm setzte man den Föderalismus entgegen, der die örtliche Selbständigkeit der Berufsvereine gewährleistete. Jeder Organisation sollte vollkommenes Selbstbestimmungsrecht und ihre eigenen, den örtlichen, wirtschaftlichen und beruflichen Interessen entsprechenden Statuten besitzen, die aber mit denen der freien Vereinigung nicht im Widerspruch stehen dürften. Um die örtlichen Berufsvereine einander näher zu bringen, sollten sich diese zu örtlichen Kartellen zusammenschließen. Desgleichen sollten verwandte Berufe in Industrieföderationen zusammengefasst werden. Auch über die Gestaltung des zukünftigen Gesellschaftsbildes tauchten Pläne auf. An Stelle der kapitalistischen Gesellschaftsordnung sollte eine kommunistisch- sozialistische Gesellschaft treten, innerhalb derer die Gewerkschaften zu Trägern der zukünftigen Produktion berufen sein sollten. Daraus ergab sich eine friedliche (wohl feindliche, Anm. d. Tippers) Stellung gegenüber dem Staate, die Ablehnung des parlamentarischen Systems und der indirekten (wohl direkten, Anm. d. Tippers) Aktion, als deren Formen man den Boykott, die Sabotage, den Solidaritätsstreik und endlich den Generalstreik ansah.

Die Übereinstimmung der lokalistischen Bewegung mit der syndikalistischen Bewegung von Amiens trat immer klarer hervor. Wenn auch ein tatsächlicher organischer Zusammenhang mit der französischen syndikalistischen Bewegung nicht vorhanden war, so kamen sie sich doch in ihren theoretischen Anschauungen immer näher. Hätte die Freie Vereinigung Deutscher Gewerkschaften schon vor dem Kriege ihr Wollen und ihr Ziel in einer Programmerklärung niedergelegt, so hätte diese eine auffallende Ähnlichkeit mit der „Charte d’ Amiens“ des französischen Syndikalismus aufweisen müssen. Die Lokalisten waren sich dieser Identität der Anschauungen voll bewusst und bezeichneten sich auch gelegentlich als Anhänger der syndikalistischen Arbeiterbewegung.

Zweites Kapitel

Die Entwicklungshemmung der lokalistisch-syndikalistischen Bewegung während des Krieges.

Die Gesinnungsfestigkeit der Freien Vereinigung Deutscher Gewerkschaften sollte bald einer schweren Prüfung unterzogen werden. Das drohende Gespenst eines bewaffneten Zusammenstoßes warf schon manche Jahre vor dem wirklichen Ausbruch des Krieges seien Schatten voraus und gab der Freien Vereinigung Veranlassung, zu diesem Problem in antimilitaristischen und pazifistischen Resolutionen Stellung zu nehmen und eine ihrem Standpunkt entsprechende Propaganda zu betreiben. Schon im Jahre 1911 äußerte Yvetot als Mitglied einer französischen syndikalistischen Arbeiterdelegation am 24. Juli in Berlin in einer Rede: „Wenn die Regierungen es versuchen sollten, eine Nation gegen die andere in den Kampf zu treiben, so werden wir zeigen, dass die Völker schönere Aufgaben zu erfüllen haben. Versucht es nur einmal, ihr Schafsköpfe, und ihr werdet sehen, ob nicht die Völker einen anderen Gebrauch von den Waffen machen werden, die ihr ihnen in die Hand gebt“ (11). Die Ausführungen von Yvetot fanden allgemeine Zustimmung. Der Redner wurde freilich aus Deutschland ausgewiesen.

Die Freie Vereinigung ließ sich aber durch solche Gewaltmaßnahmen nicht von dem eingeschlagenen Wege abbringen. Sie veröffentlichte in ihren Organen, der „Einigkeit“ und dem „Pionier“, Kundgebungen für den Frieden. So schrieb „Die Einigkeit“ unter dem Titel „Krieg“: „Wer will den Krieg? Nicht das arbeitende Volk, sondern eine nichtsnutzige Militärkamarilla, die in allen europäischen Staaten nach kriegerischem Ruhm geizt.

Wir Arbeiter wollen keinen Krieg! Wir verabscheuen ihn, er mordet die Kultur, schändet die Menschheit und vermehrt die Zahl der durch den bestehenden wirtschaftlichen Krieg Verkrüppelten ins Ungeheuerliche. Wir Arbeiter wollen den Frieden, den ganzen Frieden!

Wir kennen keine Österreicher, Serben, Russen, Italiener, Franzosen usw. Arbeitsbruder ist unser Name! Den Arbeitern aller Länder reichen wir die Hände, um eine Untat zu verhindern, die einen Strom von Tränen aus den Augen der Mütter und Kinder erzeugen müsste.

Barbaren und jeder Zivilisation feindliche Menschen mögen im Kriege eine hehre und heilige Äußerung erblicken. – Menschen mit einem fühlenden Herzen, Sozialisten, getragen von er Weltanschauung der Gerechtigkeit, Humanität und Menschenliebe, verachten den Krieg!

Deshalb, Arbeiter und Genossen ! Erhebt überall eure Stimme zum Protest gegen ein im Anzug befindliches Verbrechen an der Menschheit. Es kostet den Armen Gut und Blut, den Reichen aber bringt es Gewinn und den Vertretern des Militarismus Ruhm und Ehre. Nieder mit dem Krieg!“ (12)

Durch ihr oppositionelles Verhalten zog sich die Freie Vereinigung die Aufmerksamkeit der Regierung in immer stärkerem Maße zu, als der Ausbruch des Krieges näherrückte. Am Tage der Kriegserklärung an Frankreich, am 1.August 1914, wurden an verschiedenen Orten Deutschlands, insbesondere im Rheinlande, Anhänger der lokalistischen Bewegung aufgrund ihrer antimilitaristischen Propaganda und wegen ihrer Zugehörigkeit zu einer staatsfeindlichen Bewegung in Schutzhaft genommen und bis zu zwei Jahren festgehalten. Gleichzeitig wurden die Zeitungen der Freien Vereinigung für die Dauer des Krieges verboten, zuerst „Der Pionier“ am 5. August und am 8. August „Die Einigkeit“. Aber auch dieser Zwang und die drohende Gefahr der Lahmlegung der ganzen lokalistischen Bewegung konnte die Freie Vereinigung nicht veranlassen, ihren Grundsätzen untreu zu werden. An Stelle der verbotenen Blätter gab die Geschäftskommission „Mitteilungsblätter“ und „Rundschreiben“ heraus. Aber auch diese ereilte das Verbot des Oberkommandierenden in den Marken, so dass die lokalistische Bewegung jahrelang ohne jede verbindende Presse ein unterirdisches Leben zu fristen gezwungen war.

Es gelang der Regierung trotz aller Unterdrückungsmaßnahmen nicht, den Geist, der die Anhänger der Freien Vereinigung beherrschte, noch deren verborgene Organisation vollständig zu vernichten. Es ist sogar anzunehmen, dass ihr mutiges Bekenntnis zur Opposition die Zahl ihrer Anhänger im Verlaufe des Krieges anwachsen ließ, obgleich sich eine solche Vermehrung zahlenmäßig nicht beweisen lässt. Denn je mehr sich der Krieg in die Länge zog, umso größer wurde die Unzufriedenheit der Arbeiter über die lange Dauer des Krieges und ihre Abneigung gegen den Krieg. Und es ist ganz natürlich, dass sich diese unzufriedenen Elemente derjenigen Bewegung hinzugesellten, die grundsätzlich gegen den Krieg eingestellt war und die trotz der Unterdrückung von Seiten des Staates ihren Standpunkt in heimlich verbreiteten Fugblättern vertrat.

Hinzu kommt noch, dass die Politik der Generalkommission der Zentralverbände während des Krieges, die ihre Zustimmung zu den Kriegskrediten, zum Hilfsdienstgesetz und zu dem Verzicht auf das Streikrecht erteilt hatte, also im Fahrwasser der Regierung steuerte, ihr die Arbeiterschaft teilweise entfremdet hatte. Weiter war die Leitung von den Zentralverbänden vielfach auf die Industrieverbände übergegangen, zum Teil hatten aber auch rein örtliche Verbände und Betriebsorganisationen die Führung übernommen. Auch diese oppositionellen Strömungen innerhalb der zentralistischen Gewerkschaften tendierten zur lokalistisch- syndikalistischen Bewegung.

Drittes Kapitel

Die revolutionäre syndikalistische Arbeiterbewegung in den ersten Jahren nach dem Friedensschluß (1918 bis 1919).

a) Die syndikalistischen Tendenzen innerhalb der freien Gewerkschaften.

Die Demokratisierung des politischen Lebens, die schon vor der Revolution eingesetzt hatte, hob den Gegensatz zwischen Führern und Geführten, den der Syndikalismus durch sein föderalistisches Organisationsprinzip ausschalten wollte, keineswegs auf. Diese Tatsache bildete einen wesentlichen Faktor in der Entwicklung der deutschen syndikalistischen Arbeiterbewegung.

Die sozialdemokratische Partei, die nach der Revolution durch die Teilnahme an einer Koalitionsregierung die Verpflichtung zum Wiederaufbau des Staates mit übernommen hatte, musste infolgedessen, um ihr eigenes Werk nicht zu gefährden, ihre revolutionäre Aktion zurückstellen. Das Erlebnis der Revolution und der nahezu völlige Zusammenbruch des Wirtschaftslebens hatten aber andererseits die revolutionären Tendenzen in der Arbeiterschaft verstärkt. Das musste den Gegensatz zwischen der Leitung der Partei sowohl wie auch der der Freien Gewerkschaften und den Arbeitern selbst vergrößern. Der gegenseitige Kampf führte zunächst zur Spaltung der politischen Partei, die die Trennung der Gewerkschaftsbewegung zur Folge hatte. Die Kritik der Opposition innerhalb der Freien Gewerkschaften richtete sich, wie schon im letzten Kapitel erwähnt, gegen die reaktionäre Haltung der Generalkommission während des Krieges und nach der Revolution, in welcher Zeit diese mit den Arbeitgebern Arbeitsgemeinschaften durch Abschluß langandauernder Tarifverträge eingegangen war. Daraus macht man ihr den Vorwurf, den Klassenkampcharakter der Gewerkschaften verleugnet zu haben, deren Aufgabe es nicht allein sei, den Arbeitern höhere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen zu verschaffen, sondern auch ihre Mitglieder dahin zu erziehen, dass sie in kommender Zeit die Funktion der Unternehmer in einer künftigen sozialistischen Gesellschaft auszufüllen imstande sind. Diese Aufgabe zu erfüllen, waren die zentralen Gewerkschaften außerstand; denn ihre Teilnahme an der Regierungsgewalt auf dem Umwege über die Partei führte sie zu einer zwangsläufigen Ablehnung jeder revolutionären Aktion.

Auch gegen die Organisationsform der Freien Gewerkschaften erhoben sich Widersprüche. Aus dieser Bewegung heraus erwuchs die Entwicklung vom alten Berufsverband zum Industrieverband, der alle Arbeiter ohne Rücksicht auf ihren Beruf innerhalb einer Industrie vereinigen sollte.

b) Die Gründung der FAUD (Syndikalisten) (auf dem Mannheimer Kongreß 1927 – Erfurter Kongreß 1922, Anm. d. Tippers - der FAUD umgewandelt in: Anarchosyndikalisten, sodaß der volle Name der Bewegung heute lautet: FAUD (A.- S.) auf dem 12. Kongreß der Freien Vereinigung Deutscher Gewerkschaften.

Die Unzufriedenheit mit der Organisationsform und der Taktik der Freien Gewerkschaften erreichte naturgemäß in jenen Gegenden Deutschlands ihren Höhepunkt, in denen die Ansammlung von Arbeitermassen am stärksten war. In den Hauptindustriezentren im Rheinland, in Hamburg und in Berlin gab die zentralgewerkschaftliche Opposition zuerst ihrem Unmut Ausdruck, indem sie die Freien Gewerkschaften verließ.

So traten am 15. und 16. September 1919 auf der von der Freien Vereinigung in Düsseldorf einberufenen Verschmelzungskonferenz der linksrheinischen Gewerkschafts- Gruppen Rheinlands und Westfalens vier Zentralverbände geschlossen zur lokalistisch- syndikalistischen Bewegung über. Es waren dieses die A.A.U.- Essen, die A.A.U.- Düsseldorf, die Bergarbeiter Union und der allgemeine Arbeiter- Verband, die sich auf dieser Konferenz zur „Freie Arbeiter Union“ zusammenschlossen. Die versammelten 105 Delegierten arbeiteten „Richtlinien“ aus, die auf den Beschlüssen des 7. und 9. Kongresses der Freien Vereinigung von 1906 und 1910 basierten.

Neben der syndikalistischen Opposition innerhalb der Freien Gewerkschaften hatte auch die Freie Vereinigung unter den veränderten politischen Verhältnissen an Bedeutung gewonnen. Ihr Mitgliedsbestand für 1918 wurde auf ungefähr 60.000 geschätzt (13). Das bedeutete gegenüber dem Vorkriegsstand von 7.000 Mitgliedern einen gewaltigen Aufschwung. (14)

Diese Zahl sollte sich aber noch nahezu verdoppeln in der Zeit bis zum 12. Kongreß der Feien Vereinigung der vom 27. bis 30. Dezember 1919 in Berlin tagte, auf welchem 109 Delegierte 111.675 Mitglieder vertraten (15). Dieser Kongreß, der zum ersten Male seit dem Ausbruch des Krieges die Anhänger der syndikalistischen Bewegung aus ganz Deutschland versammelte, sollte für die Fortentwicklung des Syndikalismus von hervorragender Bedeutung sein. Zunächst wurde die bisherige Bezeichnung der „Freien Vereinigung deutscher Gewerkschaften“ umgewandelt in „Freie Arbeiter- Union Deutschlands (Syndikalisten)“. Dann schuf sich die FAUD ein vollständiges Programm, das sich aus zwei Teilen zusammensetzte: Die Programm- Grundlage der FAUD. (S.), die dem organisatorischen Aufbau Richtlinien gab, und „Die Prinzipienerklärung des Syndikalismus“, die die theoretischen Anschauungen der revolutionären syndikalistischen Arbeiterbewegung festlegte.

c) Das Bekenntnis der FAUD zum revolutionären Syndikalismus: „Die Prinzipienerklärung des Syndikalismus“.

In den auf dem 12. Kongreß der FAUD gefassten Beschlüssen legte die deutsche syndikalistische Arbeiterbewegung zum ersten Male Richtlinien sowohl in Bezug auf ihre Organisation als auch auf ihre Theorie grundsätzlich und umfassend fest, ähnlich wie es dem französischen revolutionären Syndikalismus im Jahre 1906 in Amiens gelungen war. Die gedankliche Übereinstimmung der „Prinzipienerklärung“ und der „Charte d’ Amiens“ ist unverkennbar.

Eine Darstellung des Wesens der heutigen Gesellschaftsordnung leitet die Prinzipienerklärung ein. Die Syndikalisten sehen das wesentliche Merkmal der kapitalistischen Gesellschaft einerseits in dem Monopol des Besitzes, dem Eigentumsrecht, und andererseits in dem Monopol der Macht, das dem Staate zusteht. Durch die „Monopolisierung des Bodens und der übrigen Produktionsmittel“ (16) in der Hand einer kleinen Gesellschaftsgruppe sind dieser die Mittel in die Hand gegeben, die ihr die Herrschaft über die Arbeiter sichern und es ihr ermöglichen, die allein werteschaffende Klasse auszubeuten. Mit dieser Kritik der gegenwärtigen Gesellschaft übernimmt der Syndikalismus die marxistische Mehrwerttheorie, erkennt die große ökonomische Teilung der Gesellschaft in zwei Klassen an und gelangt auf diesem Wege zu Klassenkampfgedanken.

Das Gewaltverhältnis zwischen Ausbeutern und Ausgebeuteten kann nur durch den gewaltsamen Kampf der enterbten Klasse abgeändert werden. Der Arbeiter als der alleinige Schöpfer der Werte erhält nicht den vollen Arbeitsertrag, sondern muß über das Äquivalent seines Lohnes hinaus für den Monopolisten einen Mehrwert erarbeiten. Nur ein Mittel kann dem Abhilfe schaffen: der Klassenkampf. Er fördert die Entwicklung des Klassenbewusstseins aller Arbeiter auf der Grundlage der ökonomischen Bindung.

Im Klassenkampfgedanken gehen Syndikalismus und Sozialismus Hand in Hand, um die Umgestaltung der Gesellschaft herbeizuführen. Jedoch schlägt der autoritäre Sozialismus den politischen, der Syndikalismus den wirtschaftlichen Weg ein. Sie scheiden sich weiter in der Kritik des Staates, durch die sich der Syndikalismus wieder dem Anarchismus nähert.

Die Auseinandersetzung über die Stellung zum Staat führt uns zu einer Frage von grundsätzlicher Bedeutung: der des Organisationsprinzips. Die Stellungnahme des Syndikalismus zu diesem Problem trennt ihn von allen anderen sozialistischen Theorien und deckt zugleich seine Verwandtschaft mit dem Anarchismus auf.

„Es gibt zwei Formen des gesellschaftlichen Zusammenlebens: Es gibt ein Zusammenleben, dessen besondere Gestaltungen den Menschen durch eine zentrale Macht irgendwelcher Art von oben herab diktiert werden. Und es gibt ein Zusammenleben, das sich von unten nach oben frei entwickelt und seine natürliche Basis in den gemeinschaftlichen Interessen der Menschen und in den Bindungen ihrer gegenseitigen Solidarität findet“. (17) Der Ausdruck des ersteren wäre das Gesetz, des zweiten die freie Vereinbarung, die Organisationsform des ersteren der zentrale Staat, des letzteren die föderalistische Gesellschaft. Der Zentralismus ist das Prinzip des autoritären Systems, bei dem das Wohlergehen aller wenigen Auserwählten anvertraut ist.

Der Gegenpol, der Föderalismus bedeutet nun keineswegs Zersplitterung, sondern Nebenordnung, lebendiges Zusammenfassen aller gesellschaftlichen Energien auf der Basis gemeinschaftlicher Interessen und Überzeugungen, die in der selbständigen Tätigkeit des Einzelnen und der freien Vereinbarung mit allen anderen ihren unmittelbaren Ausdruck findet.

Der Syndikalismus erstrebt, die Autorität des Staates auf die Gewerkschaften, die auf föderalistischer Basis aufgebaut sind, zu übertragen, d.h. auf den einzelnen Arbeiter selbst.

Dem zentralistischen System wird zum Vorwurf gemacht, dass es die Initiative und das Persönlichkeitsgefühl tötet, das Individuum zu einem bedeutungslosen Nichts in der gewaltigen Staatsmaschine macht und damit sein Verantwortungsgefühl untergräbt und ausschaltet. Das Gebilde des Staates ist die Verwirklichung der Zentralisation, der künstlichen Gliederung von oben nach unten. Welche politische Ausdrucksform der Staat auch jeweils besitzen mag, er ist immer die Verkörperung der organisierten Gewalt des jeweiligen wirtschaftlichen Ausbeutungssystems. Entsprechend unserer heutigen Wirtschaftsordnung steht er im Dienste des Kapitals.

Die Ablehnung des zentralistischen Prinzips führt den Syndikalismus vom Anti- Etatismus folgerichtig zur Ablehnung des Kampfes um die Eroberung der politischen Macht. Als Gegner jeder staatlichen Institution verwirft der Syndikalismus „prinzipiell jede Form der parlamentarischen Betätigung, jede Mitarbeit in den gesetzgebenden Körperschaften“. (18) Gleichfalls lehnen die Syndikalisten die Bildung politischer Parteien ab, da sie der Überzeugung sind, dass diese ein zersetzendes Element in der Einheit der revolutionären Arbeiterbewegung bilden, das der Befreiung des Proletariats hindernd im Wege steht. Die Syndikalisten wenden sich daher an die Arbeiterschaft in ihrer Eigenart als Produzenten und fassen sie aus diesem Grund in wirtschaftlichen Kampforganisationen zusammen. In derartigen Gewerkschaften erblicken sie das alleinige Mittel zur Erreichung ihres Zieles.

Die Gewerkschaft, die als Keimzelle der zukünftigen sozialistischen Wirtschaftsordnung bezeichnet wird, wünschen die Syndikalisten schon heute derart zu formen, dass sie sowohl dem tätlichen Kampfe als auch der sie erwartenden zukünftigen Mission gerecht wird. Zu diesem Zwecke bilden die Arbeiter der verschiedenen Berufe oder Industrien an einem Orte die entsprechenden Gewerkschaften. Diese Gewerkschaften vereinigen sich lokal in der Arbeitsbörse, der in der Hauptsache die revolutionäre Propaganda obliegt. Die lokalen Arbeitsbörsen untereinander treten innerhalb der Kreise, Provinzen und Länder zusammen. Ähnlich bilden die Gewerkschaften derselben Berufe oder derselben Industrie Arbeitsgemeinschaften innerhalb der Kreise, der Provinzen und Länder. Diese setzen sich mit den entsprechenden Arbeitsgemeinschaften der Arbeitsbörsen in Verbindung und enden in allgemeinen Industrieföderationen. Die Konferenz der Provinzialarbeitsbörsen und der Industrieföderationen bildet den „Reichsrat“. Über diesem erhebt sich die Geschäftskommission, die „die oberste ausführende“ Instanz der FAUD darstellt, deren Aufgabe es ist, „die Idee des Syndikalismus zu verbreiten“ und „den organisatorischen Zusammenhalt zu pflegen“. (19)

Die Staatsidee ist begleitet von dem Gedanken des Vaterlandes. Der Begriff des Vaterlandes umschließt unsere Heimat, unseren Besitz an der Heimat und ihren materiellen und kulturellen Gütern. Der alleinige Besitz des Arbeiters ist jedoch seine Arbeitskraft, die an sich an keine nationalen Grenzen gebunden ist. Das lässt die Syndikalisten zu dem Schlusse kommen, dass der Arbeiter nur „ein Vaterland: die Erde“ besitze und nur „eine Nation“ bestehe, der er angehört: „die werktätige Menschheit“. (20)

Die nationalen und politischen Grenzen, die die Politik der Staaten ins Leben rufen, sind nur künstlich geschaffene Hindernisse, die die Vereinigung aller Arbeiter der Welt erschweren und ausschließlich im Interesse der Kapitalisten bestehen. Aus diesen Gründen verwerfen die Syndikalisten jedes Zusammenwirken der Arbeiterbewegung mit den nationalen Interessen und stellen in der Prinzipienerklärung sich auf den Boden des Internationalismus.

Der Syndikalismus gesteht jeder Völkergruppe das Recht auf ihre kulturelle Eigenheit und ihre besonderen Entwicklungsmöglichkeiten im Rahmen der internationalen und regionalen Verbände zu, auf denen die zukünftige Gesellschaft aufgebaut sein wird. Die Selbständigkeit kann jedoch erst dann zustande kommen, wenn die vielen Monopole aller Art beseitigt sind und der Bevölkerung jeder Region durch freie Verträge zwischen den verschiedenen Organisationen ihr notwendiger Anteil an den internationalisierten Rohstoffen gesichert ist.

Da sich der Syndikalist dem Patriotismus versagt, weist er auch die Notwendigkeit nationaler Kriege von sich. Um so mehr, da er die Ansicht vertritt, dass die Ursachen nationaler Kriege in der Regel Kapitalstreitigkeiten sind, die die Interessen der Arbeiter nicht berühren, und deren Folgen die unteren Schichten der Gesellschaft relativ am schwersten belasten. An die Stelle des für den Syndikalisten bedeutungslosen nationalen Krieges tritt der soziale Kampf, der Kampf der Klassen gegeneinander, in dem er seine völlige Befreiung zu erringen hofft.

In der Bejahung des Patriotismus und der Notwendigkeit nationaler kriege liegt die Existenzberechtigung des Militarismus; mit der Ablehnung dieser Ideen verurteilt der Syndikalismus die Verwendung und das Bestehen der stehenden Heere zu außerpolitischen Zwecken. Innerpolitisch dient die Armee zur Aufrechterhaltung der staatlichen Herrschaft. Hier ist der Anti- Militarismus der Syndikalisten eine Folge des Anti- Etatismus (antistaatliche Gesinnung).

Im Militarismus sieht der Syndikalismus eines der stärksten Bollwerke des kapitalistischen Gewaltregimes. Er legt deshalb besonderen Wert auf die anti- militaristische Propaganda, wozu ganz besonders die Verweigerung der Person dem Staate gegenüber und der Boykott gegen Herstellung von Heeres- und Kriegsmaterial gerechnet werden.

Mit dem Grundsatz des Anti- Patriotismus und des Anti- Militarismus stellt sich der Syndikalismus zu verschiedenen sozialistischen Theorien und zur Taktik der sozialdemokratischen Partei aller Länder in Gegensatz. Diejenigen Theorien, die sich die Eroberung der politischen Macht zum Ziele gesetzt haben, werden die Armee als ein Instrument zur Eroberung und Aufrechterhaltung dieser Macht nicht von der Hand weisen können. Der Syndikalismus, der aber den Kapitalismus allein auf wirtschaftlichem Gebiet bekämpfen will, bekennt sich in dieser Beziehung zum Anarchismus Bakunins.

Den Weg, der zum Sturz des kapitalistischen Wirtschaftsystems führen soll, sehen die Syndikalisten in der Anwendung der direkten Aktion. Sie ist das Mittel, das Proletariat zum Gemeinschaftsgeist zu erziehen und es den wirtschaftlichen Kampforganisationen zuzuführen. Die endgültige Befreiung aller Arbeiter soll herbeigeführt werden durch die Anwendung des höchsten Ausdruckes der direkten Aktion: durch den sozialen Generalstreik. Dieser wird beweisen, dass die Arbeit der Schöpfer allen Reichtums ist; denn es wird genügen, dass die Arbeiter nur zu ruhen brauchen, um die bürgerliche Klasse ohnmächtig zu machen.

In dem Augenblick des Gelingens des Generalstreiks und der sozialen Revolution würden alle Arbeiter vor das Problem der Reorganisation der Gesellschaft gestellt. Auch für diese Zeit die Aufgaben der einzelnen Organisationen zu bestimmen, hat die Prinzipienerklärung unternommen, damit diese sich schon in der Gegenwart auf ihre zukünftigen Pflichten vorbereiten können.

Den Arbeitsbörsen würde die Aufgabe zufallen, den Konsum zu organisieren, den Industrieföderationen, die Leitung der allgemeinen Produktion zu übernehmen. Innerhalb der Betriebe muß zunächst eine genaue Inventaraufnahme erfolgen, desgleichen müssen die Arbeitsbörsen die vorhandenen Konsumgüter wie den zukünftigen Bedarf feststellen. Entsprechend dem bereits geschilderten Aufbau der syndikalistischen Organisation werden auf der einen Seite die Abgeordneten der Betriebe, auf der andere Seite die der Arbeitsbörsen im Ort, im Kreis, in der Provinz, im Land und schließlich in den Reichsföderationen zusammentreten und an diesen Stellen den Ausgleich zwischen Überschuß und Bedarf herbeiführen. An die Spitze würde an Stelle der heutigen Geschäftskommission der Wirtschaftsrat treten, dem durch die Vorarbeit der Arbeitsbörsen Vorrat und Bedarf für das ganze Wirtschaftsgebiet bekannt sind. Diese Einrichtung stellt zugleich die Beziehungen zu den übrigen Gebieten her und vertritt die Beschaffungs- und Austauschstelle für die notwenigen Güter der Nachbarvölker gegen überflüssige dar.

Es ist leicht zu erkennen, dass der Inhalt der Prinzipienerklärung umfangreicher ist (als) der der Charte d’ Amiens. Insbesondere sind die Ausführungen über den Aufbau der zukünftigen Gesellschaft neu. Der Streit, ob der Generalstreik durchführbar sei oder nicht, der vor dem Kriege im französischen Syndikalismus aufgetaucht war, ist längst abgetan. Das Erlebnis der russischen und der deutschen Revolution und die umgangreichen Streiks, die in der darauf folgenden Zeit alle Länder überfluteten, überzeugten die Syndikalisten, dass in absehbarer Zeit auch der große soziale Generalstreik möglich sein werde. Daß bis zu jenem Zeitpunkte noch eine gewaltige Arbeit insbesondere in bezug auf die Aufklärung und Erziehung der Massen, geleistet werden müsse und die Bewältigung dieser Aufgabe die notwendige Voraussetzung für das Gelingen der sozialen Revolution bedeutet, hielten sich die Syndikalisten klar vor Augen. Rocker, der die Prinzipienerklärung auf dem Kongreß in einem Referate erläuterte und begründete, brachte dieses in folgenden Sätzen zum Ausdruck: „Die Syndikalisten sollen nicht so sehr darauf achten, große Massen zu organisieren, sondern die Hauptfrage gelte der Aufklärung der Mitglieder, damit diese im gegebenen Augenblicke handeln können. Stets waren es Minoritäten, die unter Ausnützung der gegebenen Verhältnisse Revolutionen auslösten. Die Syndikalisten sollen und wollen der Stoßtrupp der sozialen Revolution sein“. (21)

Im Anschluß an den Vortrag Rockers wurde die Prinzipienerklärung mit allen gegen eine Stimme vom Kongreß angenommen. Mit diesem Beschlusse hatten sich die Syndikalisten eine Basis geschaffen, von der aus sie sich nach Abschluß der theoretischen Erwägungen an die Aufgaben des täglichen Lebens heranwagen konnten.

Viertes Kapitel

Der Aufschwung der revolutionären syndikalistischen Arbeiterbewegung (1920 – 22)

a) Das Problem des internationalen Zusammenschlusses.

Nachdem sich auf dem 12. Kongreß der Freien Vereinigung Deutscher Gewerkschaften die Syndikalisten innerhalb Deutschlands zur FAUD zusammengeschlossen hatte, tauchte der Plan auf, eine ähnliche Vereinigung der revolutionären syndikalistischen Arbeiterbewegung der ganzen Welt zu schaffen.

Schon vor dem Kriege war in London vom 27. September bis zum 20. Oktober 1913 ein internationaler syndikalistischer Kongreß abgehalten worden, der in einer Resolution der internationalen syndikalistischen Bewegung die theoretische und taktische Grundlage gegeben hat. (22) Zur Aufrechterhaltung und Förderung der internationalen Verbindung wurde das nationale Arbeiter- Sekretariat von Holland beauftragt, ein „Internationales Syndikalistisches Informations- Komitee“ zu errichten. Die Arbeitsmöglichkeiten dieser Einrichtung wurden jedoch durch den bald darauf ausbrechenden Weltkrieg vollkommen unterbunden. Alle Bemühungen, die Verbindungen aufrecht zu erhalten oder wieder herzustellen, blieben ohne Erfolg, da die militärische Zensur den Briefwechsel unmöglich machte. Als der vorläufige Rat der Roten Gewerkschafts- Internationale Einladungen für einen internationalen Kongreß der revolutionären Gewerkschaften, der im Mai 1921 in Moskau stattfinden sollte, an alle Länder ergehen ließ, entschlossen sich die FAUD und das nationale Arbeiter- Sekretariat von Holland zu dem Versuch, die revolutionären syndikalistischen Organisationen der Welt auf einer Konferenz zu versammeln, auf welcher zu jener Einladung Stellung genommen werden sollte. Dieser Versuch war von Erfolg gekrönt. Vom 16. bis 20. Dezember 1920 traten in Berlin die Vertreter von 977.000 revolutionär- syndikalistisch gesinnten Arbeiten zusammen.

Die Aufgabe der Konferenz war, eine einheitliche Haltung sämtlicher syndikalistischer Organisationen in der Stellungnahme gegenüber dem einberufenen Kongreß der RGI zu erzielen. Der dritten kommunistischen Internationale schon angeschlossen waren die italienischen und spanischen syndikalistischen Organisationen, allerdings ohne deren wahre Ziele zur Zeit des Anschlusses vollständig erkannt zu haben. Da die weitere Entwicklung in Russland den syndikalistischen Verbänden bald die Augen öffnete und die Gefahr ihres Austrittes bestand, wurde von den Bolschewisten die RGI ins Leben gerufen, der sich auch die übrigen Syndikalisten anschließen sollten. In der Tat waren diese fast alle zu solchem Vorgehen bereit unter der Bedingung der Anerkennung der Selbständigkeit der syndikalistischen Bewegung. Auf der Konferenz in Berlin traten starke Meinungsverschiedenheiten hervor. Während die französischen Delegierten und die Abgeordneten der englischen Shop- Stuart Bewegung sich rückhaltlos auf den Boden der „Diktatur des Proletariats“ stellten, lehnten die deutschen und schwedischen Syndikalisten diese grundsätzlich ab. Man einigte sich schließlich in einem Kompromiß. Man beschloß, sich auf den Ausdruck „Besitzergreifung des Grund und Bodens und der Produktionsmittel durch die revolutionäre Wirtschaftsorganisation der Arbeiter“ zu einigen. Schließlich wurden sechs Punkte von der Konferenz aufgestellt, deren Genehmigung durch die RGI für den Anschluß der Syndikalisten bestimmend sein sollte. (23)

Die Beschlüsse der Internationalen Syndikalistischen Konferenz waren gemäß den Grundsätzen des Syndikalismus für die einzelnen Landesverbände nicht zwingend. Infolgedessen musste, um die Entscheidung über die Beschickung des revolutionären Kongresses für die deutsche syndikalistische Arbeiterbewegung herbeizuführen, die FAUD eine Reichskonferenz zur Beschlussfassung einberufen. Diese trat am 6. und 7. März 1921 in Berlin zusammen. Die Anhänger und die Gegner der Beschickung des Moskauer Kongresses hielten sich die Waage, so dass ein Beschluß, der allgemeine Anerkennung gefunden hätte, nicht gefasst werden konnte. Es wurde deshalb vorgeschlagen, die Entscheidung den Mitgliedern der FAUD selbst zu überlassen und zu diesem Zweck eine allgemeine Abstimmung herbeizuführen. Mit 32 gegen 9 Stimmen einigte sich die Konferenz auf folgende Resolution: „Die Konferenz beschließt, Delegierte für den Kongreß in Moskau zu wählen. Darüber, ob die Delegierten zum Kongreß gehen oder nicht, wird vier Wochen vor dem Stattfinden desselben eine Urabstimmung in der FAUD (Syndikalisten) vorgenommen. Die Delegierten dürfen von unseren Prinzipien nicht ein Jota abweichen, sondern haben alles daran zu setzen, um eine Syndikalistische Internationale auf dieser Grundlage ins Leben zu rufen mit oder ohne Russland. (24)

Die auf Veranlassung des Reichskonferenz – Beschlusses nunmehr ausgeschriebene Urabstimmung wurde sehr mangelhaft durchgeführt. An der Abstimmung beteiligten sich nur 108 Organisationen mit 25.561 Mitgliedern. Von diesen stimmten für die Beschickung des Moskauer Kongresses 6.165 Mitglieder, dagegen 7.321, und 12.075 Mitglieder enthielten sich der Stimme. Verschiedene große Bezirke nahmen überhaupt gar keine Urabstimmung vor, sondern teilten die in Mitgliederversammlungen gefassten Majoritätsbeschlüsse der Geschäftskommission mit, jedoch ohne Zahlenangaben. Andere Bezirke wieder lehnten eine erneute Stellungnahme überhaupt ab mit der Begründung, dass sie sich bereits vor der Reichskonferenz vom 6. März 1921 gegenüber der Sendung einer Delegation nach Moskau ablehnend verhalten hätten. Insgesamt beteiligten sich an der Abstimmung nicht ungefähr 300 Organisationen mit 75.000 Mitgliedern. (25)

(aus „die Internationale“ Nr. 8 und 9)

Seit der Reichskonferenz veröffentlichte die syndikalistische Presse nahezu in jeder Ausgabe Artikel über die Verhältnisse in Russland, die ungünstig lauteten. Ganz besonders mussten die Berichte über die Verfolgungen der Syndikalisten und Anarchisten unter dem bolschewistischen Regime die Leser beeinflussen. So kann man wohl annehmen, dass die Ablehnung der Teilnahme an dem Kongreß der RGI weit größer war, als es das Verhältnis des Abstimmungsergebnisses zum Ausdruck gebracht hatte. Das Resultat des Moskauer Kongresses sollte den Gegnern der RGI die Richtigkeit ihrer Anschauung beweisen. Denn die Tagung führte keineswegs zur Gründung einer selbständigen revolutionären Gewerkschafts- Internationale, sondern unterstellte die RGI dem Exekutiv- Komitee der dritten Internationale. Das musste den schon auf der syndikalistischen Reichskonferenz vom März 1921 aufgetauchten Wunsch nach Gründung einer selbständigen syndikalistischen Internationale wieder aufleben lassen. Auf dem dreizehnten Reichskongreß der FAUD am 13. Oktober 1921 wurde dann auch mit Zustimmung der anwesenden Delegierten Amerikas, Hollands, Schwedens und der Tschecho- Slowakei ein Beschluß angenommen, der anregte, für den Frühling des Jahres 1922 einen Internationalen syndikalistischen Kongress einzuberufen, als dessen Basis die auf der ersten Berliner Vorkonferenz vom Dezember 1920 aufgestellte Resolution unter Ausschluß des 6. Punktes dienen sollte.

b) Der Ausbau der „Prinzipienerklärung“ und der Organisation der FAUD

In dem Bestreben, den Wunsch nach einer syndikalistischen Internationale zu verwirklichen, ging die Arbeitskraft der revolutionären syndikalistischen Organisationen der FAUD nicht auf. Die zeitweilig durch diese Bestimmungen in den Hintergrund gedrängten Probleme, die auf die Frage hinausliefen: Besteht die Prinzipienerklärung und die Programmatische Grundlage noch zu Recht, gewannen im Laufe der Zeit an Bedeutung und waren für den 13. Reichskongreß der FAUD charakteristisch. Dieser Kongreß, der zu einer Klärung der Lage innerhalb der FAUD beitragen wollte, wurde vom 9. bis zum 14. Oktober 1921 in Düsseldorf abgehalten.

Nach Eröffnung der Tagesordnung erklärte die Versammlung, dass sie an der auf dem 12. Kongreß der FAUD angenommenen Prinzipienerklärung nicht zu rütteln denke, dass diese auch für den 13. Kongreß maßgebend sei. Nur ihre Begründung könnte im Wortlaut und im Sinn schärfer präzisiert werden. Das galt insbesondere für die Stellung der Syndikalisten zu den politischen Parteien aller Richtungen. Die diese Frage behandelnde Resolution, die in Düsseldorf Annahme fand, lautet: „Die auf dem 12. Kongreß der FAUD angenommenen Prinzipienerklärung ist auch jetzt noch maßgebend. Nur die Begründung derselben kann im Wortlaut und Sinn schärfer präzisiert werden. Das gilt besonders für die Stellung der Syndikalisten zu den politischen Parteien aller Richtungen. Alle vorhandenen Parteien stehen auf dem Standpunkt der Eroberung der politischen Macht im Staate, auch die, welche in ihren Programmen die marxistische oder materialistische Geschichtsauffassung zur Grundlage haben. Sie wollen die politische Macht im Staate erobern, um durch Gebrauch der Staatsgewalt die geistigen und wirtschaftlichen Verhältnisse umzuformen. Die Erfahrung hat gezeigt, dass jede Partei, in den Besitz der Macht gelangt, stationär und in der Folge reaktionär wirken muß. Parteien sind Organisationen von Gesinnungsverwandten, nicht von Interessengleichen.

Das Schwergewicht der Kraft einer Gesellschaft liegt auf wirtschaftlichem Gebiete und in den wirtschaftlichen Organisationen, und von diesen müssen die entscheidenden Kämpfe geführt werden, welche die Umgestaltung der Gesellschaftsordnung zum Ziel haben. Aus dieser Erkenntnis heraus stellt sich die FAUD (Syndikalisten) auf den Boden der Weltanschauung des herrschaftslosen Sozialismus, der die Beseitigung jeder politischen Macht zur Voraussetzung hat. Das bedingt die Ablehnung des zentralistischen Systems der marxistischen Parteien, das dem kapitalistischen Staatssystem entlehnt ist. Demgegenüber stellt sich die FAUD (Syndikalisten) uneingeschränkt auf den Boden des Föderalismus und sieht in der wirtschaftlichen Organisation aller Produzenten, welche erfüllt sein müssen von Solidaritätsgefühl und durchdrungen vom Standpunkt der gegenseitigen Hilfe, die Fundamente der zukünftigen Gesellschaftsordnung. Der Föderalismus verlangt Selbstverantwortung und Entschlussfreiheit auf allen Gebieten des wirtschaftlichen und geistigen Lebens und lehnt jede innerorganisatorische Einwirkung aller Parteien und gleichwertigen Organisationen ab. Demzufolge können Mitglieder syndikalistischer Organisationen einer politischen Partei nicht angehören. Das Bekenntnis zum Syndikalismus und Föderalismus verlangt Toleranz (Duldsamkeit) auf den Gebieten des geistigen Lebens und lässt unseren Mitgliedern volle Freiheit in der Frage der Zugehörigkeit zu Kultur- und anderen Vereinen, welche in ihrer Tätigkeit den Forderungen unserer Prinzipienerklärung nicht entgegenstehen oder entgegenarbeiten.“ (26)

Die Tatsache, die Rocker in seinem einleitenden Vortrage auf dem 14. Kongreß hervorhob, daß in der gesamten internationalen Arbeiterbewegung ein Zug nach rechts zu verspüren sei aufgrund des Misslingens der beiden großen Experimente der Sozialdemokratie, die im Osten unter der Marke Bolschewiki und in Deutschland auf Grund der Verfassung den Sozialismus einzuführen versuchte, machte sich auch innerhalb der FAUD bemerkbar. Zwar konnte auf dem Kongreß kein genaues Bild über den Stand der Mitgliederbewegung gegeben werden, doch lassen die gelegentlich der Urabstimmung über den Anschluß an Moskau von der Geschäftskommission veröffentlichten Zahlen, die den Mitgliederbestand der FAUD für das Jahr 1921 mit 100.561 angeben gegenüber dem Bestand von 1920, zur Zeit der ersten internationalen syndikalistischen Vorkonferenz, der sich auf 150.000 beziffert, einen Rückgang erkennen.

Die Prinzipienerklärung und die Programm- Grundlage forderten die Zusammenfassung der Gewerkschaften zu Industrie- Föderationen und die Vereinigung der Arbeitsbörsen in der Föderation der Arbeitsbörsen. Während an Industrie- Föderationen schon solche für die Bauberufe, die Berg-, Holz-, Metall- Industrie- und Verkehrsarbeiter bestanden, war ein Zusammenschluß der Arbeitsbörsen noch nicht herbeigeführt worden, verschiedentlich lokale Gewerkschafts- Kartelle überhaupt noch nicht gegründet worden. Um an dem Auf- und Ausbau der Arbeitsbörsen und die Bildung einer Föderation der Arbeitsbörsen gemeinsam arbeiten zu können, wurde für den 4. und 5. Juni 1922 die erste Konferenz der Arbeitsbörsen nach Erfurt einberufen. Es versammelten sich hier die Vertreter von 35 Arbeitsbörsen, die 204 Gewerkschaften in sich zusammenfassten, d.h. ungefähr die Hälfte aller der FAUD angeschlossenen Organisationen. (27)

Aus der Prinzipienerklärung und der Programmatischen Grundlage geht der Aufbau der Arbeitsbörsen klar hervor. (28) Der Kongreß entwickelte darüber hinaus aus dem Inhalt der Prinzipienerklärung sinngemäß folgende Aufgaben, die die Arbeitsbörsen zu erfüllen hätten:

1. Agitation und Propaganda.

2. Bildung und Schulung der Mitglieder.

3. Organisierung und Durchführung der Aktionen aller in der Börse zusammengefassten Gewerkschaften und zugleich Unterstützung aller Bestrebungen, die den Zielen des Syndikalismus parallel laufen.

4. Vorbereitung von Maßnahmen zur Durchführung der zukünftigen Wirtschafts- Organisation.

5. Gewinnung der Frauen für die syndikalistische Weltanschauung.

6. Beachtung der Jugendbewegung zwecks Erziehung des syndikalistischen Nachwuchses.

Um allen diesen Aufgaben gerecht werden zu können, sollen verschiedene Kommissionen innerhalb jeder Arbeitsbörse gebildet werden, deren Wirkungskreis sich auf eine dieser Pflichten erstreckt. Durch die Zusammenarbeit der Börsen in der Föderation der Arbeitsbörsen und durch den Austausch von Erfahrungen auf besonderen Konferenzen soll die Lösung der Aufgaben erleichtert und gefördert werden.

Der Erfolg der Arbeit dieser Konferenz stellt einen weiteren Fortschritt in der Entwicklung der syndikalistischen Arbeiterbewegung in Bezug auf den Ausbau der Organisation der FAUD dar.

Die Arbeit des 13. Kongresses der FAUD wurde von dem 14. Reichskongreß, der in Erfurt vom 19. bis zum 22. November 1922 abgehalten wurde, fortgeführt. War in Düsseldorf die Prinzipienerklärung in bezug auf die Stellungnahme zu den Parteien als ungenügend befunden worden, so wollte man in Erfurt den letzten Teil der Prinzipienerklärung, der die direkte Aktion und den Generalstreik kurz erwähnte, in aller Ausführlichkeit behandelt wissen. Der Kongreß schuf, indem er eine Resolution annahm, die sich „Methoden der direkten Aktion im revolutionären Klassenkampf“ betitelte, eine erweiterte Auslegung der Prinzipienerklärung.

Zunächst befaßt sich die Resolution mit der direkten Aktion selbst, die als eine der Voraussetzungen zur Befreiung des Proletariats angesehen wird. Soll der Satz jemals verwirklicht werden: „Die Befreiung der Arbeiterschaft muß das Werk der Arbeiter selbst sein“, dann kann das nur durch die direkte Aktion geschehen, in derem Licht er auf die einfache Formel gebracht werden kann: Willst du deine Befreiung, dann mußt du selbst Hand anlegen. (29)

Der zweite Teil der Erklärung zählt die mannigfachen Anwendungsformen der direkten Aktion auf, die in der Prinzipienerklärung nicht aufgenommen worden war:

1. Als Mittel im Kampfe für bessere Arbeits- und Lebensbedingungen wird der Teil- und Kleinstreik empfohlen, der als Vorschule für den Generalstreik angesehen wird.

2. Als direktes Aktionsmittel innerhalb eines Betriebes dient die passive Resistenz, die einem Streik auf Kosten des Unternehmers verglichen wird. Hierzu wird auch der „greve perlee“ gerechnet, die Methode, die übertragene Arbeit unter genauer Einhaltung aller Vorschriften mit allzu großer Gewissenhaftigkeit und Sorgfalt auszuführen. Am erfolgreichsten wirkt sich diese Aktion in Fahrplanbetrieben, insbesondere im Verkehrsbetriebe aus. Zwischen der passiven Resistenz und der Sabotage liegt die Obstruktion, die als eine Verlangsamung der Arbeit dort von besonderer Wirkung ist, wo der Unternehmer an Lieferzeiten im voraus gebunden ist.

3. Die Sabotage besteht darin, für unzureichende Bezahlung und schlechte Arbeitsbedingungen minderwertige Arbeit zu liefern. Die kleine Sabotage beschränkt sich in der Hauptsache auf das Arbeitsprodukt selbst, sie schließt aber auch die vorübergehende Unbrauchbarmachtung der Produktionsmittel ein. Die große Sabotage dagegen vernichtet und zerstört Sachwerte. Sie ist wirtschaftlicher Terror jeder Art.

4. Eine weitere Anwendungsmöglichkeit der direkten Aktion sieht der Syndikalismus im Boykott. Er definiert diesen als die „Weigerung der konsumierenden Arbeiter, zu teure oder zu minderwertige Produkte, noch solche zu kaufen, die unter ungünstigen Arbeitsbedingungen hergestellt werden“ (30). Als Erkennungszeichen für die zu kaufenden Waren soll die Marke, Label, dienen.

5. Auch in der Demonstration sieht der Syndikalismus ein Mittel, das Forderungen des Proletariats durchzusetzen imstande ist.

6. Dem Militarismus und dem Krieg soll durch Verweigerung der Person und durch allgemeine Arbeitseinstellung entgegengearbeitet werden.

7. Als im Widerspruch mit der Methode der direkten Aktion stehend sieht die Resolution die Beteiligung an jeglicher staatlicher Institution an. Als solche wird auch die Einrichtung der gesetzlichen Betriebsräte angesehen. Dieser Punkt fand nicht den Beifall aller Kongressteilnehmer. Seien Annahme war erst gesichert, als erklärt wurde, dass die Teilnahme an den gesetzlichen Betriebsrätewahlen keines (falls) den Ausschluß aus der FAUD nach sich zöge.

8. Als Ziel des revolutionären Kampfes der syndikalistischen Arbeiterbewegung setzt die Erklärung die Beseitigung der heutigen Gesellschaft und die Errichtung einer freien, klassen- und staatenlosen Gesellschaft. Den Anfang der Revolution bildet der soziale Generalstreik, der nicht allein das passive Ruhen der Arbeiter bedeutet, sondern auch das Eintreten des gesamten schaffenden Volkes für die Errichtung der neuen Gesellschaftsform.

Aus dem Inhalt dieser Erklärung ist ersichtlich, dass sich die syndikalistische Arbeiterbewegung noch immer in der 1919 eingeschlagenen Richtung fortentwickelt und dass die Einigkeit der FAUD auch weiterhin als feststehend gelten kann. Das ist umso mehr zu betonen, als sich in der parteipolitischen Klassenkampfbewegung eine Tendenz zur zunehmenden Zersplitterung zeigt. Auch die im Jahre 1921 sich bemerkbar machende Schwächung der Mitgliederzahl der FAUD scheint überwunden zu sein. Denn der Bestand für 1922 wird um 170.000 Mitglieder angegeben (31). Allein in dem Punkte über die Betriebsrätewahlen konnte eine vollkommene Einigung nicht erzielt werden. Der in dieser Angelegenheit geschaffene Kompromiß konnte diese Frage nicht befriedigend lösen und musste in späterer Zeit Veranlassung geben, sie wieder aufzurollen.

c) Die Lösung des Problems des internationalen Zusammenschlusses.

Der Beschluß von Oktober 1921, der in Düsseldorf auf dem 13. Reichskongreß der FAUD gefasst worden war, nach welchem im Frühjahr 1922 ein internationaler Kongreß der revolutionären syndikalistischen Arbeiterbewegung stattfinden sollte, konnte infolge von Schwierigkeiten, die sich auf internationalem Gebiete ergeben, nicht rechtzeitig verwirklicht werden. Die revolutionären Syndikalisten Frankreichs und Italiens hatten in ihren Reihen noch Strömungen, die in der Richtung der RGI tendierten. Seit der ersten internationalen syndikalistischen Konferenz vom Dezember 1920 war jedoch ein Zeitraum von anderthalb Jahren verflossen und die Erfahrungen, die die revolutionären Syndikalisten aller Länder in dieser Zeit mit der Sowjetrepublik, die die Syndikalisten und Anarchisten innerhalb Russlands verfolgt und gefangen nahmen und außerhalb sich um deren Gunst bewarb, gemacht hatten, veränderten die Sachlage. Als die Abgesandten Frankreichs und Spaniens vom Kongreß der RGI enttäuscht zurückkehrten, beriefen deren Landesorganisationen eine Internationale syndikalistische Konferenz ein, die zuerst für Paris geplant war, später jedoch nach Berlin verlegt wurde.

Das eine große Resultat dieser zweiten internationalen syndikalistischen Konferenz, die vom 16. bis zum 19. Juni 1922 tagte, war das Eintreten für die Gründung einer selbständigen syndikalistischen Internationale, das andere Ergebnis die Annahme einer Prinzipienerklärung, die dem Syndikalismus eine Basis gab, auf der sich in Zukunft eine internationale syndikalistische Bewegung erheben konnte. Die Resolution, in der Thesen über die Grundsätze und die Taktik des revolutionären Syndikalismus aufgestellt wurden, hatte denselben Verfasser, wie die Prinzipienerklärung der FAUD, nämlich Rudolf Rocker. Sie weist, wenn auch nicht im Aufbau, so doch dem Inhalte nach eine vollständige Übereinstimmung mit dieser auf. Der Punkt 9 dieser Erklärung lässt jenen unglücklichen Kompromiß, der auf der ersten internationalen syndikalistischen Konferenz über die Auslegung der „Diktatur des Proletariats“ gefasst worden war, fallen. In ihm wird jede organisierte Gewalt in der Hand irgendeiner revolutionären Regierung verworfen. Wenn die Syndikalisten auch nicht verkennen, dass sich die soziale Revolution nicht reibungslos abspielen wird, so anerkennen sie doch die Gewalt nur als Verteidigungsmittel und nur in der Hand der Wirtschaftsverbände, also des Volkes selbst und seiner Organisation.

Um die Gründung einer syndikalistischen Internationale vorbereiten, wurde ein provisorisches Büro eingesetzt, das beauftragt wurde, noch in demselben Jahre einen Weltkongreß der revolutionären syndikalistischen Landesorganisationen einzuberufen. Zum Sekretär dieses Büros, das sich aus Vertretern mehrerer Länder zusammensetzte, wurde Rocker gewählt, als Sitz des Büros Deutschland bestimmt.

Die Bedeutung dieser zweiten internationalen Konferenz liegt darin, dass nach dem Scheiten der Zusammenfassung aller revolutionärer Arbeiterbewegungen überhaupt es ihr gelang, die revolutionär- syndikalistischen Kräfte der Welt zusammenzurufen und auf eine internationale Vereinigung vorzubereiten. Damit konnte neben dem bisher einzigen Zentrum der revolutionären Arbeiterbewegung der Welt, das in Russland lag, ein zweiter selbständiger Mittelpunkt revolutionärer Bestrebungen als geschaffen gelten, in welchem sich abseits von Moskau alle revolutionär gesinnten Arbeiter unter Wahrung ihrer Selbständigkeit im Zeichen der direkten Aktion zusammenfinden sollten.

Das provisorische Büro berief gemäß seinem Auftrage für die Tage vom 25. bis zum 30. Dezember 1922 den ersten internationalen Kongreß der revolutionären Syndikalisten nach Berlin ein.

Durch die Ansetzung dieses Kongresses war für die RGI die Gefahr, die syndikalistischen Organisationen zu verlieren, sehr nahe gerückt. Um den Forderungen der Syndikalisten nach der Unabhängigkeit der RGI gerecht zu werden, erklärte sich diese bereit, den § 11 ihrer Satzungen zu streichen, der die Bindung der RGI an die dritte Internationale herstellte. Aber auch dieses Entgegenkommen Moskaus befriedigte die Syndikalisten nicht mehr; sie brachten der RGI das größte Misstrauen entgegen und führten in ihren Reden auf dem Kongreß eine sehr scharfe Sprache gegen diese. Der Gedanke an eine Einigung der revolutionären Arbeiterbewegung unter dem Schilde Moskaus war bei der auf dem Kongreß herrschenden Stimmung unmöglich und führte zu einem vollständigen Bruche mit der RGI.

Da also der Anschluß an Moskau nicht mehr in betracht gezogen werden konnte, war der Boden für die Gründung einer syndikalistischen Internationale denkbar günstig. Ein die derartige Zusammenfassung der revolutionären syndikalistischen Kräfte fordernder Antrag der argentinischen, dänischen, deutschen, italienischen, norwegischen und schwedischen Delegierten wurde einstimmig angenommen. Zur Bezeichnung dieser Vereinigung wurde der Name der ersten Internationale übernommen: Internationale Arbeiter- Assoziation.

Die Prinzipienerklärung der zweiten internationalen Konferenz machte sich dieser Kongreß zueigen. Um den Bruch mit Moskau etwas abzuschwächen, machte der Kongreß in dem Punkte der sogenannten „Einheitsbestrebungen des Proletariats“ eine Konzession, indem er auf Antrag der französischen Syndikalisten das inzwischen gewählte internationale Büro beauftragte, noch einmal mit der Exekutive der RGI in Verbindung zu treten, um die Durchführung gemeinschaftlicher Aktionen zu ermöglichen.

Hatte der erste Kongreß der revolutionären Syndikalisten noch die Möglichkeit einer Zusammenarbeit mit revolutionären Arbeiterorganisationen zugestanden, die eine andere Einstellung als die syndikalistischen Zusammenschlüsse hatten, so erkannte die Vollversammlung des Büros der IAA, die vom 2. bis zu, 4. Dezember 1923 in Innsbruck abgehalten wurde, dass die Einigung des revolutionären Proletariats nur auf der Grundlage von revolutionären Wirtschaftsorganisationen, wie sie der internationale Syndikalismus repräsentiert, möglich sei. Die in Innsbruck versammelten Syndikalisten waren der Überzeugung, dass es nicht darauf ankomme, alle Arbeiter in ein und derselben Organisation zusammenzupressen, sondern darauf, dass sie durch gemeinschaftliche Interessen, Bestrebungen und Überzeugungen miteinander verbunden seien. Eine solche Einheit sei aber nur dort möglich, wo eine Verwandtschaftlichkeit des Zieles und der Interessen vorhanden ist. In diesem Sinne sei die Einheitsfront zwischen den revolutionären Syndikalisten und der RGI unmöglich, nicht etwa weil der eine oder der andere Paragraph der Moskauer Statuten dieser Einheit hindernd im Wege stehe, sondern weil die ganzen Satzungen auf Gedankengängen fußen, die den Bestrebungen des Syndikalismus zuwiderliefen.

Indem die Innsbrucker Konferenz nun auch in der Frage der sogenannten „proletarischen Einheitsfront“ eine klare und unzweideutige Stellung eingenommen hatte, hat die IAA einen weiteren Schritt auf dem Wege ihrer natürlichen Entwicklung vorwärts getan.

Fünftes Kapitel

Weitere Entwicklung der revolutionären syndikalistischen Arbeiterbewegung (1923 – 1929).

a) Die Auswirkungen der politischen und der wirtschaftlichen Lage während der Inflation.

Während derselben Zeit, in welcher die Entwicklung des internationalen Syndikalismus so gute Fortschritte erzielte, verlor die syndikalistische Arbeiterbewegung in Deutschland stark an Anhängern. Diese Erscheinung beschränkte sich auf Deutschland aus dem Grunde, weil in den Jahren nach 1922 sich auf politischem und wirtschaftlichem Gebiete Dinge abspielten, von denen die Arbeiter anderer Länder mehr oder weniger verschont blieben.

Die Besetzung des Rheinlandes und des industriellen Westfalens durch die Entente, die von deutscher Seite durchgeführte passive Resistenz im besetzten Gebiet und die Finanzpolitik der deutschen Regierung brachten auch den Arbeitern den Ruin. Die Goldmark verflüchtigte sich in immer wertloser werdende Papiermark, so dass die Arbeiter während der Inflation von der Hand in den Mund leben konnten. Die Lohnauszahlung konnte nicht mehr am Ende der Woche, sondern musste täglich erfolgen, da sonst das Geld bereits nichts mehr wert war. Es gab Zeiten, wo selbst die tägliche Lohnauszahlung der Geldentwertung nicht zu folgen imstande war. Angesichts eines solchen Zustandes, der eine Zahlung von Beiträgen für die Organisation oder gar Ausgaben für Zeitung und andere Literatur den Arbeitern unmöglich machte, ist ein Abnehmen des Mitgliederbestandes der revolutionären syndikalistischen Organisationen verständlich. Dazu kam dann noch der Ausnahmezustand, der auf Grund des „Ermächtigungsgesetzes“ von der Reichsregierung verhängt und vom Reichswehrministerium durchgeführt wurde. Eine Reihe von Wehrkreiskommandos verbot die syndikalistischen Ortsvereine in den Provinzen Westfalen, Hannover, Mecklenburg und Pommern, in Freistaat und Provinz Sachsen und ganz in Bayern. Vielen Ortsvereinen wurden sämtliche Vereinsutensilien, Bibliotheken usw. beschlagnahmt. Der Druck von Seiten der Regierung musste den schon verringerten Mitgliederbestand der FAUD noch mehr zusammenschmelzen lassen.

Mit der Stabilisierung der Rentenmark und der nachfolgenden Reichsmark und der Aufhebung des passiven Widerstandes, dazu der Aufhebung der Micum- Verträge setzte in Deutschland die Arbeitslosigkeit ein, die auch ein Wiedererstarken der Syndikalistischen Bewegung verhinderte.

Im Jahre 1922 wird als Bestand der FAUD eine Zahl von 168.700 Mitgliedern angegeben, die 1923 auf 30.000 und in den Jahren 1924 bis 1925 auf 28.000 sank (32). Am 1. Februar 1925 kann die FAUD nur noch ungefähr 25.000 Anhänger aufzählen. (33)

b) Die Stellungnahme zu den Betriebsrätewahlen.

An jenem Tage, also dem 1. Februar 1925, hielt die FAUD eine außerordentliche Reichskonferenz in Berlin ab, die notwendig geworden war, um in der Frage der Stellungnahme des Syndikalismus zu den Betriebsrätewahlen und zu den Knappschaftswahlen Klärung zu schaffen. Schon während des 14. Reichskongresses war diese Frage aufgetaucht. Der Erfurter Kongreß hatte zu ihr in einer Resolution in ablehnendem Sinne Stellung genommen, es jedoch den einzelnen Mitgliedern der FAUD überlassen, sich daran zu beteiligen oder nicht. Damit war eine offizielle Beteiligung der FAUD an den gesetzlichen Betriebsräten abgelehnt worden.

Diese Ablehnung bedeutete aber nicht die Verwerfung des Rätegedankens überhaupt.

Die Aufgaben dieser freien Betriebsräte, die sich als Vertrauensleute der FAUD innerhalb der Betreibe darstellen, sind mannigfaltig. „Sie müssen in den Betrieben, bei den Betriebsversammlungen und bei sonstigen Gelegenheiten die Ideen des revolutionären Syndikalismus vertreten, sich selbst für die Übernahme und die Leitung der Betriebe vorbereiten, sowie die Arbeiterschaft immer und immer wieder auf dieses große Endziel der Arbeiterbewegung aufmerksam machen“. (34)

Der Erfurter Kongreß hatte die Frage keineswegs gelöst, sondern nur die endgültige Entscheidung hinausgeschoben. Diese hätte die Reichskonferenz vom Februar 1925 gern getroffen. Sie war aber nicht in der Lage, einen Kongreßbeschluß abzuändern. Da die Meinungen geteilt waren – Rheinland und Westfalen waren für eine Beteiligung an den Betriebsräte- und Knappschaftswahlen, die Wasserkante, Oberschlesien und Nordbayern dagegen – erfand die Konferenz einen neuen Ausweg: sie empfahl den Anhängern beider Richtungen gegenseitig größte Toleranz zu üben und erklärte, dass der Auschluß einzelner Mitglieder oder ganzer Ortsgruppen wegen Beteiligung oder Nichtbeteiligung nicht erfolgen dürfe.

Es sollte die Aufgabe des 15. Reichskongresses der FAUD sein, eine einheitliche Auffassung in der Frage der Stellungnahme zu den Betriebsräten zu erzielen. Jedoch fasste auch dieser Kongreß, der vom 10. bis zum 13. April 1925 in Dresden abgehalten wurde, keinen definitiven Beschluß, da er es vermeiden wollte, in dieser Frage einen diktatorischen Standpunkt einzunehmen. Der Kongreß erklärte im Gegenteil, dass das Problem der Betriebsräte keine prinzipielle Frage sei und dass man sich nach den Umständen in den einzelnen Landesteilen richten müsse. Dadurch wurde ein hartes Aufeinanderplatzen der noch ungeklärten Meinungen vermieden und dem Kongreß nach außen hin das Bild der Einheitlichkeit gegeben.

c) Die Entwicklung des internationalen revolutionären Syndikalismus in den Jahren 1924 bis 1929.

Die Aufbauarbeit in der internationalen revolutionären syndikalistischen Bewegung wurde durch die IAA, bzw. durch das Büro der IAA mit Erfolg durchgeführt. Schon auf dem zweiten Kongreß der IAA, der am 21. bis zum 27. März 1925 in Amsterdam abgehalten wurde, konnte festgestellt werden, dass die revolutionären Syndikalisten aller Länder, mit der einzigen Ausnahme von Frankreich, in der IAA vereinigt waren. Die IAA hatte sich einen Platz in der internationalen Arbeiterbewegung erobert, den sie nunmehr gegen alle Angriffe der Gegner zu behaupten vermochte. Ihre Tätigkeit in den zwei Jahren ihrer Existenz war erfüllt von Kämpfen gegen alle Art Widerstände, die sie aber mit Erfolg überstand, so dass die Stellung der IAA für dauernd gesichert angesehen werden konnte.

Nachdem es der RGI nicht gelungen war, die syndikalistischen Organisationen für sich zu gewinnen, suchte sie die Einheitsfront des Proletariats nach einer anderen Seite hin zu erweitern, indem sie sich an die Amsterdamer Gewerkschafts- internationale mit dem Vorschlage der Bereinigung wandte. Bei dieser Lage der internationalen revolutionären Arbeiterbewegung gewann der erste Punkt der Tagesordnung dem zweiten Kongresses der IAA, der „Die Stellung der IAA zu den verschiedenen Richtungen innerhalb der Arbeiterbewegung“ behandelte, an Wichtigkeit. Das Ergebnis der sich über dieses Thema ausbreitenden Diskussion war die einmütige Ablehnung der Teilnahme an allen Einigungsverhandlungen, die den Zweck verfolgten, die wirtschaftlichen Organisationen irgendwelchen Parteien unter zu ordnen. Dieser Standpunkt wird begründet durch die Auffassung des Syndikalismus, dass es falsch sei, die Partei, deren Ziel es ist, die politische Macht zu erstreben, mit den Ideengruppen, die außerhalb jedes staatlichen und autoritären Prinzips für die soziale Umwandlung tätig sind, auf ein und dieselbe Stufe zu stellen. Da der Syndikalismus sich allein für die Durchführung des revolutionären Kampfes auf wirtschaftlicher Basis erklärt und in der wirtschaftlichen Organisation die einzige und natürliche Form sieht, die imstande ist, wirtschaftliche Errungenschaften in der Gegenwart zu erkämpfen und die Reorganisation des wirtschaftlichen und sozialen Lebens auf der Grundlage des freiheitlichen Kommunismus in der Zukunft zu gestalten, verlieren die politischen Parteien, deren Tätigkeit sich nur auf die Eroberung der politischen Macht beschränkt, die nach der Auffassung der Syndikalisten nicht das wichtigste Ziel des revolutionären Kampfes ist, an Bedeutung. Deshalb ist eine Einigung, die die wirtschaftlichen Organisationen des Syndikalismus den politischen Parteien unterordnet, schädlich, da sie die Arbeitersyndikate ihren eigentlichen Aufgaben und Zielen entfremden muß.

Ein weiterer wichtiger Punkt der Tagesordnung war die Stellungnahme der IAA zu den praktischen Tageskämpfen und zu der Durchführung internationaler Aktionen. Um die praktischen Tageskämpfe auf dem Gebiete führen zu können, auf dem sie ausgetragen werden, beschloß der Kongreß, der Bildung internationaler Industrie- Föderationen näher zu treten. Denn die Syndikalisten hatten die Erfahrung gemacht, dass, wenn z.B. in England die Kohlenarbeiter in Streik traten, die Kohlen aus Deutschland bezogen wurden. Um einem solchen Vorgehen des Unternehmertums entgegenzutreten, sollten die streikenden Industrie- Föderationen die Föderationen derselben Industrie in anderen Ländern zu Solidaritäts- Aktionen veranlassen. Um auf diesem Gebiete vorzuarbeiten, beschloß der Kongreß, zunächst drei internationale Sekretariate einzusetzen und zwar:

1. Ein internationales Sekretariat der Seeleute durch die Föderation der Seeleute innerhalb der syndikalistischen Landesorganisation der Niederlande. 2. Ein internationales Bauarbeitersekretariat durch die Bauarbeiter- Föderation der CGT Portugals und 3. Ein internationales Metall- Arbeitersekretariat durch die Metallarbeiter- Föderation der FAUD.

Zur Verwirklichung dieser Beschlüsse fand vom 4. bis 8. September 1926 in Hamburg die erste internationale syndikalistische Konferenz der Metallarbeiter statt, deren Ergebnis die Gründung einer Internationalen syndikalistischen Föderation der Metallindustriearbeiter war.

Desgleichen wurde im Anschluß an den Kongreß der französischen Bauarbeiter- Föderation eine internationale Konferenz syndikalistischer Bauarbeiter- Föderationen abgehalten, die am 15. November 1926 in Lyon tagte und zur Gründung einer Internationalen syndikalistischen Föderation führte.

Nur die Bemühungen, eine internationale Föderation der Seeleute zu errichten, scheiterten. Sie führten nicht zu dem gewünschten Erfolge „wahrscheinlich deshalb, weil in anderen Ländern noch zu geringe Ansätze von syndikalistischen Seemannsorganisationen vorhanden“ waren. (35)

Der nächste Kongreß der IAA, der ordnungsgemäß im Jahre 1927 in Lissabon fällig gewesen wäre, musste um ein Jahr verschoben werden, da inzwischen in Portugal eine Revolution zum Ausbruch kam. Die im Anschluß an diesen Aufstand die Macht ergreifende Militärdiktatur verhinderte die Abhaltung eines internationalen syndikalistischen Kongresses. Schließlich gelang es, in Lüttich (Belgien) im Gewerkschaftshause einen Ort ausfindig zu machen, nach dem für die Tage vom 27. bis 30. Mai 1928 der dritte internationale Kongreß der IAA einberufen werden konnte.

Den wichtigsten Punkt dieser Tagung bildete die Aussprache über die Stellung der revolutionären Arbeiterschaft zur Rationalisierung der Wirtschaft. Die Syndikalisten stellten sich ihr feindlich gegenüber. Sie sahen in ihr nur ein unmittelbares Ergebnis einer neuen Entwicklungsphase des kapitalistischen Systems, die in der Ablösung des alten Privatkapitalismus durch den modernen Kollektivkapitalismus zum Ausdruck komme. Überdies habe die Rationalisierung nur dem Kapitalismus selbst Nutzen gebracht, den breiten Massen der Arbeiterschaft dagegen nur verstärkte industrielle Versklavung. Auch deren Folgeerscheinungen: Mechanisierung der Arbeit, Wertung des Geistes, Senkung der Löhne und vermehrte Massenarbeitslosigkeit, veranlasste die Syndikalisten zur Ablehnung der Rationalisierung.

Aus der sich anschließenden Besprechung über die Lage der revolutionären syndikalistischen Arbeiterbewegung in den einzelnen Ländern konnte man ersehen, dass der internationale Syndikalismus sich in einer schweren Krisis befindet, deren Ursachen in verlorengegangenen Revolutionen und den darauf einsetzenden und noch bestehenden Perioden der Reaktion zu suchen ist. Immerhin hat sich die Zahl der der IAA angeschlossenen Landesorganisationen nicht verringert. Im Mai 1928 sind folgende Länder und Landesorganisationen der IAA angeschlossen: (36)

Argentinien: Federacion Obrera Regional Argentina (FORA)

Belgien: Syndicatefederaliste des Mecaniciens, Syndicats Travailleurs du Batiment et Ameublement et du Bois.

Bolivien : Centro Obrero Libertario.

Brasilien: Federacao Regional Operaria Brasiliera (FORB).

Chile: Industrial Worker of the World (IWW).

Columbia: Sindicato Libertario do Ststres.

Deutschland: FAUD

Ecuador: Grupo Solidaridad de Propaganda y Organizacion Obrer.

Frankreich: CGTSR

Guatemala: Comite pro Accion Sindical.

Holland: Nederlandsch Syndicalistisch Vakverbond (NSV).

Italien: Unione Syndicale Italiana (z.Z. aufgelöst).

Mexiko: Confederacion General de los Trabajadores (CGT).

Norwegen: Norsk Syndikalisk Federation.

Paraguay: Centre Obrero Regional des Paraguay.

Portugal: Confederacao Geral do Trabelho (z.Z. aufgelöst).

Schweden: Sverges Arbetares Centralorganisation (SAC).

Uruguay: Federacion Obrera Regional Uruguay.

Im Oktober 1929 konnte die IAA einen Bestand von 222.800 Mitgliedern aufweisen. (39)

d) Die Gestaltung der revolutionären syndikalistischen Arbeiterbewegung vom Jahre 1925 bis 1929.

Der Ausbau der Organisation der FAUD gemäß den Weisungen der Prinzipienerklärung und der Programmatischen Grundlage war in bezug auf die Industrie- Föderationen vollendet und erstreckt sich teilweise bis auf das internationale Gebiet hinaus. Die Entwicklung der Arbeitsbörsen dagegen zeigte nicht so schnelle Fortschritte. Die Gründung der Föderation der Arbeitsbörsen, die in Erfurt im Juni 1922 erfolgt war, sollte den bestehenden Börsen die Arbeit erleichtern, die Gründung weiterer Börsen anregen und die Organisation der Arbeitsbörsen und deren Zusammenschlüsse in Kreis, Provinz und Land ausbauen. Nachdem der Föderation der Arbeitsbörsen die Lösung dieser Aufgabe gelungen war, machte sich eine Konferenz der Kreis- und Provinzial- Arbeitsbörsen der FAUD notwendig. Diese wurde für den 3. und 4. Oktober 1925 nach Berlin einberufen.

Zweck und Aufgabe dieser Konferenz war es, ein einheitliches Zusammenarbeiten aller Arbeitsbörsen für das ganze Reich in die Wege zu leiten. Nachdem die Arbeitsbörsen in Kreis, Provinz und Land errichtet worden waren, sollte auf die Zusammenarbeit mit den entsprechenden Organisationen der Industrie- Föderationen mehr Wert gelegt werden und diese derart ausgebaut werden, wie es die Zeichnung auf p. 116a dieser Arbeit darstellt. Ein Streit entstand nun auf dieser Konferenz in der Frage der Vermittlung der Unterstützung bei Streiks und Aussperrungen. Die Föderation der Bau- und Metallarbeiter wehrten sich gegen die Entwicklung, die die Regelung der Solidaritätsleistungen allmählich von den Industrie- Föderationen auf die Orts-, Kreis-, und Provinzial- Börsen und auch auf die Geschäftskommission übergehen ließ. Die beiden Föderationen erkannten wohl die Notwendigkeit und die Nützlichkeit einer einheitlichen Regelung an, glaubten aber, da sie sich mit den ihrem Standpunkte zuwiderlaufenden gefaßten Beschlüssen nicht einverstanden erklären konnte, den nächsten Kongreß der FAUD zur endgültigen Regelung dieser Frage abwarten zu müssen.

Dieser Kongreß der FAUD wurde vom 25. bis zum 28. Mai 1927 in Mannheim abgehalten. Seit dem letzten Kongreß der FAUD waren zwei Jahre verflossen, die die syndikalistische Bewegung Deutschlands vor Probleme stellte, die sowohl an die theoretische und taktische Einstellung wie auch an die organisatorische Festigkeit hohe Anforderungen stellten.

Der Volksentscheid zur Enteignung der Fürstenvermögen hatte in den Reihen der Syndikalisten lebhafte Diskussion hervorgerufen. Während der größte Teil für die Beteiligung am Volksentscheid eintrat, wandte sich ein kleiner Teil mit großer Heftigkeit dagegen. Die scharfen Auseinandersetzungen gingen jedoch bald vorüber, so dass der innere Zusammenhalt der Bewegung nicht darunter zu leiden hatte. Die gemeinsame Weltanschauung erwies sich als stärker als die Frage der momentanen Stellungnahme zu einem politischen Problem.

In der Durchführung der Rationalisierung der Industrie erblickten die Syndikalisten ein Wiedererstarken des Kapitalismus. Sie kamen zu diesem Schluß aus der Tatsache, dass die Arbeiterbewegung zu derselben Zeit im allgemeinen stark zurückgedrängt wurde. Naturgemäß hatten unter dieser Zeiterscheinung am stärksten die revolutionären Klassenkämpfer, also auch die Syndikalisten, zu leiden. Denn als die Stillegung und Einschränkung der Betriebe einsetzte, entließen die Unternehmer zuerst die radikalen Elemente. Ebenso stellten sie mit Vorliebe Angehörige der wirtschaftsfriedlichen Organisationen ein. Die dadurch heraufbeschworene Arbeitslosigkeit lastete schwer auf dem Syndikalismus, engte in der Folge die finanzielle Basis der Organisation ein und schwächte ihre Stoßkraft.

Die revolutionäre syndikalistische Bewegung suchte diese Schwierigkeiten dadurch zu überwinden, dass sie ihre Propaganda intensiver gestaltete, Werbewochen veranstaltete, die Zeitung umgestaltete, und anderes mehr. Daneben wurde an dem Ausbau der Organisation gearbeitet, wie es ganz besonders die Konferenz der Kreis- und Provinzial- Arbeitsbörsen in Berlin bewiesen hatte. Die Entscheidung über die von dieser Konferenz offen gelassenen Frage der Regelung der Solidaritätsleistungen bildete die wichtigste Frage auf dem folgenden 16. Kongreß der FAUD. Bereits vor diesem hatten die Metallarbeiter auf einer eigenen Konferenz sich mit der Neuregelung der Streikunterstützung durch die Börsen einverstanden erklärt, sodaß nur von Seiten der Bauarbeiter- Föderation Widerstand zu erwarten war. Aber auch innerhalb der Bauarbeiter war der größte Teil für diese Art der Regelung, und nur ein sehr kleiner Teil einschließlich der alten Föderationsleitung, hinter der nur noch eine Minderheit stand, hielt an ihrem alten Standpunkt fest. Da auf dem Kongreß diese Minderheit nicht zur Geltung kam, konnte mit absoluter Mehrheit gegen wenige Stimmen das neue Streikreglement angenommen werden, nach welchem die Orts-, Kreis- und Bezirksbörsen in Gemeinschaft mit der Geschäftskommission die Solidarität vermitteln sollten.

Neben dieser Programm- Änderung ersetzte der Kongreß die Bezeichnung „Syndikalisten“ in der Prinzipienerklärung der FAUD durch „Anarcho-Syndikalisten“. Dieser Ausdruck sollte die anarchistische Einstellung der syndikalistischen Bewegung zum Ausdruck bringen.

In den großen Problemen, die die Arbeiterbewegung in den letzten Jahren beschäftigte und deren Lösung noch nicht im Sinne des Syndikalismus gelungen war, erkannte der Kongreß die Aufgaben der zukünftigen Arbeit der FAUD. Dazu gehört der Kampf um die Arbeitszeit, um auskömmliche Löhne und um die Existenz der Erwerbslosen. Der Versuch der Zentralgewerkschaften, diese Frage auf dem Wege der Sozialgesetzgebung zu lösen, erschien den Syndikalisten als nicht gelungen.

(aus „die Internationale“ Nr. 10)

Sie sahen in diesem Mißerfolg die Rechtfertigung für ihre Anschauung, nach welcher kürzere Arbeitszeit und auskömmliche Löhne nur durch den direkten Kampf der Arbeiter errungen werden könnten. Die schon auf dem zweiten Internationalen Syndikalistischen Kongreß zu Amsterdam zur Parole erhobene Forderung nachdem Sechs- Stundentag in Deutschland populär zu machen, hielt der Kongreß für die nächstliegende Aufgabe der FAUD. Durch die Einführung des Sechs- Stundentages hoffen die Syndikalisten auch das Problem der Arbeitslosigkeit, das innerhalb des kapitalistischen Wirtschafts- Systems niemals ganz ausgeschlossen werden kann, wenn auch nicht zu lösen, so doch in seiner Bedeutung herabzumindern und dadurch die Existenz der Erwerbslosen auf eine sichere Grundlage zu stellen.

Im folgenden Jahr entstand eine innerorganisatorische Unstimmigkeit innerhalb der FAUD, die eine Abänderung eines Teils der „Programmatischen Grundlage“ zur Folge hatte. Es handelt sich um die Frage der Abberufbarkeit von Funktionären der Gesamt- FAUD durch ihren Ortsverein. Zur grundsätzlichen Frage berief die Geschäftskommission für die Tage vom 6. bis zum 8. April 1928 einen außerordentlichen Kongreß nach Leipzig ein. Dieser Kongreß musste zugeben, dass die Geschäftskommission in einem praktischen Falle die Programmatische Grundlage nicht beachtet habe. Er billigte jedoch die Gründe, mit denen sie ihr Verhalten entschuldigte und änderte den betreffenden Absatz der Programmatischen Grundlage folgendermaßen um: „Jeder Wahlkörper, der Funktionäre der FAUD wählt, hat jederzeit das Recht, die von ihm gewählten Funktionäre zurückzuziehen und Neuwahlen vorzunehmen“. Nach diesem Beschluß kann also allein der Kongreß die von ihm gewählten Funktionäre abgerufen, während bisher auch die Organisation, der der Funktionäre als Mitglied angehörte, dazu berechtigt war; über jeden Funktionäre entscheidet nur sein Wahlkörper.

e) Abschließende Betrachtungen.

Bei der Frage nach den Gründen der Entwicklung bis 1929 werden von verschiedenen Seiten verschiedene Ansichten vertreten. Die einen sehen den Rückgang der Bewegung als eine Folge der reaktionären Zeitepoche an, die anderen suchen die Ursache in Fehlern und Versäumnissen. Wieder andere behaupten, dass die syndikalistischen Ideen nicht tief und umfassend genug in die Massen eingedrungen sind, um auf die Dauer ihre Anhängerschaft sicher zu stellen, während solche Richtungen eine größere Gefolgschaft unter den Arbeitern gewinnen konnten, die sich einzig und allein mit Gegenwartsfragen befassen.

Es wird richtig sein, wenn man nicht nur einen dieser Gründe als die wahre Ursache des Rückganges der revolutionären syndikalistischen Bewegung gelten lässt, sondern alle insgesamt als die bewegende Kraft ansieht.

Zu Zeiten revolutionärer Gärung war es immer so, dass die revolutionären und auch die reformistischen Arbeiterverbände an Mitgliedern gewannen. Die Masse war in Bereitschaft, für ihre Hoffnungen und Ideale zu kämpfen. Die Gegenwartsaufgaben waren derart in den Vordergrund getreten, dass alles Persönliche zurückgedrängt wurde. Mit dem Ausklingen der verlorenen Revolution nahmen aber beide Verbände an Zahl wieder ab. Viele Arbeiter sahen sich in ihren Hoffnungen getäuscht und wandten sich ab. Andere blieben wohl der Bewegung treu, aber sie waren untätig und richteten nun ihre Kritik gegen ihre Organisation. Jetzt beginnen die Zeiten innerer Krisen. Gegenwärtig haben sich die reformistischen Organisationen schon langsam erholt und die Zahlen der Vorkriegszeit überschritten. Auch für die revolutionären Syndikalisten trifft dies zu. Im Vergleich mit der Vorkriegszeit kann also nicht von einem numerischen Niedergang der Bewegung gesprochen werden. Es ist also richtig, jene Zeiterscheinung, die oben beschrieben wurde, als eine zwar tiefere, nicht aber als die alleinige Ursache des Stillstandes anzusprechen.

Ebenso bestehen verschiedene Ansichten über die Möglichkeit, aus der gegenwärtigen Stagnation wieder herauszukommen. Die einen suchen nach neuen Gedankengängen, die anderen nach neuen organisatorischen Formen, wieder andere nach neuen Wegen, alle mit dem Ziele, die Bewegung wieder in die Höhe zu bringen. Zur Belebung dieser Arbeiterbewegung ist es auf jeden Fall unrichtig, eine neue Organisationsform oder einen neuen Inhalt der syndikalistischen Bewegung ausfindig zu machen. Notwendig ist, Mittel und Wege zu finden, um die verlorenen Massen der FAUD wieder zuzuführen. Dazu kann besonders die Einstellung der Tätigkeit auf gegenwärtige Aufgaben, wie Erhöhung der Löhne, Verkürzung der Arbeitszeit, Verbesserung der Arbeitsbedingungen usw. dienen. Allerdings ist die Voraussetzung eines solchen selbstgeführten, erfolgreichen Kampfes wiederum die Masse. Die größte Schwierigkeit liegt also in der Gewinnung neuer Mitglieder. Das ist die nächstliegende Aufgabe der revolutionären syndikalistischen Arbeiterbewegung in Deutschland. (Diese Darstellung schließt mit dem Jahre 1929 ab.)

Schluss.

Definition, Kritik und Bedeutung der revolutionären syndikalistischen Arbeiterbewegung. (gekürzt.)

Es soll nun versucht werden, die revolutionäre syndikalistische Arbeiterbewegung zu definieren. Man hätte eine solche Definition in der Einleitung schon der Arbeit vorausschicken können. Es wurde jedoch nicht getan, um nicht den Eindruck zu erwecken, als ginge diese Bewegung von einer bei ihrer Entstehung feststehenden Theorie aus oder münde sie in eine jetzt festgelegte Theorie ein. Es wurde unterlassen, um das Ergebnis der Entwicklung bis zur Gegenwart nicht vorwegzunehmen und um anhand der geschilderten Entwicklung erkennen zu lassen, dass die revolutionäre syndikalistische Bewegung auch heute noch nicht notwendig zu einem Abschluß in der Entwicklung ihrer theoretischen Gedankengänge gelangt zu sein braucht.

Aus den vorstehend geschilderten Abschnitten ergibt sich, dass der revolutionäre Syndikalismus eine auf der Grundlage der Arbeitergewerkschaften beruhende antiautoritäre, sozial-revolutionäre Bewegung ist. Sozial gesehen, ist er entstanden als Reaktion gegen den Politismus und den Intellektualismus aus der Entwicklung der Arbeitervereine heraus. Ideengeschichtlich ist der ein Versuch zur Vereinigung verschiedenen Elemente.

Die Kritik des revolutionären Syndikalismus an der gegenwärtigen kulturellen Struktur die Gesellschaft zeigt sich in aus einer Abneigung gegen den Staat als solchen und gegen das Vaterland, die schon an anderer Stelle ausführlich gehandelt wurde. Weiterhin richtet der revolutionäre Syndikalismus seine Kritik gegen die heutige politische Struktur der Gesellschaft. Er wendet sich gegen die Demokratie und den autoritären Sozialismus, die auf der einen Seite die Herrschaft der Anonymität, der Verantwortungslosigkeit, auf der anderen Seite aber eine bei einem zentralistisch aufgebauten Gebilde, wie es der Staat ist, nicht zu vermeidende Oligarchie bedeuten.

Ebenso wie den Staat und die Demokratie lehnt der revolutionäre Syndikalismus auch alle staatlichen und demokratischen Einrichtungen ab: jegliche Staatsform, den Parlamentarismus, die innere Politik, weil sie die Klassenannäherung bezweckt, und die äußere Politik, weil sie militaristisch und imperialistisch ist. Damit ist jedoch der revolutionäre Syndikalismus nicht rein pazifistisch eingestellt; denn er schätzt die Gewalt als Mittel im Klassenkampf.

Bei dieser Gelegenheit wendet sich der Syndikalismus auch gegen die herrschenden Richtungen in der sozialistischen Bewegung. Den Ausgangspunkt seiner Kritik gegen die Sozialdemokratie bildet die Verbürgerlichung des Sozialismus durch die Ablenkung in der Richtung einer parlamentarischen Tätigkeit, deren Konsequenz der Reformismus sein muß. Dann bekämpft er den Parteikommunismus, dessen zentraler Aufbau und dessen Forderung der Diktatur des Proletariats dem von ihm zum Organisationsprinzip erhobenen Föderalismus widerspricht.

Das Ziel des revolutionären Syndikalismus ist die Errichtung freier Produktions- Gemeinschaften mit höchst entwickelter Technik und qualifizierter, individualisierter und künstlerischer Arbeit. Die verschiedenen Arbeitsgemeinschaften bilden regionale und internationale Verbände, deren Satzungen das neue Recht und deren inneres Leben die neue Kultur bestimmen werden. Der Staat als Regierungsform hat ausgelebt. Er wird ersetzt durch die Arbeitsgemeinschaften und Verbände. Auch wird kein Privateigentum an Produktionsmitteln und Rohstoffen mehr bestehen.

Dieses Ziel soll auf dem Wege der revolutionären Tat erreicht werden. Zu diesem Zweck soll das Proletariat durch die Beschränkung des proletarischen Lebens auf die Arbeitsbörsen, die des Arbeiters Heimat und Wirkungskreis sein wollen, von dem Bürgertum isoliert werden und innerhalb der Börsen die wirtschaftliche und psychische Erziehung der Mitglieder zur offensiven Tat, der direkten Aktion und für die zukünftige Gesellschaft, vorgenommen werden.

Eine Grundvoraussetzung für das Gelingen der sozialen Revolution ist die Einheit der proletarischen Klasse. Daß diese heute noch nicht erreicht ist, geben die Syndikalisten zu. Zu bedenken ist, dass es nicht genügt, die Arbeiterschaft eines Landes für dieses Ziel zu gewinnen. Das Proletariat der ganzen Welt müsste zu derselben Fahne schwören und noch dazu eine überwältigende Übermacht bilden.

Das Mittel dieses Ziel zu erreichen, sehen die Syndikalisten in der Verbundenheit aller Arbeiter durch ihre ökonomischen Interessen. Zugleich arbeiten sie an der sittlichen Erneuerung des Proletariats, deren Zweck es ist, die Arbeiter für die zukünftige Gesellschaft reif zu machen. Die Erziehung des Proletariats für die gegenwärtigen und zukünftigen Aufgaben soll in den Syndikaten und Arbeitsbörsen erfolgen.

Innerhalb der sozialistischen Bewegung liegt die Bedeutung des revolutionären Syndikalismus in dem Kampfe gegen den im Reformismus erstarrten Sozialismus und gegen den Kommunismus. Von allen sozialen Bewegungen ist die revolutionär-syndikalistische die einzige, die auf die Gefahren des autoritativen Systems hinweist. Es ist nicht ausgeschossen, dass die zentralistische Organisationsform es gerade ist, die der internationalen Einigkeit der Arbeiterschaft auf Deuter im Wege steht. Die beiden charakteristischen Auswirkungen des Zentralismus, der Streit zwischen Führern und Geführten und die Bürokratisierung des gesamten Lebens einer Bewegung, sucht der revolutionäre Syndikalismus durch das föderalistische Organisationsprinzip zu vermeiden. Er will damit zugleich auch jenes Problem lösen, das durch die Konzentration und Rationalisierung der Wirtschaft entstanden ist: die Frage der Vermeidung der geisttötenden Arbeit und der Herabwürdigung der Persönlichkeit, die Folgen des auf Differenzierung und Integrierung der einzelnen Arbeitsleistungen aufgebauten Systems der Arbeit sind.

Wenn der revolutionäre Syndikalismus auch noch nicht so weit entwickelt ist, dass er die bestehenden sozialistischen Lehren zu ersetzen in der Lage ist, so ist es ihm jedoch gelungen, neue Werte zu schaffen und die Ideenwelt der Arbeiterschaft mit neuem Inhalt zu erfüllen. Das ist es, worauf es zunächst ankommt. Die Arbeit des revolutionären Syndikalismus ist aber noch nicht abgeschlossen. Die innerhalb des revolutionären Syndikalismus bestehenden verschiedenen Anschauungen, die in steter Diskussion zum Ausgleich zu kommen suchen, beweisen, dass der revolutionäre Syndikalismus noch nicht am Ende seiner Entwicklung angelangt ist. Es wird sich in der Zukunft zeigen, ob und in wieweit er imstande ist, die Aufgaben, die ihm zufallen, zu erfüllen und die Ziele, die er sich gesteckt hat, zu erreichen.



(1) Es bestanden nach einer in dem Gewerkschaftsblatt „Der Pionier“ 1878 veröffentlichten Statistik 26 Zentralvereine gegenüber nur 5 Lokalvereinen. Zit. Saurma- Jeltsch, „Der Syndikalismus in Frankreich und...“, S. 41.

(2) Saurma- Jeltsch: „Der Syndikalismus in Frankreich...“, S. 42.

(3) Nestriepke: „Die deutschen Gewerkschaften...“, S. 117.

(4) „Der Syndikalist“, Jahrgang I, 20.

(5) „Der Syndikalist“, Jahrgang III, 34.

(6) „Der Syndikalist“, Jahrgang III, 34.

(7) Ernst Drahn gibt im Handwörterbuch der Staatswissenschaften in seinem Artikel über den Syndikalismus für Ende 1911 den Mitgliederbestand mit 7.833 an, S. 1189. Vergl. R. Michels: „Le Syndicalisme...“, S. 27.

(8) L. Brentano : s.o., S. 24.

(9) “Der Syndikalist”, Jahrgang III, 35.

(10) „Der Syndikalist“, Jahrgang III, 36.

(11) Richard Kralik: Geschichte des Sozialismus der neusten Zeit“, S. 365.

(12) „Die Einigkeit“, Jahrgang XVII, 31.

(13) Karl Diehl: „Über Sozialismus,...“, S. 401.

(14) „Der Syndikalist“, Jahrgang III. 4.“Der Syndikalist“, Jahrgang I. 37.

(15) „Der Syndikalist“, Jahrgang II, 37.

(16) Rudolf Rocker: „Die Prinzipienerklärung...“, S. 3

(17) Rudolf Rocker: „Über das Wesen des Föderalismus im Gegensatz zum Zentralismus“, S. 12.

(18) Rudolf Rocker: „Die Prinzipienerklärung...“, S. 5. Vgl. auch: Fritz Oerter: „Was wollen die Syndikalisten ?“, S. 4.: „Wir Syndikalisten lehnen es ab, irgendwelche wirtschaftlichen oder politischen Bedrückungsinstitutionen dadurch anzuerkennen, indem wir uns daran beteiligen.“

(19) Frietz Oerter: „Was wollen die Syndikalisten ?“, S. 12: „Programmatische Grundlage der FAUD“.“.

(20) Fritz Oerter: „Was wollen die Syndikalisten ?“, S. 10.

(21) „Der Syndikalist“, Jahrgang II, 2.

(22) Veröffentlicht in der „Einigkeit“, Jahrgang XVII, 41.

(23) „Der Syndikalist“, Jahrgang III, 8: „Erklärung der Internationalen Syndikalistischen Konferenz vom 16. bis zum 21. Dezember in Berlin“: „1. Die revolutionäre Gewerkschafts- Internationale (RGI) stellt sich ohne jeden Vorbehalt auf den Standpunkt des revolutionären Klassenkampfes und der Macht der Arbeiterklasse. 2. Die RGI erstrebt die Vernichtung und Abwehr der wirtschaftlichen, politischen und geistigen Herrschaft des kapitalistischen Systems und des Staates. Sie erstrebt die Gründung einer freien kommunistischen Gesellschaft. 3. Die Konferenz stellt fest, dass die Arbeiterklasse die wirtschaftliche, politische und geistige Sklaverei des Kapitalismus nur zu vernichten imstande ist durch die schärfste Anwendung ihrer wirtschaftlichen Machtmittel, die ihren Ausdruck finden in der revolutionären Aktion der Arbeiterklasse zur Erreichung dieses Zieles. 4. Die RGI stellt sich ferner auf den Standpunkt, dass Aufbau und Regelung der Produktion und Verteilung die Aufgabe der wirtschaftlichen Organisation jedes Landes ist. 5. Die RGI ist vollkommen selbständig und unabhängig von jeder politischen Partei. Falls die RGI sich zu einer Aktion entschlossen hat, und politische Parteien oder andere Organisationen sich damit einverstanden erklären oder umgekehrt, kann die Ausführung dieser Aktion mit diesen Parteien und Organisationen gemeinschaftlich geschehen. 6. Die Konferenz ladet alle revolutionär- syndikalistischen Organisationen dringend ein zu dem von vorläufigen Rat der RGI zum 1. Mai 1921 einberufenen Kongreß, um dort eine einträchtige revolutionäre Gewerkschafts- Internationale aller revolutionären Arbeiter der Welt zu gründen.

(24) „Der Syndikalist“, Jahrgang III, 11.

(25) Die Zahlenangaben stemmen aus der Bekanntmachung der Geschäftskommission betr. Urabstimmung, „Der Syndikalist“, Jahrgang III, 26.

(26) Veröffentlicht in „Der Syndikalist“, Jahrgang III, 41, auch als Anhang der „Prinzipienerklärung“.

(27) Die Gesamtzahl der Gewerkschaften betrug auf dem 14. Reichskongreß der FAUD von 1922: 502. „Der Syndikalist“, Jahrgang IV, 47.

(28) Der Aufbau der Arbeitsbörsen wurde bereits weiter oben in dieser Arbeit behandelt.

(29) Veröffentlicht in „Der Syndikalist“, Jahrgang IV, 51.

(30) Veröffentlicht in „Der Syndikalist“, IV, 51.

(31) Karl Diehl: „Über Sozialismus...“, gibt diese Zahl mit 160.000 – 180.000 an (S. 401), während das Handwörterbuch der Staatswissenschaften 168.700 Mitglieder vermerkt.

(32) Aus dem Handwörterbuch der Staatswissenschaften, S. 1190.

(33) Aus dem „Bericht der FAUD für den 2. Kongreß der IAA“ in der Zeitschrift „Die Internationale“ (IAA), Jahrgang II, 5.

(34) Augustin Souchy: „Betriebsräte“, S. 17.

(35) Aus dem Protokoll des dritten Kongresses der IAA, „Die Internationale“ ((FAUD), Jahrgang I, 11.

(36) Laut Bericht „Die Internationale“, Jahrgang I, 10.

(37) Diese Angabe vom Sekretariat der IAA.

Seit_2007

 

Since 2007