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WIDER DIE APOSTEL DER ANARCHIE
ein Jesuit erklärt die Folgen der
Demokratie
Mit
dem Titel "Wie haben würdige Seelsorger dem einreissenden Geist der Freyheit,
und den Aposteln der Anarchie entgegenzuwirken?" erschien "mit Erlaubnis der
Obern" 1793 in Augsburg eine kleine, aber bemerkenswerte Schrift (1).
Der Autor - Joseph Anton Weissenbach (15.10.1734 - 11.04.1801) - seines Zeichens
Chorherr am Verena-Stift zu Zurzach und ehemaliger Jesuit (2), geht darin mit
der Französischen Revolution und ihren Auswirkungen zu Gericht. "Welch ein
Zustand eines Reichs, wo jedem alles angeht!" - ist dabei seine treibende
Schreckensvorstellung. Die Schrift soll folglich dazu dienen "zu einer Zeit, da
alles nach mehrerer Freyheit lüstern wird ... die leichtesten Mittel zu finden,
durch welche unsere Pfarrherrn die ihrigen davor bewahren, und bey Treue gegen
alle die, so Gottesstelle vertreten, erhalten können". Denn ansonsten würden
gottlose Zustände blühen: "oder wollen wir etwa, wie der heilige Augustinus
fraget, ... eine so ausschweifende Freyheit, daß sie nicht einmal Gott selbst
mehr zum Herrn haben?... Tolleres könnte nimmer ersonnen werden." Um die derart
eingeschüchterten Leser zu ermutigen, fügt Weissenbach hinzu: "Es sind aber noch
andere schöne Ausdrücke, die wir über die Freyheit bey den Kirchenvätern lesen."
Gewidmet hat Weissenbach seine Schrift dem Staat und der Religion - "Pro deo, et
Patria" - Für Gott und Vaterland. In drei Kapiteln und einem ausführlichen
Anhang rechnet Weissenbach mit den demokratischen Bestrebungen seiner Zeit ab,
wobei der Geist der Aufklärung, der Einfluss der Französischen Revolution,
Freimaurer - und sogar geheimnisvolle Spezies wie "Abgesandte des Blubbs"
gleichermassen in Grund und Boden gestampft werden. Dabei muss man, wie
Weissenbach in dem Vorwort zugibt "keine tiefsinnige, weithergeholte
Betrachtungen erwarten". Dennoch sind sie interessant - so in Bezug auf die
Demokratie, die seiner Auffassung zufolge nicht möglich ist: "Man hat in
verschiedenen Staaten verschiedene Regierungsformen mit verschiedenem Erfolge
eingeführet. Nur weiß man keine Demokratie in einem großen Staate; denn bey der
Vervielfältigung der Glieder, die an öffentlichen Geschäften Antheil nehmen, ist
wegen dem Eigensinn, dem Muthwillen, der Unbeständigkeit des Pöbels kaum
möglich, daß diese Forme nicht ganz in Anarchie ausarte, in welcher jeder bald
thut, bald läßt, was ihm, auch zum offenbaren Schaden des gemeinen Besten,
entweder angenehmer, oder vortheilhafter scheinen mag."
Die Anarchie sieht Weissenbach eben auf Jesuitenart - nicht als geordnete
Gesellschaft ohne Regierung - sondern als blankes Chaos:
"Die Anarchie dann ist gar keine Regierungsforme; weil sie jede Regierung ganz
wegwirft, keine Gesetze anerkennet, oder beobachtet; hiermit nicht nur keinen
Vortheil, sondern auch alle Mängel der übrigen Staaten hat. Nach ihrem Plane
(wie wirklich in Frankreich geschieht) hat jeder zu befehlen, keiner zu
gehorsamen, als vielleicht der, welcher sonst allein befehlen sollte. Hiemit ist
eine so ungebundene Freyheit vielmehr Sklaverey zu nennen. ... Aus der
Verwirrung, welche die Anarchie in wenigen Monaten angerichtet hat, läßt sich
bald abnehmen, was sie in vielen Jahren für ein Unwesen stiften würde."
Nun, die Demokratie hat es bis heute geschafft sich zur bedeutendsten
staatlichen Organisationsform zu entwickeln. Und gerade in Mitteleuropa, wo sie
am nachhaltigsten Einzug gehalten hat, wird man nicht müde "die beste aller
schlechten Gesellschaftsordnungen" zu preisen. Mit Recht - im Vergleich zu einer
absolutistischen Vergangenheit. Zu Unrecht - im Hinblick auf die weitere
gesellschaftliche Entwicklung.
Wenn auch der "offenbare Schaden des gemeinen Besten" nicht in den Bereichen
liegt, die Weissenbach vorgaukeln, sondern in denen, die er verteidigt, so ist
tatsächlich eine vollkommene Demokratie bis heute nicht umgesetzt worden. Erst
Recht machte sie keiner Anarchie Platz. Alle demokratischen Staatsformen blieben
lediglich Annäherungen an das ursprüngliche Ideal. Die Demokratie steht damit
nicht allein da - ein jedes Ideal bleibt eine Annäherung an sich selbst. Der
Wille sich einer Vervollkommnung anzunähern ist dabei ausschlaggebend. Wer nur
dazu in der Lage ist, die absolute Vollkommenheit der Gesellschaft zu vermissen,
hat das Wesentliche nicht begriffen. Auch für eine anarchistische Gesellschaft
gilt: je mehr eine Annäherung an das Ideal angestrebt wird, umso besser wird das
Ergebnis sein. Nicht wer die Schlacht gewinnt wird letztendlich siegen, sondern
wer die Motivation behält.
Der fromme Prediger sah seinerzeit in den "Aposteln der Anarchie" eine so
ernsthafte Bedrohung, dass er sich nicht scheute zu "heidnischen Weisen"
zurückzugreifen, um den Christenmenschen die Schädlichkeit der "schönen Freyheit"
vorzuführen. Ausgewählte Stellen aus griechischen und römischen
Geschichtsschreibern und Philosophen runden diese Schrift des erschrockenen
Kirchenmannes ab. Im Anhang findet sich zudem ein Verzeichnis
revolutionsfeindlicher Schriften, die Weissman für ein weiteres Studium seines
Anliegens empfohlen hat. Als Ergänzung erschien gesondert eine kurze Abhandlung
über "Vortheilhafte Fragen die ein Pfarrer über Freyheit und Anarchie stellen
kann".
Dabei gibt Weissenbach in seinen Schriften freimütig zu: "Die Verbreiter der
schönen Freyheit, die Apostel der Anarchie werden ihnen nichts abgewinnen."
Nun, nach über 200 Jahren, lässt sich ihnen schon etwas abgewinnen. Der Lauf der
Dinge hat sein Urteil über sie gesprochen - gleich einem alten Sprichwort:
"Diejenigen die sagen 'es geht nicht', stören meist jene, die es gerade tun." An
der Einstellung der Reaktionäre hat sich bis heute wenig geändert. Es gibt sie
noch - die "Reaktion aus Prinzip". Gleichermassen bleibt die Freiheit ein
grosses Ideal - wenn auch die militärische Niederlage der spanischen
Anarcho-Syndikalisten 1939 den letzten bedeutenden Versuch der Annäherung an sie
beendete.
Und wenn man heute "von keiner Anarchie in einem großen Staate mehr weiß", gilt
es nach wie vor sich der Freiheit anzunähern - gleichviel Weintrinker auch vom
reinen Wasser predigen mögen.
Valentin Tschepego, Februar 2010
mit besonderem Dank an meinen Genossen Marcel F., welchem ich die
Bekanntschaft mit dem besprochenen Buch verdanke.
Fussnoten:
(1) 1794 erschien bereits eine weitere Auflage
(2) der Jesuiten-Orden war zwischen 1773 und 1814 aufgrund eines päpstlichen
Beschlusses aufgelöst
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