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Wir wollen siegen – und wir werden siegen!

Errico Malatesta ist einer der Genossen der anarchistischen Bewegung, welcher auch heute noch, 77 Jahre nach seinem Tod, zu den bekanntesten Menschen dieser revolutionären und freiheitlichen Bewegung gehört. Auch in Deutschland finden sich Titel seiner Schriften auf den aktuellen Büchertischen. Seine Gedanken und Überlegungen über Anarchismus, Gesellschaft und Revolution sind noch heute präsent, und manche seiner Bücher wurden sogar als Raubdrucke neu aufgelegt, um den Verkaufspreis niedrig zu halten und eine größere Verbreitung seiner Schriften zu ermöglichen. Dabei war Malatesta, in späteren Jahren Mitbegründer und Redakteur der heute noch erscheinenden anarchistischen italienischsprachigen Wochenzeitung Umanita Nova, keinesfalls nur ein anarchistischer Theoretiker. Malatesta war ein aktiv handelnder anarchistischer Revolutionär, der an zahllosen Aufständen und Aufstandsversuchen teilnahm, und dem eine Beliebtheit und Sympathie entgegengebracht wurde, die revolutionäre- und Arbeiterkreise weit übertraf. Dass es über ihn eine Biographie aus der Feder des Historikers der anarchistischen Bewegung, Max Nettlau, gibt, überrascht daher nicht. Diese 1922 erschiene Darstellung „Errico Malatesta. Das Leben eines Anarchisten“ war Malatesta allerdings selber nicht wichtig. Denn dieser reagierte auf die zahlreichen Anfragen aus der Bewegung nach einer Autobiographie permanent ablehnend. Nicht er, der Mensch Errico Malatesta sei wichtig. Wichtig sei die Idee des Anarchismus, welcher er sein Leben gewidmet habe. Über die Idee, ihre Geschichte und den Kampf für sie solle berichtet werden.

Diese Ablehnung des „Im Mittelpunkt stehen“ entsprach der sprichwörtlichen Bescheidenheit Malatestas, mit der er durch sein gesamtes Leben ging. Bis die faschistische Herrschaft dem ein Ende machte, lebte er vom Verkauf seiner Arbeitskraft und schlug Angebote der finanziellen Unterstützung aus, die ihm ansonsten eine noch größere Aktivität ermöglicht hätten. Im Jahre 1913, nachdem Genossen ihm Anboten, seinen Lebensunterhalt zu bestreiten, damit er sich nur der Sache widmen könne, machte er unmissverständlich klar, dass er sich „wo immer das geschieht, gegen diese Pest der bezahlten und ständigen Sekretäre, der Berufsorganisationen usw. stelle“. „Geldfragen und Krämergeist“, so Malatesta, mache er „hinter fast allen Spaltungen in unserem Lager“ aus. „Die größte die Arbeiterbewegung und ein wenig sogar die anarchistische Bewegung bedrohende Gefahr geht von der Neigung der Leaders aus, die Propaganda und Organisation als Beruf aufzufassen.“

Dass wir nun diese Ablehnung bezahlter Funktionäre mit seinen eigenen Worten lesen können, liegt in der Herausgabe und Veröffentlichung des bei Edition Nautilus erschienen Buches „Errico Malatesta – Ungeschriebene Autobiografie“ begründet. Geschrieben und Zusammengestellt von Piero Brunello und Pietro Di Paola, und aus dem italienischen ins Deutsche übersetzt von Egon Günther, beinhaltet es zahlreiche Briefe und Artikel Malatestas, aus denen sich seine Biographie stückweise rekonstruieren lies und somit einer Autobiografie sehr nahe kommt.

Das Buch

Vorangestellt findet sich eine Einleitung von Piero Brunello, welche den Revolutionär und Menschen Malatesta beschreibt und die vielen verschiedenen Stationen, Städte und Länder seines Kampfes und seine nächsten FreundInnen und GenossInnen lebendig vorstellt.

Daraufhin folgt die Darstellung Malatestas nahezu 20-jähriger Londoner Exil-Zeit von Pietro Di Paola; über seine Begegnungen und Diskussionen mit Kropotkin, Rocker und anderen anarchistischen Revolutionären und geschmückt von den persönlichen Beschreibungen dieser Genossen und der anarchistischen Bewegung durch Malatesta. Auch der Spott darf nicht fehlen; so z.B. dann, wenn es um die Darstellung der Londoner Polizei geht.

Diesen beiden gelungenen und gut zu lesenden Einführungen schließt sich in chronologischer Reihenfolge der Lebensweg Malatestas in der Wiedergabe von ihm verfasster Briefe an Freunde sowie Artikel für anarchistische und andere Zeitungen an. Die meisten dieser Beiträge sind detailliert, zeigen auch den Alltag des Menschen. Besonders dann, wenn er an Freunde schreibt und diesen über seinen oftmals angegriffenen Gesundheitszustand oder Schwierigkeiten von Freunden und Genossen berichtet.

Alle diese Kapitel - beginnend 1853 mit einem Kommentar über seine Kindheit und den Zwang zur Beichte geschickt zu werden, bis zu seinem Lebensende 1932 in Rom unter Hausarrest und schärfster Isolation durch die Faschisten - werden einleitend kurz und prägnant zusammengefasst. Der Lesende erfährt so das Wesentliche, um das es im jeweiligen Abschnitt geht. Im Anschluss an die Original-Berichte finden sich weiterführende Anmerkungen, die Sachverhalte in den Gesamt-Zusammenhang stellen, Genossen und Freunde vorstellen und das geschriebene so für den Lesenden verständlicher machen. Die im Buch abgebildeten Porträts Malatestas folgen ebenfalls der zeitlichen Chronologie.

Einzelne Zeitabschnitte aus diesem bewegten und permanent vom Staat und seinen Organen verfolgten Leben herauszuheben, ist schwierig. Denn Malatesta wirkte an jedem Ort für die Revolution und die anarchistische Idee. Wer die Zeilen Malatestas liest, spürt eine Klar- und Einfachheit der Sprache, eine Präzision der Analyse und eine Stärke des Willens, die keine Zweifel offen lässt und auch einen gesunden Humor offenbart. Sei es bei der ersten Begegnung mit Bakunin, beim Kongress von Saint Imier, bei der Gründung der Sektion der Internationalen Arbeiter Assoziation in Neapel, bei verschiedenen bewaffneten Aufständen – die ihn schließlich bis nach Ägypten führen oder bei den Brotunruhen in Ancona: Überall gibt er alles in seiner Macht stehende für den Sieg der Arbeiterklasse über das kapitalistische System. Er kritisiert Lenin und die Sowjetunion, bezeichnet sie zutreffend als „tyrannisch“ und geht aufs Schärfste ins Gericht mit denjenigen Anarchisten, die die Sowjetunion verteidigen. Stattdessen verlangt er die Freilassung der in der Sowjetunion eingekerkerten Anarchisten und die uneingeschränkte Freiheit für anarchistische Propaganda. Er kritisiert nachhaltig die Individual-Anarchisten, führt Polemiken mit ihnen über die Ausrichtung von Umanita Nova, und er muss sich mit erfundenen Spitzel-Vorwürfen gegen ihn und seine Lebensgefährtin und Genossin Elena Melli herumschlagen.

Sehr interessant sind seine Aufzeichnungen über die revolutionären Erhebungen im Sommer 1920. In verschiedenen Städten Italiens kommt es zu Betriebsbesetzungen durch die Arbeiter. Malatesta spricht auf diesen Versammlungen, manchmal mehrmals täglich in verschiedenen Städten. Er macht ihnen klar, dass die Revolution noch nie so greifbar war wie jetzt und warnt vor falschen Schritten, um den Sieg zu ermöglichen. „Wenn ihr die Fabriken verlasst, die ihr heute den Fabrikherren genommen habt, werdet ihr sie morgen als Sklaven wieder betreten.“ Und: „Bis zum letzten Augenblick, da es noch möglich war, frei zu sprechen und sich zu bewegen … habe ich unentwegt zur direkten Aktion angetrieben.“ Doch die Sozialisten und sozialpartnerschaftlichen Gewerkschaften schaffen es, die revolutionäre Entwicklung zu bremsen und schließlich zum Erliegen zu bringen. Die Antwort ist nun die Konterrevolution. Der „Marsch auf Rom“ der Faschisten, an dessen Ende die Machtergreifung Mussolinis und der faschistische Terror stehen. Über diesen letzten Zeitabschnitt im Leben Malatestas, gibt das Buch ausführlich Bericht.

Wir müssen lesen, wie die faschistische Polizei Malatesta komplett isoliert. Seinen Besuch schikaniert, in die Verbannung schickt, alle Post zensiert, ihn permanent von sechs Beamten überwachen lässt und Mussolini großspurig und verlogen verkündet dass er doch „frei sei, und hingehen könne wo immer er will“. Malatesta wird zur Untätigkeit verdammt, während die Faschisten weniger prominente Genossen ermorden und zahlreiche Massenverhaftungen bei Hunderten von Anarchisten durchführen. Die Druckerei der Umanita Nova wird verwüstet, die Druckmaschinen zerstört. An Stelle der anarchistischen Zeitung zieht nun ein faschistischer Sturmtrupp in das Gebäude. Malatestas Gesundheitszustand verschlechtert sich zunehmend. Sauerstoffflaschen halten ihn mehr schlecht als Recht am Leben. Und am 22. Juli 1932 stirbt er in Rom. Die Faschisten verhindern, dass Freunde und Genossen an dem Trauerzug und der Beerdigung teilnehmen können. Wir erfahren, was mit seiner langjährigen Lebensgefährtin und ihrer Tochter geschieht. Das Buch schließt mit der detaillierten Orts-Angabe von Errico Malatestas Grab auf dem Verano-Friedhof in Rom in einem Brief von Elena an einen Genossen. Sie bittet ihn darin, sie nach ihrem Tod im selben Grab beizusetzen.

Im Anhang finden sich abschließend über 200 detaillierte Anmerkungen und Erläuterungen zu Personen und Zeiten aus dem Buch. Was diesem aber leider fehlt, ist ein Namens- und Ortsindex. Denn dadurch würde es auch als wichtiges Nachschlagewerk dienen können. Leider sind auch nicht alle Stationen seines bewegten Lebens aufgeführt. So fehlt eine Information darüber, dass er um 1880 im rumänischen Brăila lebte und sich dort an den Anfängen der anarchistischen Bewegung beteiligte.

Kritisch anzumerken ist auch das Zitat des Filmemachers Peter Lilienthal auf der Rückseite des Buches. In diesem bezeichnet er die „Gedanken Malatestas“ als „pazifistisch“. Ein Umstand, der faktisch nicht zutrifft, der sich aber in den letzten Jahren einer großen Beliebtheit bei manchen AnarchistInnen erfreut, die alles und jenes als pazifistisch bezeichnen und damit wohl einem inneren Zwang folgen. Warum dies so ist, muss der Spekulation überlassen werden. Vielleicht nehmen sie an, mit dem Etikett „Pazifismus“ eine Art Gütesiegel des Anarchismus zu verteilen. Auch der letzte Mittelschichts-Bürger soll noch gnädig mit dem Kopf nicken können, wenn er das Wort Anarchismus hört. Doch der Pazifismus war im Anarchismus immer nur eine Strömung unter anderen und in allen revolutionären Kämpfen nachrangig. Zwar war Malatesta ein entschiedener Gegner der „Propaganda der Tat“, doch Gewalt lehnte er nicht ab. Seine Beteiligung an zahlreichen bewaffneten Aufständen belegt das auch in der Praxis. Kurz vor der faschistischen Herrschaft rief er zum nachhaltigen Widerstand auf. „Bis zu letzt sagte ich: handelt, leistet Widerstand, setzt Gewalt gegen Gewalt oder morgen wird es dazu viel zu spät sein.“ (S.151)

Neben dieser Kritik kann ich das Buch wärmsten Herzens all jenen empfehlen, die sich für die Geschichte der internationalen anarchistischen Bewegung und eines ihrer bekanntesten Protagonisten interessieren. Es vermittelt Anregungen, Erfahrungen und ist auch für die heutige Zeit in vielen Punkten lehrreich. In der Klarheit und Geradlinigkeit solcher Genossen wie Malatesta liegt ein Schlüssel für den Sieg in unseren Tagen begründet. Und nicht zuletzt ehrt und zeigt es diesen Menschen, der sein ganzes Leben dem Ideal des Anarchismus widmete.

Martin Veith für Syndikalismusforschung.info

Errico Malatesta – Ungeschriebene Autobiografie. Erinnerungen 1853-1932.

Herausgegeben von Piero Brunello und Pietro Di Paola. Aus dem Italienischen Übersetzt von Egon Günther.

Edition Nautilus, 2009, ISBN: 978-3-89401-594-7, 220 Seiten, 16,90 Euro

 

Verlagsinfo

 

Errico Malatesta – Ungeschriebene Autobiografie. Erinnerungen 1853-1932.

Herausgegeben von Piero Brunello und Pietro Di Paola. Aus dem Italienischen Übersetzt von Egon Günther.

Edition Nautilus, 2009, ISBN: 978-3-89401-594-7, 220 Seiten, 16,90 Euro

Malatesta (1853–1932) hat sich immer geweigert, seine Autobiografie zu schreiben. Er hielt sie angesichts der krisengeschüttelten Weltlage für unerheblich. Trotzdem liest sich sein Leben wie ein Abenteuerroman: Auf der Flucht vor der Polizei quer durch die Länder der Welt lernte er die bedeutendsten Zeitgenossen der internationalen Aufstände kennen. Obwohl aus wohlhabender Familie, engagierte er sich schon sehr früh politsch und wurde als Vierzehnjähriger zum ersten Mal verhaftet. 1871 warf man Malatesta wegen Teilnahme an einer Demonstration von der Universität. Er trat der italienischen Sektion der Internationale bei, traf 1872 Michail Bakunin in der Schweiz. 1877 war Malatesta an einem bewaffneten Aufstand in Kampanien beteiligt. Sie verübten einen Brandanschlag auf das Finanzamt und erklärten das Ende der Monarchie. Der Aufstand wurde durch das Militär schnell niedergeschlagen. Malatesta war gezwungen, das Land zu verlassen.
Im Laufe der folgenden Jahre lebte und agitierte er in Ägypten, in der Schweiz, in Rumänien, London, Argentinien, Belgien, Malta, den USA und immer wieder auch in Italien, wo er mehrfach verhaftet wurde. Malatesta gründete mehrere anarchistische Zeitschriften, organisierte Streiks und Demonstrationen. Unter der faschistischen Diktatur Mussolinis arbeitete er als Elektriker in Rom, wo er 1932 fast 80-jährig starb.

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