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30 Jahre FAU im Buch
Der Begriff „Gewerkschaft“ wird hierzulande mit dem DGB gleichgesetzt. Dabei
gibt es gerade in den letzten Jahren in die Schlagzeilen geratene Vereinigungen,
die nicht im DGB organisiert sind, beispielsweise die GDL, die Vereinigung
Cockpit oder die Vereinigung der Vertragsfußballer. Viele ihrer Mitglieder haben
erkannt, dass ihre Interessen im DGB verraten werden. Und dazu gehört wirklich
nicht viel Grips. Das Problem ist nur: Es gibt nicht wirklich viele
Alternativen. Der DGB ist der alles bestimmende Dachverband, nur er ist in den
meisten Fällen juristisch legitimiert, in vielen Betrieben stellt er eine Art
Zwangsverband für die Beschäftigten dar. Er übt oftmals bestimmenden Druck auf
die Betriebsräte aus und stellt viele von ihnen. Er ist im Bewusstsein so tief
verankert, dass die breite Bevölkerung unter Gewerkschaft lediglich
Tarifabschlüsse, eine Versicherungsanstalt bei Streik und etwas Rechtsschutz
versteht. Dasselbe gilt auch für die oben genannten Branchengewerkschaften
außerhalb des DGB.
Zur FAU
Aus dieser Perspektive heraus gibt’s nur eine Alternative in Deutschland, die
deutlich andere Formen von Organisation bis Philosophie aufzeigt, das ist die
Freie Arbeiterinnen- und Arbeiter Union (FAU). Allein diese Tatsache begründet
einen genaueren Blick, zudem die FAU bereits 30 Jahre alt ist. Die FAU ist eine
sehr kleine Gewerkschaft, deren Mitgliederzahlen sich nur auf einige Hundert
beläuft – bundesweit. Was soll auf den über 200 Seiten im Buch schon großartiges
zu erfahren sein? Die FAU schöpft ihre Kraft und ihren Sinn aus ihrer
Selbstverwaltung heraus, daraus, dass sich ihre lokalen Gruppen ganz konkret und
aus eigener Kraft heraus in vielen Fällen für die Verbesserung der Arbeits- und
Lebensverhältnisse ihrer Mitglieder einsetzen kann, in Eigenregie und mit der
Kraft der Solidarität. Die FAU ist also eine Gewerkschaft im ureigenen Sinne,
die keine Bevormundung duldet, die Mitglieder vertreten ihre eigenen Interessen
auch selber auf möglichst direktem Wege unter der Direktive „Solidarität und
gegenseitige Hilfe“ meistens mit den Mitteln der „Direkten Aktion“ unter
Umgehung der von der Arbeiterschaft losgelösten Stellvertretergremien. Das nennt
sich „Anarcho-Syndikalismus“, und die gleichnamige Bewegung konzentriert sich
nicht ausschließlich auf das Erwerbsleben, sondern auf alle Lebensbereiche. Denn
das Ziel dieser Bewegung ist die Schaffung einer neuen, einer freien
Gesellschaft ohne politische, ökonomische und militärische Herrschaft – ohne
Herrschaft des Menschen über den Menschen überhaupt. Das klingt hierzulande eher
utopisch, deshalb bezeichnet die FAU dieses Ziel auch als Fernziel.
Zum Buch
Was die FAU vor allem ausmacht, ist ihr konkreter Einsatz, mit welchem sie
jenseits großartiger Berichterstattung in den kapitalistischen Massenmedien
kleinere Erfolge erzielen konnte, aber auch so manchen Kampf verlor. Davon
handelt dieses lebendige und reichlich bebilderte Buch. In den sechs Kapiteln
wird am praktischen Beispiel immer wieder auf die Grundprinzipien und
Organisationsstruktur dieser kleinen Gewerkschaft eingegangen, ihre Aktivitäten
über 30 Jahre beleuchtet und reflektiert. Ein gutes Stück Zeitgeschichte, welche
in den bewegten 70-er Jahren beginnt mit der Vorgeschichte zur Gründung der FAU
im Jahre 1977. In welchem Umfeld bewegten sich die GründerInnen dabei, was waren
ihre Motivationen, wie gestaltete sich der Aufbau einer bundesweiten
Organisation? Welche Probleme taten sich auf? Diesen Fragen wird gründlich
nachgegangen, und das Buch hält die eine oder andere Überraschung bereit.
Gestreift werden auch andere Organisationen im Umfeld „sozialer Bewegungen“, die
verschiedenen (lokalen) Zeitschriften der FAU, ihre Ladenlokale/Zentren, aber
auch „Abspaltungen“, etwas Selbstironie ist gerade in der ersten Hälfte ihres
Bestehens an mancher Stelle durchaus angebracht. Spannend ist die Analyse der
verschiedenen Richtungskämpfe innerhalb der FAU zwischen den Eckpfeilern
Syndikalismus/Betriebsarbeit und anarchistische Ideenorganisation, eine von
vielen Kapiteln, mit der dieses Buch über die bloße Beschreibung von Aktivitäten
hinausgeht, und so wertvoll für alle Aktiven der Bewegung und später
hinzukommende ist, wenngleich bemerkt werden muß, dass der ehemalige
syndikalistische Flügel der FAU argumentativ zu kurz kommt – die Verbliebenen
schreiben eben die Geschichte!
Internationales
Beeindruckend sind auch die internationalen Solidaritätskampagnen der FAU,
besonders im britischen Bergarbeiterstreik Mitte der 80-er Jahre. Blicke gibt’s
es auch auf die „Internationalen Solidaritätskonferenzen“ der Jahre 1999/2002
und 2007. Die Geschichte der „Internationalen Arbeiter-Assoziation“ (IAA) hat im
Buch ein eigenes, faktenreich aufgearbeitetes Kapitel, welches dieser zum
Dogmatismus verkommenen „Internationalen“ einer gründlichen Kritik unterzieht,
und dabei auf die Hintergründe eingeht. Einen kurzen Einblick gibt es darüber
hinaus auch in die Versuche, im deutschsprachigen Ausland
anarcho-syndikalistische Gewerkschaften zu gründen.
Bewertung
Wer immer etwas über die FAU erfahren möchte, sollte sich dieses flüssig und
hintergründig verfasste Buch zu Herzen nehmen. Es wird vielerlei Zeit für
Einführungen auf Gruppentreffen der FAU sparen, und liefert eine sehr gute
Vorlage für die folgenden Diskussionen über den weiteren Weg der
anarcho-syndikalistischen Bewegung. Zu betonen ist noch, dass am Buch
Gewerkschaftsmitglieder aus etwa einem Dutzend Städten selbst mitgewirkt haben,
die Informationen also kompetent und komplett aus erster Hand sind! Besonders
wertvoll für die Syndikalismusforschung ist das Kapitel zu den ehemaligen FAUD-
Aktiven am Buchende, welche uns so manche Erfahrung vermitteln können, sowie das
Schlusskapitel zu 100 Jahre Syndikalismus in Deutschland von 1878 bis 1978.
Mängel im Buch
So richtig die Betonung der Organisation als Gewerkschaft ist: Dass die FAU auch
eine Organisation für andere Lebensbereiche darstellt, kommt zu kurz. Besonders
Augenfällig wird dies im Bereich ihres Einsatzes gegen den Neofaschismus,
welcher viel breiteren Raum, bzw. überhaupt Raum im Buch einnahmen müsste.
Gerade im Hinblick auf die turbulenten Jahre nach der „Wende“, wird das Buch den
zahlreichen, vielfältigen und ausdauernden Aktivitäten der FAU nicht gerecht.
Kurios wirkt es schon, wenn die Redaktion ein spannendes und aufschlussreiches
Kapitel zur „Anarcho-Syndikalistischen Jugend“ zuerst anfragt, die daraufhin
vorgelegten Seiten zum Buch jedoch wieder auslädt! Die Jugend wird gar nicht
behandelt, sehr wohl aber andere Initiativen, welche der FAU zwar nicht
angeschlossen waren, ihr aber sehr nahe standen. Unzureichend ist das Kapitel
zum 1. Mai, welches unter einem anderen Oberbegriff locker um weitere
Gedenkaktivitäten hätte erweitert werden können. Denn neben beispielsweise des
Jahrestages der Ermordung Erich Mühsams gibt es in manchen Städten weitere
lokale Gedenktage mit weitreichender historischer Bedeutung, an denen die FAU
maßgeblich beteiligt gewesen ist. Ein Bericht zum FAU-Gedenken an die Bremer
Räterevolution lag der Redaktion vor. So gut gelungen, wie das Kapitel zu den
ehemaligen FAUD-Mitgliedern ist, so sehr fehlt die Erinnerung an die Toten der
FAU. Erinnert sei hier exemplarisch an den Organisationssekretär Holger Linke
aus Halle, dem GenossInnen aus ganz Deutschland bei seiner Beerdigung
beiwohnten. Stattdessen findet sich auf der letzten Seite Werbung für den
maßgeblich unter KPD-Einfluß stehenden Musikvertrieb „Jump up“! Wie FAU-internen
Verlautbarungen zu entnehmen ist, soll die Bucherstellung als
„Gemeinschaftsprojekt“ nicht immer basisdemokratischen Prinzipien gefolgt sein,
ein wichtiger und praktischer Hinweis darauf, dass die Aktiven stets wachsam
gegenüber autoritären Tendenzen in der eigenen Bewegung sein sollten.
H. für www.syndikalismusforschung.info
Arbeitsgruppe „30 Jahre FAU“ (Hg.): FAU. Die ersten 30 Jahre 1977 – 2007. Die
Geschichte der Freien ArbeiterInnen Union von 1977 bis 2007, FAU-MAT/Syndikat-A/Verlag
Edition AV, Mores 2008, 253 Seiten, bebildert, 14,90 Euro, ISBN
978-3-86841-004-4
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