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Ein Leserbrief an die Karpatenrundschau
Im September 2005 erschien in der in Braşov (Kronstadt) in Rumänien
erscheinenden deutschsprachigen "Karpatenrundschau" ein Artikel über den "Heldsdorfer
Männerchor". Der verächtliche Duktus gegenüber fortschrittlichen Bestrebungen,
welcher sich durch den gesamten Beitrag zieht, forderte meinen Widerspruch
heraus. Also verfasste ich einen Leserbrief und schickte ihn an die Zeitung.
Diese veröffentlichte ihn nicht.
Wer die politische Ausrichtung dieser Zeitung, die einen Teil der deutschen
Minderheit Rumäniens repräsentiert, kennt, wird sich darüber nicht wirklich
wundern können. Da ich es wichtig finde, den reaktionären und patriarchalen
Strukturen und Vertretern die Bühne nicht alleine und unwidersprochen zu
überlassen, wird er hier für Interessierte dokumentiert.
Der Beitrag "Gründung des Heldsdorfer Männerchors vor 140 Jahren" von
Karl Heinz Brenndörfer findet sich hier.
Leserbrief zum Artikel „Gründung des Heldsdorfer Männerchores vor 140 Jahren“
In der Karpatenrundschau vom 10.09.2005 wurde der Artikel „Gründung des
Heldsdörfer Männerchores vor 140 Jahren“ von Karl Heinz Brenndörfer
veröffentlicht. Der im Titel besagte Männerchor taucht dann auch hin und wieder
in seinem Text auf. Doch die wirkliche Intention dieses Artikels liegt in der
Diffamierung und Verächtlichmachung freiheitlicher, aufklärerischen Ideen und
Gedanken sowie ihrer Träger in der deutschen Minderheit der Siebenbürger Sachsen
in Rumänien. Im Artikel muss der Lehrer Daniel Weprich, seine Familie und seine
freie Gemeinschaft als Projektionsfläche für die („nur“?) rechtskonservativen
Positionen Brenndörfers herhalten. Schade dass dieser versucht seinem Artikel
einen objektiven Eindruck zu geben. Denn das ist der Artikel nicht.
Als Quellenangabe für seine recht detaillierte Beschreibung des Lebens Weprichs
wird leider nur die ganz und gar nicht detaillierte Angabe gemacht, dass ein
Schriftstück aus dem Nachlass von Dr. Hans Mooser über diesen Auskunft gebe.
Welchen Umfang dieses Schriftstück hat und was es beinhaltet wird leider nicht
angegeben. Das reicht aber dem Autor um Weprich als einen Menschen zu
charakterisieren der „Recht und Rechte nur bei sich und Pflichten nur bei
anderen“ sehen würde.
So ganz Stimmig kann diese Aussage Brenndörfers aber nicht sein, denn wenn der
Lehrer solch einen schlechten Charakter hatte, wie konnte er dann „viele junge
Leute“ durch „seine Thesen anziehen“? Waren die „jungen Leute“ so einfältig und
erkannten die angebliche Doppelzüngigkeit nicht? Auf jeden Fall muss Brenndörfer
am Ende seines Artikels eingestehen das diese „jungen Leute“ dem aus der
„deutschen Gemeinschaft“ in Heldsdorf Ausgestoßenen im Rahmen ihrer Möglichkeit
halfen, was ja aber wohl niemand freiwillig tut der nicht von den guten
Absichten des Betreffenden und dessen Integrität überzeugt ist, zumal diese
Hilfe von materiell Armen kam.
Nicht zu Entschuldigen ist das angeführte Schlagen der Schülerinnen in der
Mädchenschule, wenn dies denn wahr ist. Denn wie gerne werden unliebsame
Personen mit Dreck beworfen? Und was eine rechte Volksgemeinschaft ist, die muss
es mit der Wahrheit ja auch nicht so genau nehmen, wenn es um die Diffamierung
eben jener Person geht, die nach konservativer Ansicht altherdurchgebrachte
Traditionen ablehnt und neue Formen des Zusammenlebens praktiziert und
propagiert. Böse Erfindungen und Lügen sind schon immer das Mittel derer gewesen
die keine Argumente hatten und ihren Alleinvertretungsanspruch (Siehe z.B. die
Kirche, Eliten in Diktaturen etc.) und ihrer Machtposition Angst hatten
Verlustig zu gehen. Dabei wurden auch schon immer Menschen zum Lügen gezwungen.
Und das zu allen Zeiten wie an unzähligen Beispielen zu belegen ist. Er selbst
hat den Behauptungen, das er seine Schülerinnen Schlagen würde, „trotzig und
fest“ widersprochen.
Brenndörfer fährt im Artikel fort: Weprich ist zu spät in die Kirche gekommen
(für wahr, ein harter Verstoß gegen deutsche Tugenden), er sei Nachlässig bei
seinem Unterricht (Wodurch? Brenndörfer gibt an keiner Stelle eine Begründung
dafür. Hat der Lehrer um 1860 den Kindern vielleicht Freiheiten des Geistes
gelassen, was bei seinem sonstigen Engagement ja nahe liegt und war das der
althergebrachten deutschen Schule ein Dorn im Auge ?). Er hat den Taubenmist
nicht vom Altar entfernt. War der Pfarrer, der dies ja wohl auch bemerkt hat,
sich zu fein dafür? Wie „sammelte er jüngere Männer und ältere Burschen um
sich“? Leider schreibt der Autor nicht, welche Lieder damals gesungen wurden.
Waren es Freiheitslieder? Und dann taucht urplötzlich eine „Kampfgruppe für die
Freiheit“ in Heldsdorf im Artikel auf. Das ist doch eine schöne Sache. Was hat
der Autor dagegen wenn er dies in einem verächtlichen Ton schreibt?
Der Lehrer Weprich, so scheint es durch den Artikel, ist eine Krankheit. Ein
„Erreger“. Der ausgemistet gehört? Das sächsische „Bezirkskonsistorium“ bricht
dann auch geltendes Recht, weil ihm die Entscheidung einer anderen Stelle
zugunsten Weprichs nicht passt. Brenndörfer findet das in Ordnung und setzt zum
Schluss seines Artikels an: Das konservative Heldsdorf wurde den ungeliebten
Lehrer los indem es ihn der Schule verwies und er samt seiner Frau und seiner
Kinder im kalten Winter, kurz vor Heiligabend aus der Gemeindebehausung auf die
Strasse gesetzt wurde. Wahre Christenmenschen handeln so. Und seine Frau Rosina?
Auch über diese kann der Autor „negatives“ Berichten. Sie war eine „Auswärtige“
und kam demzufolge nicht aus Heldsdorf was „bestimmte Kreise verstimmte“. Pfui.
Außerdem war sie auch noch anders gekleidet und trug keine Tracht. Sie trug
sogar Kleider die sonst nur „die Frau Pfarrer“ trug. Ich frage mich: Wieviel
Bosheit und Niedertracht steckte in der Heldsdorfer Bevölkerung, das diese durch
ihre Verleumdungen und Ausgrenzungen diese Frau – wie Brenndörfer beschreibt -
zum Selbstmord trieb. Gerettet in letzter Sekunde war sie danach „nur arg krank“
wie Brenndörfer weiter zu berichten weiß. Nette Zeitgenossen müssen das
mehrheitlich gewesen sein.
Brenndörfer teilt die Auffassung der damaligen Dorfmehrheit über Weprich: Denn
die Schuld an Ausgrenzung, Verbannung und dem materiellen Elend der Familie
Weprich gibt er diesem selber. Nach Brenndörfer fehlte es dem Lehrer nämlich an
„echtem, rechtem sächsischen Gemeindewillen, an dessen Kräftigung und Läuterung
er als Lehrer hätte mitarbeiten sollen“ und da der Lehrer dafür „kein
Verständnis fand, musste er daran mit seinem Lebensglück und mit dem Glücke
seiner Familie zerschellen“.
Bei soviel Bosheit und Gehässigkeit wie in diesem Artikel (wohlgemerkt ohne
wirkliche Quellenangabe !), bei soviel subjektiver Kommentierung durch den Autor
sind dann die beiden veröffentlichten Gedichte Weprichs das Licht am Horizont -
Denn dieser liebte ganz offensichtlich seine ausgestoßene und verleumdete Frau
und wünschte sich und allen ein Leben in Würde und Freiheit fern der engen
Fesseln einer unterdrückenden Tradition.
Die Feststellung das trotz der Verbannung der Familie, diese von einigen
Dorfbewohnern unterstützt wurde, („die Hilfe war Bescheiden“) ist ein weiterer
Lichtstrahl dem Nachgegangen werden sollte. Denn es belegt dass offensichtlich
Menschen aus den sog. unteren Schichten mit dem Lehrer sympathisierten, während
Kirche, Ämter und Landbesitzer gegen ihn agierten. Weiterhin zeigt sich
hierdurch das der Begriff der „Volksgemeinschaft“ reine Ideologie, reine
Propaganda ist, um die bestehenden Interessensgegensätze in der Bevölkerung zu
verdecken. Diese „Volksgemeinschaft“ scheut nicht vor dem Tod ihrer Kritiker
zurück, sie ist jeder freiheitlichen Veränderung feindlich gesinnt. Weprich war
ihr offensichtlich ein Stachel im Fleisch. Heldsdorf ist ein interessantes Feld
für eine authentische Spurensuche nach der Geschichte von unten, wie sie sich
wirklich zugetragen hat und wie sie in offiziellen Heimatbüchern und
wahrscheinlich auch der Karpatenrundschau nicht zu finden sein wird.
Martin Veith
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