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Fritz Oerter

Nachruf auf F. Domela Nieuwenhuis

Völlig unerwartet traf uns die Kunde, daß unser wackerer Kamerad F. Domela Nieuwenhuis in Holland gestorben ist. Wir älteren Genossen waren so daran gewöhnt, in Holland diese alte, treue Seele zu wissen, daß wir an den „Sauseschritt der Zeit“ gar nicht mehr dachten und die Möglichkeit des Vergehens und Sterbens nicht in Betracht zogen. Unser Freund hat ein Alter von 73 Jahren erreicht. Sein Ableben reißt eine böse Lücke in die Reihe der international bekannten Genossen. Ich habe nie Gelegenheit gehabt, persönlich mit ihm in Berührung zu kommen, abgesehen von einer schriftlichen Auseinandersetzung in den Spalten der „Pionier“ vom Jahre 1912, die sich, nebenbei bemerkt, in den freundlichsten Formen vollzog; aber sein oft geschautes Bild, das edle, von einem weißen Vollbart umrahmte Gesicht, steht ungemein lebendig vor meinen Augen.

Beseelt von einem unwiderstehlichen Drang zur Wahrheit hat Domela Nieuwenhuis in gereiftem Alter die Wandlung vom Christen zum Freidenker, vom Geistlichen zum sozialistischen Führer vollzogen. Er hatte den seltenen Mut zur Konsequenz und wenn er einmal erkannt hatte, daß eine neue Wahrheit die alte als Irrtum erscheinen ließ, dann ließ er den Irrtum fahren und wandte sich der neuen besseren Erkenntnis zu. Dadurch kennzeichnete er sich als Revolutionär. Leider gibt es so viele, die aus träger Gewohnheit im Irrtum verharren, auch wenn sie sich längst von seiner Falschheit überzeugt haben.

Auch bei der Sozialdemokratie, zu der er zunächst übertrat, gefiel es ihm nicht lange. Bald erkannte er die Engherzigkeit ihrer Denkweise und das Unzulängliche ihrer parlamentarischen, politischen und gewerkschaftlichen Taktik. Im Jahre 1890 erschien er noch als Vertreter Hollands auf dem sozialdemokratischen Parteitag in Halle und erregte dort mit seiner Ansprache allgemeines Aufsehen. Auch die preußischen Polizeibehörden wurden auf ihn aufmerksam und verfügten sine Ausweisung. Das nennt man preußische Gastfreundschaft. Seit jener Zeit hat sich Domela Nieuwenhuis immer weiter nach links entwickelt bis er schließlich beim Syndikalismus und Anarchismus anlangte, während umgekehrt die deutsche Sozialdemokratie sich mehr und mehr nach rechts mauserte bis sie jetzt nach der glorreichen Revolution zum „Ebertismus“ und „Noskewismus“ kam.

Im Jahre 1905 hatte Nieuwenhuis, der sich trotz seiner Gesinnungswandlung und freien Geistesrichtung in Holland doch eines gewissen Ansehens erfreute, abermals einen Zusammenstoß mit dem stupiden und machtprotzigen preußischen Polizeigeist. Vom Freidenkerkongreß in Paris kommend war er zum Besuch eines Freundes nach Marburg gefahren. Er wurde ohne jede Rechtsunterlage verhaftet und in Köln 18 Tage lang eingesperrt. Ursache hierzu scheint lediglich seine freidenkerische und anarchistische Gesinnung gewesen zu sein. Angeblich soll die Verhaftung erfolgt sein, weil man ihn vor 15 Jahren (!) einmal ausgewiesen hatte, und er sich infolgedessen des Bannbruchs schuldig gemacht habe. Deutsche Gastfreundschaft in bezug auf fremde Sozialisten ! Die Behandlung, die während der Revolution Beamten der russischen Sowjetregierung in Deutschland zuteil wurde, lässt allerdings darauf schließen, daß es in dieser Hinsicht auch jetzt noch nicht besser bei uns geworden ist.

In Holland existieren seit langem zwei sozialdemokratische Richtungen, die sich beide gegenseitig aufs heftigste bekämpfen: eine revisionistische unter der Führung Troelstras und eine reinmarxistische, an deren Spitze Wynkoop stand. Daneben aber gibt es noch eine revolutionäre sozialistische Richtung, die den Syndikalismus und Anarchismus propagiert. Daß diese letztere Bewegung eine ziemliche Bedeutung gewann und einen schönen Aufschwung nahm, das ist vor allem das Verdienst von Domela Nieuwenhuis und seinen Gesinnungsfreunden Rynders, Rolthek u.a.

In seinem Blatte „De vrije socialist“ hat Nieuwenhuis nun bis zu seinem Tode einen ununterbrochenen Kampf gegen die bürgerliche und sozialdemokratische Korruption geführt, die in den Niederlanden nicht minder groß ist als anderswo. Wie ein Sämann schritt er durchs Leben und streute überall den revolutionären Samen aus. Auch während des Krieges war er nicht untätig, indem er die kriegsgegnerischen Elemente aus allen Lagern zu sammeln suchte, um sie in einem Bund zusammenzufassen.

Männer wie unser alter und ehrwürdiger Nieuwenhuis sind in unserer Zeit der Unbeständigkeit und Charakterlosigkeit eine Seltenheit. Und doch brauchen wir solche zielklare und bewusste Männer sehr notwendig. Wir haben an ihm einen unserer besten und tapfersten Kämpfer verloren. Auch die internationale Freidenkerbewegung verliert an ihm einen ihrer markantesten Köpfe. Wohl war es ihm nicht vergönnt wie es auch uns kaum vergönnt sein wird, das Werk seines arbeitsreichen und kampfesfrohen Lebens reifen zu sehen, aber man kann ihm das ehrende Zeugnis ausstellen, dass er alles getan hat, um es zu fördern. Das Beispiel dieses „Rufers im Streite“ soll uns anspornen, ihm nachzufolgen und es ihm gleichzutun. Wir werden sein Andenken stets in Ehren halten.

Fritz Oerter“

Aus: „Der freie Arbeiter“, Nr. 22/1919

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