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Wilhelm Schroers

Faschistentag in Delmenhorst

Die Reaktion streckt in allen Teilen Deutschlands ihre Fühler aus und fabriziert „Deutsche Tage“. Auch in Delmenhorst machte man am 1. Juni einen vom schwarz-weiß-roten Glorienschein umgebenen Faschistentag. Eine ausgesprochene Arbeiterstadt hatte man sich für die Abhaltung des Gautages des Stahlhelms von Oldenburg- Ostfriesland ausgesucht. Man wollte den Widerstand der Arbeiterschaft prüfen und sie gleichzeitig noch mehr einschüchtern. Delmenhorst ist im Freistaat Oldenburg die größte Industriestadt.

Die vorsorglichen „republikanischen“ Behörden stellten sich die Aufgabe, die Feier „verfassungsmäßig“ zu gestalten. Das geschah zumeist durch die Verhaftung von sechs Kommunisten, die durch Transparente, Fahnen und Verteilung von Flugblättern zu einem „Roten Tag“ aufriefen.

Am Haupttage der Feier hatte der proletarische Steuerzahler den zweifelhaften Genuß, sich von der Schupo anpöbeln zu lassen und bestimmte Plätze und Straßen zu meiden.

Die "Auswärtigen Elemente" aber, die in Vorschriften müßigen wilhelminischen und Hitler- Uniformen steckten, beherrschten völlig die Straßen. Der heldenhafte Süd- West- Afrikaner Lettow- Vorbeck konnte mit seiner karnevalistischen Uniform die Delmenhorster Spießerseelen zum Kriege begeistern. Auch andere Paradepferde hatte man noch herangeholt. Zum Schutze dieser Gestalten wurden zwei Lastautos mit Schupo bereitgestellt, die, mit ihren Karabinern, Pistolen und anderen diversen Mordwaffen ausgerüstet, es vorzüglich verstanden, die Ruhe zu zerstören. Der Gummiknüppel hatte in ihren Fäusten besondere Elastizität. Auf dem Rücken eines Proleten wirkte sich ihre Tätigkeit derart aus, daß das Fell wohl einen Zentimeter breit aufplatzte. Als ein Trupp Kommunisten die Herausgabe ihrer gefangenen Genossen forderte, da konnten sich diese offiziellen Freunde der Reaktion eifrig betätigen. Die ganze Brutalität der militärischen Erziehung konnte sich austoben, man hatte ja Arbeiter vor sich. Aber nicht nur die Schupo, sondern auch die Orts- Polizei dürstete nach Taten. Sie bewies, daß sie der Schupo in nichts nachstand. Und diese polizeiliche Betätigung trug denn auch entsprechend zur Festnahme bei.

Auch Delmenhorst hat natürlich sein Stadtparlament und seine würdigen Vertreter. Hier gelang es, mit einer Stimme Mehrheit, ein Gesuch an das Oldenburgische Staats- ministerium zu richten, diese Faschistenfeier zu verbieten. Aber dazu hatte ein reaktionäres Ministerium natürlich keine Veranlassung. Man sieht eine solche Feier sogar gern. Bremen mit Oldenburg verbunden gibt ein zweites Bayern. Es blieb also in diesem Fall nur der bekannte "Klassenkampf- Standpunkt" der Sozialdemokratie, der vor den Wahlen eine so große Rolle spielte, als man in hochtönenden Worten der Reaktion den Kampf ansagte. Aber es gehörte nicht viel Weitsicht dazu, um zu ahnen, was kommen mußte: der Aufruf zu "Ruhe und Ordnung". - "Gebt den Reaktionären keine Handhabe, gegen euch einschreiten zu können!", so lautete die Parole der Friedhofsruhe. Wir Syndikalisten sind nicht für eine nutzlose Radau- Politik zu haben. Dennoch könnte diese Faschistenfeier verhindert werden. Wenn man die gesamte Arbeiterschaft Delmenhorsts und Umgebung zusammengerufen hätte, so wäre für die Stahlhelmbrüder und ihre Feier kein Platz gewesen. Gegen eine imposante Kundgebung wagt die Sippe der sogenannten "Frontsoldaten" es nicht, einzuschreiten. Die Sozialdemokratie aber ruft die proletarischen Massen nur auf, wenn es mit ihrer Streberpolitik vereinbar ist, wie z.B. beim Kapp- Putsch, Rathenau- Mord usw. Die Sozialdemokratie kennt im allgemeinen nur die eine Pflicht, die Aktivität der Massen zurückzudrängen aus Angst, die Bewegung könnte ihr über den Kopf wachsen. Überall im Reiche sieht man riesige Kämpfe der ausgebeuteten Massen. Aber es wird alles getan durch Parteien und Gewerkschaften, um die Einheitsfront der Arbeitermassen zu zerstören. Die Arbeiterschaft hat leider aus den letzten Jahren wenig gelernt und hüpft immer wieder auf die Leimrute der Futterkrippenstreber. Die Arbeiterschaft hat noch immer nicht begriffen, wo ihre wirkliche Macht liegt, sie läuft immer noch den alten Machtstrebern nach.

Das Ideal der monarchistischen und nationalistischen Meute: "Siegreich wollen wir Frankreich schlagen" läßt sich vorläufig noch nicht verwirklichen. Man muß deshalb erst die Voraussetzung dafür schaffen. Das revolutionäre, nach Freiheit und Brot sich sehnende Proletariat muß niedergeschlagen werden. Dazu muß man die Jugend sich einfangen. Auf diesem Rummel sah man viele Jünglinge, Mitglieder des Jungstahlhelm, und Kinder, den Pfadfindern zugehörig. Den Kriegsinvaliden müssen bittere Gefühle aufsteigen, den Müttern und Kriegswitwen muß das Herz bluten, wenn sie die militaristische Verseuchung und Vergiftung der Jugend sehen. Sollte der Weltkrieg so wenig Eindruck hinterlassen haben, daß jeder Teilnehmer nicht mit tiefem Abscheu sich dieser "Glorreichen" Zeit erinnert?

Arbeiter von Delmenhorst! Laßt uns mehr als je den Geist des Antimilitarismus pflegen! Besinnt euch auf eure eigene Kraft! Wartet nicht auf die Parolen eurer Parteigötzen, die euch bisher immer in Stunden der Gefahr verließen, euch aber mißbrauchten, wenn es ihnen selbst an den Kragen ging.

Wir Syndikalisten wollen euch keine großen Versprechungen machen. Eine freie Gewerkschaft setzt die Selbständigkeit eines jeden Menschen voraus. Meidet deshalb die Parteipolitikanten! Die Arbeiterschaft braucht zur Verwirklichung der sozialistischen Gesellschaftsordnung nicht die Eroberung der politischen Macht, sondern die Arbeiterschaft muß sich in den Besitz der Wirtschaft setzen.

Wilhelm Schroers

Aus: "Der Syndikalist", Nr. 24/1924

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