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Die Verschandelung der Revolution

Vier Jahre und mehr hat das deutsche Proletariat nötig gehabt, um zur Besinnung auf sich und seine Kraft zu gelangen, das, was notwendigerweise am 31 Juli 1914 bereits versäumt wurde, nachzuholen, nämlich die revolutionäre Erhebung gegen das verbrecherische System der junkerlich-kapitalistischen Gewaltpolitiker und Länderräuber! Die Marine, die sich gegen das vom Zäsarentum zugedachte grauenhafte Massengrab zur Wehr setzte, gab das Signal, und nun verflüchtigte sich der menschenhungrige imperialistische Spuk in alle Winde. Im kühnen Anlauf krachten die Welten der Mordpatrioten und Kriegsgewinnler wie ein elendes Kartenhaus zusammen. Entsetzen packte die schuldbewußten Kaligulas, in der Flucht vor dem herannahenden Strafgericht suchten die einen ihr Heil, die anderen aber – und zwar die große Mehrzahl der Hauptschuldigen – verfielen prompt wieder auf die alte List, mit der sie das unterjochte, mit satanischer Bosheit hingeopferte Volk bisher im Zaum zu halten verstanden; sie kleideten sich in das Schafskleid der Friedfertigkeit, gaben vor, sich mit den neuen Verhältnissen, d.h. mit der Regierung Ebert-Haase, abgefunden zu haben und suchten – mit bestem Erfolg – das durch Lug und Trug in Unkenntnis über seine Lage erhaltene Volk durch neue, größere, gemeinere Lügen und Verdrehungen zu verwirren, seine revolutionäre Tatkraft zu lähmen.

Bei letztem Geschäft fanden sie in den Scheidemännern und Haaseleuten, ihren Mitschuldigen am Kriegsausbruch und besonders an der Kriegsverlängerung, nur zu bereite Helfershelfer.

Die Spekulation auf den Sklavensinn weiter Volksschichten, der sich nie zu entschlossenem Handeln aufzuraffen vermochte, auf die durch Jahre und Jahrzehnte mit den brutalsten aber auch raffiniertesten Mitteln betriebene Verdummung der Massen erwies sich leider wiederum als richtig. Allzu lange hat sich das deutsche Volk dazu missbrauchen lassen, seinen Blutsaugern ein billiges und williges Objekt für die perverse Lust der Militaristen und Polizistenseelen abzugeben.

Die Volksschule, die Kirche, die Kasernen und Zuchthäuser, - sie alle waren bisher die „anerkanntesten“ Mittel bei jedem Verdummungswerk. Ihnen hatte es auch die kapitalistische machtlüsterne Presse zu danken, dass sie ihr unheilvolles Gift bis auf den heutigen Tag unter die Volksgenossen verspritzen konnte, dass die Schlachtopfer des Obrigkeitsstaates willige und kritiklose Leser jener Hurenpresse waren und zum großen Teil noch jetzt sind.

Und nun erst gar der Anteil, den die Scheidemänner-Ebert-Legien-Bauer-Umbreit und Konsorten an der Entmannung der Arbeiter haben!

Statt die Arbeiter zum Klassenkampf zu erziehen, in ihnen die Gedankenwelt des unverfälschten Sozialismus zu befestigen und zu vertiefen, speiste man sie mit resolutionären Phrasen, drillte man sie zur willenlosen Unterordnung unter die Herrschaft des Obrigkeitsstaates und der staatlichen, parteiamtlichen und zentralverbändlerischen Bürokratie. Jeden Sinn für entschlossenes Handeln, das auf Beseitigung der Kapitalistenherrschaft und auf Verwirklichung der sozialistischen Ziele gerichtet sein musste, suchte man in dem Arbeitsvolk zu ersticken. Der Sozialismus wurde dieser Sozialdemokratie immer mehr zum täuschenden Aushängeschild, mit dem man die instinktiv sozialistisch empfindenden Arbeiter zu ködern verstand. Durch das Pochen auf große Zahlen an Mitgliedern und Kassenvermögen täuschten die Scheidemänner wie die Legien, Umbreit und Konsorten ihre Partei- und Verbandsmitglieder gleichermaßen über die erbarmungslose Wirklichkeit hinweg. Durch ein demagogisches Spiel mit den Worten Vaterlandsliebe, Gesetzmäßigkeit, Verteidigungskrieg usw. verwirrten sie ihnen vollends die Köpfe derart, dass sich das arbeitende Volk am 1. August 1914 so willig in Tod und Verderben treiben ließ, als ob es aus der Entstehungsgeschichte der Kriege 1864, 1866 und 1870/71 nichts gelernt und als ob es nie eine von Bismarck gefälschte Emser Depesche gegeben hätte! Wessen Geschäfte die sozialdemokratischen und zentralverbändlerischen Volksbetrüger in Wahrheit besorgten, das verriet einmal der Sozialdemokrat Südekum mit den im Reichstag schamlos gesprochenen Worten: „Wenn wir keine Gewerkschaften mit ihren Unterstützungseinrichtungen hätten, dann wäre die bürgerliche Gesellschaft schon längst zusammengebrochen.“

Alles in allem also, das deutsche Volk war bis zum Ausbruch des Weltkrieges, ja bis zu der Novemberrevolution, dank seinem verräterischen „Führertum“ nicht nur nicht im revolutionärem Sinne erzogen, nein, geflissentlich haben die Mehrheitssozialisten und Zentralverbändler in ihm Abscheu- und Feindschaft gegen eine deutsche Revolution zu erwecken versucht, wie ihnen ja kein Mittel zu schmutzig, keine Waffe zu gemein gewesen ist, um die russische Revolution zu verleumden, das Sowjetrussland mit seinen Arbeiter- und Soldartenräten zu verunglimpfen. Ja selbst der Niedermetzelung der finnischen und ukrainischen Revolutionäre setzten die mehrheitssozialistischen Banditen keinen ernsthaften Widerstand entgegen.

Und nun, da das deutsche Volk, mitgerissen von der Energie einiger Wenigen, allen Verfolgungen und Schreckensurteilen zum Trotz, den Augenblick nutzt, wo die Schreckensherrschaft der schwarzen und rosafarbenen Imperialisten und der Gewaltmenschen vom Schlage des Ludendorff unter den furchtbaren Schlägen der Entente unrettbar zusammenstürzte, diesen Zusammenbruch vervollständigend, spontan überall – Arbeiter- und Soldatenräte einsetzte, da bemächtigten sich die mehrheitssozialistischen Demagogen sofort der leer gewordenen Regierungssessel, um von hier aus ihr altes Gewerbe des Volksbetrugs mit den alten Rezepten fortzusetzen. Er wird ewig eine Schmach und eine Dummheit, überdies bleiben, dass die Haase-Dittmann-Barth (USPD, Anm. d. Red.) es in jenem welthistorischen Augenblick nicht ablehnten – mit den blutbedeckten Scheidemann-Ebert und Gen. die Regierung zu bilden, und dass sie nicht stattdessen in die Forderung der Unschädlichmachung aller Komplizen der Wilhelm, Ludendorff, Reventlow, also auch der Scheidemänner mit uns einstimmten, ja dass sie diese blamable Gemeinschaft mit diesen selbst nach dem gegen friedliche Demonstranten in Berlin am 6. Dezember verübten Meuchelmord nicht aufgaben.

So nimmt aber das Verhängnis seinen unerbittlichen Fortgang – die Schuldigen des 4. August 1914 entgehen der Vernichtung nicht – sie reißen nun aber auch die Haase-Leute mit sich in den Abgrund! Indessen aber gilt es, die deutsche Revolution vor dem gleichen elenden Schicksal und vor weiterer Verschandelung zu bewahren.

Den Arbeiter- und Soldatenräten, die in den stürmischen Novembertagen in revolutionärer Entschlossenheit die Macht an sich gerissen hatten, und die rüstig ans Werk gingen, die Revolution nicht zu einer tauben Nuss für das Proletariat werden zu lassen, hat die „sozialistische“ Regierung Fesseln aller Art angelegt. Nicht exekutive Gewalt, sondern nur ein Kontrollrecht soll ihnen zustehen! Dem Vollzugsrat macht man aber sogar die Kontrolle der Reichsämter streitig. Den Arbeiterräten in den Gemeinden, die es ernst nehmen mit ihrer revolutionären Aufgabe (Neukölln, Mariendorf usw.) fährt man in die Parade, zum Gaudium der kapitalistischen Schnapphähne! Statt dessen werden freche Auflehnungen gegen die Revolution nicht nur geduldet, sondern insgeheim begünstigt (Offiziere, Bewaffnung der Berliner Studentenwehr, der saubere Kommandant Wels und seine Spießgesellen Marten, Hauptmann, Lorenz und Dr. Sack), eine ebenso wüste wie verlogene Kampagne gegen Liebknecht und seine Anhänger, die kommunistischen Sozialisten, von den Scheidemann-Ebert und Wels unterhalten, die schließlich am 6. Dezember 1918 bis zu dem Massaker gegen demonstrierende unbewaffnete Spartakusleute in der Chausseestrasse zu Berlin führen. Den vom Blut zahlloser Brüder triefenden Scheidemännern fällt auch die Schuld an diesen Opfern zu; alle ihre Verlegenheitsausreden waschen das neu vergossene Bruderblut von jenen nicht ab! 15 Tote und 35 Schwerverwundete brachte Wels am 6. Dezember zur Strecke.

Wels und Konsorten bilden eine weiße Garde gegen das revolutionäre Proletariat, sie verhindern die Bildung einer roten Garde für die Verteidigung der Revolution!

Heimkehrendes Militär, das noch vollständig unaufgeklärt ein williges Instrument in den Händen gegenrevolutionärer Offiziere ist, darf schwer bewaffnet die Bevölkerung Berlins bedrohen, der Treueid wird ihm auf die Minister statt auf den Vollzugsrat als Träger der revolutionären Macht abgefordert. Bei einem verpufften Spektakel wird Ebert zum Präsidenten ausgerufen, dieser stellt sich erstaunt, stottert einen halben Dank und eine halbe Verlegenheitsausrede! Die unverschämtesten Lügen der revolutionsfeindlichen Ausbeuterpresse zum Zwecke der Verwirrung und Einschüchterung des Proletariats und zur Verdächtigung der Arbeiterräte werden geduldet und dürfen passieren, um die „Pressefreiheit“ nicht zu schmälern. Den offenen und geheimen Revolutionsfeinden tritt man mit einer anscheinend kretinhaften (in Wahrheit aber von Seelenverwandtschaft diktierten) Gemütlichkeit entgegen, während man wirkliche Revolutionäre mit Maschinenpistolen, Handgranaten und Flammenwerfern bedroht!

Darf man sich da wundern, dass die Ebert-Haase konsequent, wie sie nun einmal in der Sabotierung der revolutionären Eroberungen sind, sich mit zäher Ausdauer für die Nationalversammlung einsetzen, auf die die Reaktionäre nicht mit Unrecht ihre ganze Hoffnung setzen? Statt die Macht des revolutionären Proletariats zu stärken, soll das kapitalistisch interessierte Bürgertum im Nationalparlament Marschziel und Tempo der Revolution mitbestimmen! Von der Aburteilung der Schwerverbrecher vom Schlage der Ludendorff, Bethmann, Reventlow, Tirpitz, Ebert-Scheidemann usw. durch ein Revolutionsgericht schweigt man ganz; ebenso von der Streichung der Kriegsanleihen, um dem Volk die größte Bürde abzunehmen! Die „Sozialisierung“ der Produktionsmittel wird durch eine sehr „gemischte“ Kommission verschleppt, die Beseitigung der Dreiklassenparlamente in den Gemeinden, die Ausmerzung des Religionsunterrichts aus den Schulen, die Trennung von Kirche und Staat, die Revolutionierung der Rechtssprechung und unendlich viel mehr scheint auf den St. Nimmerleinstag vertagt zu sein. Der Kongress der Arbeiter- und Soldatenräte, der am 16. Dezember in Berlin zusammentritt, soll die revolutions-verräterische Politik der Ebert-Haase sanktionieren, da bleibt dem revolutionären Proletariat, das völlig auf die eigene Tatkraft angewiesen ist, eben nichts anderes übrig, als die schlauen Berechnungen der offenen und verkappten Reaktionäre in nicht mißzuverstehender Weise zu durchkreuzen.

Alle Räder stehen still, wenn dein starker Arm es will!

Alle Macht den revolutionären Arbeiter- und Soldatenräten!

Aus „Der Syndikalist“ Nr. 2 (21. Dezember 1918)

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